Unaufgeregt und sachorientiert gehen die Gäste von Maybrit Illner der Frage nach, wie Deutschland mehr Tempo in die Corona-Impfungen bringen kann. Boris Palmer und Frank Ulrich Montgomery streiten über das Für und Wider von Zulassungsverfahren. Eine Hamburger Hausärztin will verstärkt auch in den Praxen impfen lassen: "Wir können das."

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Es ist was faul im Staate Deutschland. Während die USA, Großbritannien und Israel munter gegen das Virus animpfen, ist an der deutschen Injektionsfront das Chaos ausgebrochen. Erst stoppt das Bundesgesundheitsministerium in dieser Woche die Impfungen mit dem Produkt von Astrazeneca nach einzelnen Fällen von Hirnvenenthrombosen - zum Teil mussten geöffnete Dosen in den Müll wandern. Dann bescheinigt die Europäische Arzneimittelbehörde dem Impfstoff noch einmal die Sicherheit, jetzt soll es doch mit Astrazeneca weitergehen. Das Vertrauen der Bevölkerung ist trotzdem beschädigt.

"Was soll man da noch denken?", fragt Maybrit Illner am Donnerstag zu Beginn ihrer Sendung. Die Frage ist berechtigt - und die Antwort lautet: Dranbleiben. Denn der Runde gelingt es, Fragen zu beantworten, Ängste zu zerstreuen und einige gute Ideen auf den Tisch zu bringen.

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Das sind die Gäste bei Maybrit Illner

Birgid Puhl: Die Hausärztin impft derzeit in den Hamburger Messehallen - und hat miterlebt, wie verunsichert Patienten nach dem Impfstopp für Astrazeneca waren. Sie selbst hat zwar einen anderen Impfstoff bekommen, versichert aber: "Ich würde mich auf jeden Fall auch mit Astrazeneca impfen lassen."

Corinna Pietsch: Die Leiterin des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Leipzig plädiert dafür, den Blick nicht nur auf Deutschland zu richten. Wenn große Teile der Weltbevölkerung ungeimpft bleiben, können schneller Mutationen entstehen. Europa müsse daher auch Impfstoffe abgeben. "Wir müssen noch viel globaler denken."

Michael Müller: Der Regierende Bürgermeister von Berlin ärgert sich über die Entscheidung des Robert-Koch-Instituts, Mallorca wieder von der Liste der Corona-Risikogebiete zu nehmen. Man kann also unproblematisch auf die Balearen reisen, während hierzulande die Hotels dicht sind? "Das geht so nicht", sagt der SPD-Politiker. "Das wird ein Thema in der Ministerpräsidentenkonferenz sein."

Boris Palmer: Der Oberbürgermeister von Tübingen (Grüne) macht mal wieder mit einem besonderen Modell von sich reden. Dort kann man seit drei Tagen mit einem negativen Corona-Test einen "Tagesausweis" für die Innenstadt erhalten, einkaufen gehen und die Außengastronomie benutzen. "Wir wollen herausfinden, ob es möglich ist, mehr Freiheit, mehr Stadtleben mit mehr Sicherheit in der Pandemie zu verbinden", sagt Palmer.

Frank Ulrich Montgomery: 9,2 Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech und Pfizer sind aus Deutschland nach Großbritannien exportiert worden. Das gehe gar nicht, sagt der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes: "Trotz des britischen Passes in meiner Tasche: Das finde ich unerhört."

Wolfgang Niedecken: Der "BAP"-Sänger möchte endlich wieder auftreten - und bedauert deshalb, dass die Geschlossenheit der Politik immer mehr dem Wahlkampfgetöse weiche. "Das trägt nicht dazu bei, dass die Leute das Vertrauen entwickeln können, um sich impfen zu lassen."

Das ist das Rededuell des Abends

Den zentralen Konflikt fechten Boris Palmer und Frank Ulrich Montgomery aus. Die Frage lautet: Steht sich Deutschland mit seinem Sicherheitsdenken selbst im Weg?

Ja, findet der Tübinger Oberbürgermeister. "Wir sind in einer Notstandssituation, und da ist das Zuwarten einfach falsch." Palmer findet: Für den Impfstoff von Astrazeneca hätte es schon viel früher eine Notfallzulassung geben müssen.

Was wäre denn los gewesen, wenn die aktuellen Komplikationen aufgetreten wären, wenn der Impfstoff nur eine Notfallzulassung gehabt hätte? Das ist die Gegenfrage des Ärztefunktionärs Montgomery. Er findet den Weg über die ordentliche Zulassung durch die Europäische Arzneimittelbehörde richtig - auch wenn es dann eben ein paar Wochen länger dauere. "Anders können wir niemals erreichen, dass wir bei den Bürgern ein Zutrauen, ein Vertrauen in den Impfstoff erreichen."

Palmer aber bleibt bei seiner Position: Er will auch, dass der Impfstoff von der Tübinger Firma CureVac schneller zugelassen wird. "Wir brauchen jeden Impfstoff, den wir produzieren können - aber wir warten wieder, bis alle Formulare ausgefüllt sind."

Das ist der Moment des Abends bei Maybrit Illner

Das Dauerthema Pandemie bringt es mit sich, dass zurzeit immer die gleichen üblichen Verdächtigen in den Studios sitzen. Umso angenehmer sind Gäste, die weniger mediale Dauerpräsenz und dafür mehr medizinische Praxiserfahrung mitbringen. So wie an diesem Abend Birgid Puhl. Die Hamburger Hausärztin wirbt sehr engagiert dafür, dass das Impfen auch in die Hände ihrer Kolleginnen und Kollegen gelegt wird.

"Ich bin sehr unsicher, ob wir es schaffen, die Patienten in den Impfzentren wieder einzufangen, zu beruhigen, auf individuelle Fragen einzugehen." Puhl verabreicht zwar selbst Injektionen in einem Impfzentrum. Sie ist aber überzeugt, dass sich Patienten von vertrauten Hausärztinnen und -ärzten eher beraten lassen. Zudem sei dieser Weg der günstigere. "Impfen ist in den Hausarztpraxen Normalität", sagt Puhl. "Wir sind alle bereit. Wir können das."

Das ist das Ergebnis

Eigentlich müssten wir das doch hinkriegen. Der Eindruck drängt sich nach dieser Sendung auf - sie wirkt wie eine Dosis Hoffnung mitten im Impf-Chaos: Es gibt genügend Konzepte und kluge Ideen, es gibt kompetente und tatkräftige Menschen in Medizin und Politik. Und es gibt gute Gründe, sich auch weiterhin den Astrazeneca-Impfstoff spritzen zu lassen. Ärzte-Funktionär Montgomery rechnet das anschaulich vor: "Bei der Impfung können von einer Million Menschen vielleicht 13 schwere Erkrankungen bekommen." Wenn man aber eine Million Menschen gar nicht impfe, dann könnten 5.000 bis 10.000 davon an COVID-19 sterben.

Warum es derzeit trotzdem so hakt und ruckelt bei der Pandemiebekämpfung? Mit Blick auf diese sachorientierte Runde bleibt das ein Rätsel. Angenehm ist auch der Diskussionsstil. Man ist zwar hin und wieder unterschiedlicher Meinung, kann sich darüber aber zivilisiert austauschen. Frank Ulrich Montgomery ist zuvor zwei Mal mit Boris Palmer zusammengestoßen, am Ende aber lobt er den Bürgermeister für seine Teststrategie: "Vielleicht komme ich zum Ostereier-Sammeln mal nach Tübingen."

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