Es ist eine Art Pandemie in der Pandemie: Long Covid quält Hunderttausende Deutsche noch Monate nach einer Corona-Infektion. TV-Arzt Eckart von Hirschhausen klärt mit einer Doku auf - und freut sich bei "Hart aber fair" über den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

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Es erwischt Kinder und Jugendliche, es setzt vormals fitte Menschen monatelang außer Gefecht – und gibt den Ärzten noch immer Rätsel auf: Long Covid entwickelt sich zu einer Art Volkskrankheit und einem Problem nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Gesundheitssystem. Ungefähr jeder achte Corona-Infizierte mit mildem Verlauf leidet an Langzeitfolgen wie extremer Müdigkeit, allein in Deutschland sind das rund 800.000 Menschen.

TV-Arzt Eckart von Hirschhausen beleuchtet die Pandemie in der Pandemie in einer ARD-Dokumentation am Montagabend und diskutiert danach bei "Hart aber fair" zum Thema "Corona und kein Ende: Wie groß ist der ganze Schaden?"

Seine Hoffnungen setzt der Fernsehstar mittlerweile auf eine Maßnahme, die er noch vor einigen Monaten abgelehnt hat - und auf den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Derweil fordert ein Intensivmediziner das Ende einer zynischen Diskussion.

Das sind die Gäste bei "Hart aber fair"

Es fehle an Gelder für Reha-Plätze und für die Forschung über Long Covid, kritisiert Eckart von Hirschhausen. Besonders wütend macht den TV-Star das Schicksal von medizinischen Fachkräften, die sich oft schon in der ersten Welle im Einsatz gegen Corona angesteckt haben, an Long Covid leiden - und monatelang auf Therapieplätze warten. "Wir haben damals ein bisschen auf dem Balkon geklatscht, aber sie eigentlich zum ersten Mal allein gelassen – und jetzt zum zweiten Mal."

"Ich bin traurig. Die Pflegekräfte sind müde und kaputt." So beschreibt Intensivmediziner Uwe Janssens, Chefarzt des St. Antonius-Hospitals in Eschweiler, die Gemütslage in den Krankenhäusern angesichts überlasteter Intensivstationen.

Die Deutschlandfunk-Journalistin Katharina Hamberger sieht den Punkt erreicht, "wo man in den Abgrund schaut": "Vielleicht hat es das gebraucht, um zu sagen: Jetzt geht es in die andere Richtung."

Hohe Impfquote, niedrige Inzidenz: Wie Bremen das geschafft hat, erklärt Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) mit drei Punkten – einer zentral organisierten Impfkampagne, mobilen Teams in Brennpunkten und der "hanseatisch weltoffenen" Haltung, die das Impfen als "Zeichen der Solidarität" begreift.

Starkoch Nelson Müller kritisiert, dass Ungeimpften die Rolle des Sündenbocks umgehängt wird: "Es sind einfach viele Ungereimtheiten da (…). Vieles ist noch unbekannt. Wo sind die großen Kampagnen?"

Das ist der Moment des Abends

Die kollektive Wut gegen Ungeimpfte entlädt sich dieser Tage immer wieder in der Forderung, doch per Patientenverfügung auf eine Behandlung auf der Intensivstation zu verzichten. Für die Psychohygiene vielleicht ein hilfreiches Gedankenspiel, in der Realität aber ein absolutes No-Go, stellt Intensivmediziner Janssens klar: "Es gibt keinen Unterschied zwischen geimpft und ungeimpft, das würde an den Grundfesten unseres ärztlichen Handelns rütteln."

Das gelte in jedem Fall, auch wenn ein überzeugter Impfgegner quasi ein Bett für andere blockiert: "Das müssen wir als Gesellschaft aushalten."

Also Solidarität mit den Unsolidarischen, fragt Plasberg ketzerisch, aber Janssens will diese Kategorien gar nicht aufmachen – er kenne ja die Gründe gar nicht, aus denen sich der Patient gegen eine Impfung entschieden habe. "Mein Appell ist: Wir sollten diese Diskussion aufgeben und nicht mit dem Finger auf die Leute links und rechts von uns zeigen."

Das ist das Rede-Duell des Abends bei "Hart aber fair"

Plasbergs einträchtige Runde macht vor, wie es gelingen könnte, Impfmuffel und die Wackelkandidaten in den Reihen der Impfgegner noch zu überzeugen: Gemeinsam, im persönlichen Gespräch auf Augenhöhe, ohne Konfrontation, mit passgenauer Ansprache. So, wie es eigentlich die Politik spätestens im Sommer hätte angreifen müssen, kritisiert Uwe Janssens: "Man hat doch von Anfang an gewusst, dass die Impfskepsis die Hauptbedrohung ist."

Eckart von Hirschhausen konnte in seiner Long-Covid-Dokumentation einen Zweifelnden überzeugen, musste aber erst gegen Fake News ankämpfen, die sich in der gesamten Gesellschaft verbreitet haben: "Wir haben keinen guten Weg gefunden, mit dieser Welle an Desinformation umzugehen."

Am Ende handelten die meisten Menschen aber ohnehin weniger aus Einsicht in die Fakten, sondern folgten sozialen Normen, der gute alte Herdentrieb eben. Sein Best-Practice-Beispiel: Eine Aktion in Duisburg-Marxloh, gemeinsam mit der Moschee organisiert, auf dem Parkplatz vor dem Gotteshaus. "Da haben ganze Häusergemeinschaften gesagt: Wir gehen da hin, kommst du auch mit?"

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

Ein untypischer Abend für den Gastgeber: Frank Plasberg schließt sich der konstruktiven Harmonie seiner Runde an, keine kontrollierte Provokation, keine Stammtisch-Thesen, kein kanalisierter Volkszorn. Nur die Allergie gegen Fachchinesisch schlägt zuverlässig an, als der studierte Jurist Andreas Bovenschulte den Staatstheoretiker Ernst-Wolfgang Böckenförde ("Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.") aus dem Politik-Seminar in die Prime-Time holen will, schreitet Plasberg resolut ein.

"Ich versuche, Ihnen zu folgen – was gibt es heute nicht mehr?" Nächster Versuch Bovenschulte: "Vertrauen lässt sich nicht mehr par ordre de mufti erlangen, sondern nur im persönlichen Gespräch". Geht doch, jetzt haben es alle verstanden.

Das ist das Ergebnis

So sehr sich die Politiker und Praktiker an diesem Abend einig sind über den Wert des persönlichen Gesprächs, um Skeptiker vom gemeinsamen Kampf gegen die Pandemie zu überzeugen: Es fehlt offensichtlich an der Überzeugung, dass es gelingen kann. "Wir müssen den Leuten jetzt erklären: Wir haben alles versucht", meint Uwe Janssens, "aber wir brauchen die Impfpflicht." Selbst von Hirschhausen, vor Monaten noch strikt dagegen, sieht keine andere Möglichkeit mehr, und die Nebenwirkungen gelassen: "Die Spaltung der Gesellschaft ist eh schon da."

Große Hoffnungen setzt die Runde auf den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach: Intensivmediziner Janssens erzählt, dass er und seine Kollegen sich über die Berufung gefreut hätten, weil nun "endlich einer mutig und ehrlich" an die Sache herangeht – und auch an 2022 und 2023 denke. Von Hirschhausen kleidet seine Freude in Ironie und einen kleinen Seitenhieb auf Jens Spahn: "Ich habe mich für die Demokratie gefreut, dass Kompetenz kein Verhinderungsgrund ist für eine Karriere als Minister."

Aber, erinnert ausgerechnet Genosse Bovenschulte: "Selbst Karl Lauterbach kann das Virus nicht wegzaubern". Und Journalistin Katharina Hambacher ist "gespannt, ob er die Erwartungen erfüllen kann", schließlich müsse er jetzt ein großes Haus leiten, sich in die Koalition einfügen und einem Kanzler mit Richtlinienkompetenz folgen. Apropos große Aufgaben: In den Talkshow-Redaktionen der Republik dürfte die Berufung von Lauterbach als Minister zu mittelschwerer Panik geführt haben – wer gibt jetzt in jeder zweiten Sendung den Corona-Erklärbär?

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