Die Frage nach dem Verhältnis von Islam und Deutschland ist vor einigen Jahren im Zuge der Leitkultur-Debatte eigentlich nie wirklich beantwortet worden. Nun wird man angesichts der Flüchtlingswelle von der Aktualität überrannt und die Frage ist drängender denn je. Frank Plasberg wagte bei "Hart aber fair" einen neuen Versuch und fragte: "Merkel bejubeln, an Mohammed glauben: Wie viel Islam gehört zu Deutschland?"

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Wer war bei "Hart aber fair" zu Gast?

Jens Spahn: Der Parlamentarische Geschäftsführer (CDU) im Bundesfinanzministerium fordert von Einwanderern, die dauerhaft in Deutschland leben wollen, die klare Akzeptanz bestimmter Regeln, sprich des Grundgesetzes.

Zekeriya Altug: 1973 in der Türkei geboren, zog er als Kind mit seiner Familie nach Deutschland. Heute ist er Vorstandsmitglied der DITIB, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion. Altug glaubt, dass die Mehrheit der Muslime in Deutschland das Grundgesetz achten und befolgen, fordert aber auch Respekt der Deutschen vor Andersartigkeit.

Hamed Abdel-Samad: Der Politikwissenschaftler wurde in Ägypten geboren und studierte unter anderem in Deutschland. Er kritisiert, dass der Koran und der Prophet Mohammed als unantastbar angesehen werden, wodurch es keine Entwicklung im Islam geben könne. Muslimverbände in Deutschland würden dieses konservative Bild aufrechterhalten.

Sylvia Löhrmann: Die gebürtige Essenerin ist stellvertretende Ministerpräsidentin (Grüne) von Nordrhein-Westfalen. Sie ist ebenfalls der Meinung, dass die allermeisten der hier lebenden Muslime das Grundgesetz akzeptieren. Sie fordert gleichzeitig eine Diskussion über die Auslegung des Korans.

Dietmar Ossenberg: Der Journalist berichtete viele Jahre aus dem arabischen Raum. Er ist vom "Wischiwaschi"-Kurs genervt und fordert klare Bekenntnisse von muslimischen Verbänden.

Fragen, die gestellt wurden:

Wie vertragen sich Grundgesetz und Koran? Müssen Muslime Provokationen wie Koran-Zerstörungen aushalten? Was bedeutet es ganz praktisch für Muslime, die Grundwerte in Deutschland zu respektieren?

Fragen, die nicht gestellt wurden:

Die Ausgangsfrage der vergangenen Sendung von "Hart aber fair" führte schon in eine ganz falsche Richtung. Die entscheidende Frage kann nämlich nicht sein, wie viel Islam zu Deutschland gehört. Was sollte denn die Antwort darauf sein? 14 Korane? 85 Moscheen? 2 Millionen Muslime? Die richtige Frage muss von einer anderen Richtung kommen: Wenn Deutschland wirklich der säkulare Staat ist, der er sein will, dann kann die Religion seiner Staatsbürger keine Rolle spielen, weil sie schlicht Privatsache ist. Die Identität Europas ist also weniger eine christliche als vielmehr eine säkulare. Daher ist die entscheidende Frage: Wie können sich Muslime in diese säkulare Identität einfügen? Dazu gehören dann weitere Fragen: Wie säkular ist Deutschland denn wirklich? Wie sehr will es das überhaupt sein? Sind die Probleme, die angesprochen werden, wirklich immer nur religiöse? Gibt es einen Islam mit europäischen Werten? Leider umkreiste die Diskussion solche Fragen nur, statt sie auszudiskutieren.

Was man dringend hätte erklären müssen:

Auch gut 15 Jahre nach der ersten großen Leitkultur-Debatte herrschte bei der aktuellen Folge immer noch Begriffsverwirrung. Von deutscher Leitkultur war da ständig die Rede. Dabei ist die vermeintlich deutsche Leitkultur in erster Linie keine deutsche, sondern eine westliche. Werte wie Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und Co. sind keine deutsche Errungenschaften, sondern Teil eines westlichen Wertekanons, zu dem Dinge gehören wie Demokratie, Menschenrechte oder eben auch Säkularismus. Was man dabei ebenfalls hätte erwähnen können, ist der Beitrag der muslimischen Welt an diesen Errungenschaften der Aufklärung. Tatsächlich wurde bei "Hart aber fair" aber immer von einer deutschen Leitkultur geredet, mit dem Ergebnis, dass bei der eingespielten Straßenumfrage dann tatsächlich Begriffe wie Pünktlichkeit oder Ordentlichkeit als Beispiele für eine deutsche Leitkultur genannt wurden.

Was war die große Erkenntnis bei "Hart aber fair" an diesem Abend?

Auf den ersten Blick gab es die leider nicht. Hätte man statt der Plasberg-Sendung ein Band von einer beliebigen Polit-Talkshow Anfang der 2000er Jahre laufen lassen, es wäre nicht aufgefallen. Als kleinster gemeinsamer Nenner konnten sich alle Diskutanten darauf einigen, dass es in Deutschland gewisse Regeln (das Grundgesetz und die daraus resultierenden Normen) gibt, an die man sich halten muss. Diese Erkenntnis hatte man aber schon nach etwa fünf Minuten und war damit auf dem Stand etwa des Jahres 2002. Interessant war es immer dann, wenn es einmal ins Detail ging, denn dort liegen nicht nur die Probleme, sondern auch die Lösungen.

Zum Beispiel bei der Frage: Wie geht man mit den konservativen, patriarchalischen Werten und Rollenbildern von Menschen um, die nach Deutschland kommen? Welche Rolle spielen muslimische Verbände bei der Integration? Wer vertritt denn in Deutschland überhaupt den Islam? Dabei konzentrierte man sich aber immer wieder auf die negativen Beispiele wie Salafisten in Dinslaken. Interessant wäre aber auch einmal die positive Seite gewesen, um Probleme angehen zu können: Gibt es Beispiele in Deutschland, wo Islam und Grundgesetz bestens miteinander auskommen? Wie gelingt denn konkret eine Integration? Beispiele gibt es schließlich Tausende. Dann wäre man auch einer Antwort näher gekommen, ob und wie sich Muslime in eine deutsche und europäische Identität einfügen können.

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