Sie haben jeden Tag mit den Flüchtlingen zu tun, und doch kommen sie in der öffentlichen Debatte viel zu wenig zu Wort: Die vielen Helfer in Deutschland, die sich beruflich oder ehrenamtlich um die Ankommenden kümmern. Bei "Hart aber fair" sprechen sie über ihre Erlebnisse, zeigen die Probleme auf und widerlegen viele Vorurteile.

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Sie sind das "wir" aus Angela Merkels Satz "Wir schaffen das": Freiwillige und Hauptamtliche von Polizei, Verwaltung und vielen Hilfseinrichtungen sind seit Monaten im Dauereinsatz, um die Ankunft der Flüchtlinge zu bewältigen. Die Ausnahmesituation ist für sie inzwischen Alltag geworden. Fünf von ihnen hat Frank Plasberg zum Motto "Jetzt reden die Helfer" in seine Sendung am Montagabend eingeladen.

Lothar Venus ist zweiter Bürgermeister der Gemeinde Wegscheid bei Passau und erlebt ein Drama an der deutsch-österreichischen Grenze. Tief bewegt und mit bayerischem Zungenschlag schildert er eine "brutale" Situation. Busse voller Flüchtlinge, darunter kleine Kinder und Säuglinge, würden an die Grenze gefahren und "auf die Wiese gekippt".

"Das ist unverantwortlich"

Dort sitzen die Menschen erstmal fest, bei jedem Wetter. Venus hört dann die Kinder wimmern und schreien. "Da stehst du hilflos der Situation gegenüber", erzählt er erschüttert. Besonders das Verhalten Österreichs kritisiert er. "Das ist unverantwortlich", poltert er gegen die "Behörden in Wien". Erst seit kurzem gebe es ein Zelt auf der österreichischen Seite.

Der Berliner Holger Michel kam zufällig zu seinem Ehrenamt. Als er in einer Flüchtlingsunterkunft Kleidung spenden wollte, packte er spontan mit an. Seitdem arbeitet er dort fast jeden Tag – freiwillig, nach Feierabend. "Ohne Helfer, ohne Ehrenamtliche kann es gar nicht funktionieren", sagt er.

Für Michel bedeutet das Engagement aber nicht nur Stress: "Dass Helfen auch Spaß macht und Spaß machen soll, ist ja nichts Neues." In seinem Leben dreht sich derzeit fast alles um das Ehrenamt, in seiner Firma steckt er zurück, Freunde lädt er zum Treffen in die Unterkunft ein.

Protokoll eines Helfer-Alltags

In einem Tagebuch hat Michel den täglichen Ausnahmezustand festgehalten. Die ständige Sorge um genug Essen und Wasser, Frauen in den Wehen. Plötzlich wird die Ankunft von neuen Flüchtlingen verkündet, doch statt 150 kommen 240 Menschen an. Helfer müssen spontan Babynahrung kaufen. Weil es schnell gehen muss, strecken sie das Geld aus eigener Tasche vor.

Die Probleme, die Michel in seinem Tagebuch schildert, kennt auch Heike Jüngling. Sie arbeitet als Sozialdezernentin im nordrhein-westfälischen Königswinter. Viele ihrer Kollegen sind im Dauereinsatz, auch eine Kündigung habe es deswegen schon gegeben.

Eines der größten Probleme ist die Bürokratie – und fehlende Computer. Von 400 Flüchtlingen in Jünglings Stadt konnte bisher nur die Hälfte einen Asylantrag stellen. Viele warten monatelang auf einen Termin. Zudem gibt es kein zentrales Computersystem, mit dem die Ankommenden registriert werden können. "Es besteht keine Vernetzung zwischen den Behörden", erklärt die Sozialdezernentin.

Gefährliche Geschäftemacherei

Die Flüchtlingskrise bringt Gewinner und Verlierer hervor. Manche Unternehmen schlagen Profit aus der Notlage. Ein Beispiel zeigt "Hart aber fair": Das "Maritim"-Hotel in Halle stellte den Hotel-Betrieb ein, um Flüchtlinge in dem Gebäude unterzubringen. Die entlassenen Mitarbeiter fühlen sich vor den Kopf gestoßen.

"Das ist ein klassisches Beispiel, wie es nicht laufen soll", sagt Sandro Poggendorf, Redakteur beim MDR. Wer seinen Job verloren hat, könne keine Willkommenskultur entwickeln. Zudem schürt es bei vielen Menschen das Gefühl, dass für die Flüchtlinge mehr getan wird als für die Einheimischen. Eine Steilvorlage für Rechtspopulisten.

Die "Probleme nicht verschweigen" will deswegen auch die Bochumer Polizistin Tania Kambouri. Einige der Flüchtlinge würden allgemein die Polizei und auch sie als Frau nicht akzeptieren. Manche hätten in ihrer Heimat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht.

Ein Problem bei kleineren Straftaten von Flüchtlingen sei es, dass die Anzeigen oft im Sande verlaufen. Kambouri betont aber immer wieder, dass es dabei nur um einen Teil der Flüchtlinge geht. "Ich habe die Befürchtung, dass alle über einen Kamm geschoren werden und die Täter einfach weitermachen", sagt sie.

"Wir haben viel zu wenig Wissen über die Flüchtlinge"

Für Plasbergs Gäste spielt das neue Streitthema der Bundesregierung - der Familiennachzug für Syrer - keine Rolle. Andere Fragen stellten sich viel dringender. "Es wird zu hoch aufgehangen", sagt Jüngling, weil es nur einen kleinen Teil der Flüchtlinge betreffe.

Als sich Bürgermeister Venus verständnislos über Männer äußert, die sich ohne ihre Familie auf die Flucht begeben, warnt Poggendorf vor schnellen Vermutungen: "Wir alle haben viel zu wenig Wissen über die Flüchtlinge und die Beweggründe."

Wie verbreitet falsche Vorstellungen über Flüchtlinge sind, zeigt auch eine Zuschauerfrage aus den Sozialen Netzwerken an die Sendung: Warum die Flüchtlinge nicht die Aufgaben der freiwilligen Helfer in den Unterkünften selbst übernehmen könnten, sie erhielten ja eine Rundum-Versorgung.

Helfer Michel schüttelt sofort den Kopf: Um das meiste kümmerten sich die Flüchtlinge selbst. Wer länger dort ist, bekäme auch Aufgaben übertragen. Manches ist auch logistisch nicht anders machbar. So würden viele Frauen gerne selbst kochen, aber es sei nicht möglich in jedem Zimmer eine Kochplatte zu installieren, merkt Poggendorf an.

"Unsere Deutschkurse sind voll"

Wie kann Deutschland die Flüchtlinge langfristig integrieren? Die Fehler der Vergangenheit dürfen nicht wiederholt werden, mahnen alle Anwesenden. Die Einwanderer sollen nicht wie früher zusammen in ein Stadtviertel gesteckt werden, warnt Venus. Er will aber auch die andere Seite nicht vergessen. "Integration ist die Vorbereitung der eigenen Leute auf die Situation", betont er.

Michel stimmt ihm zu: Die offene Kommunikationskultur in "seiner" Flüchtlingsunterkunft habe zu großer Hilfsbereitschaft geführt. Nach seiner Erfahrung sind Integrationsverweigerer unter den Flüchtlingen sowieso die Ausnahme: "Unsere freiwilligen Deutschkurse sind voll, wir haben Wartelisten!"

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