Es dürfte selbst in CDU und SPD nur wenige geben, die glauben, dass es in ihren Parteien gerade richtig gut läuft. Bei Maybrit Illner übten sich deshalb Manuela Schwesig und Tobias Hans kräftig in Selbstkritik. Am Ende machte ein Wissenschaftsjournalist klar, dass die Zukunft der beiden Volksparteien nur in einem Thema liegen kann, das sie bisher sträflich vernachlässigt haben.

Christian Vock
Eine Kritik

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Es ist gerade einmal eineinhalb Jahre her, da standen die Unionsparteien und die Sozialdemokraten vor einem mittelgroßen Scherbenhaufen. Bei der Bundestagswahl 2017 ließen beide Volksparteien kräftig Federn. Eine erste Koalition scheiterte und so kam es zur Neuauflage der Großen Koalition, denn die SPD musste, weil die FDP nicht wollte, obwohl sie sollte.

Heute wären sicher nicht wenige bei CDU und SPD froh, wenn sie noch die Ergebnisse des Scherbenhaufens von 2017 hätten. Union und SPD verlieren immer mehr an Zustimmung, während vor allem die Grünen von einem Hoch zum nächsten eilen. Maybrit Illner fragte deshalb am Donnerstagabend: "SPD kopflos, CDU planlos – Groko grün vor Neid?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:

Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen:

Die SPD: "Wir haben den Mitgliedern viel zugemutet", geht Manuela Schwesig mit ihrer Partei hart ins Gericht. Deshalb möchte sie bei der Wahl des Parteivorsitzes auch gerne die Mitglieder einbeziehen. Auch sonst spart die Interimsvorsitzende nicht an Selbstkritik, vor allem bei der Migrationspolitik.

Hier habe man versäumt, der Bevölkerung zu erklären, dass es sich um eine Notsituation handele, dass man den Menschen helfen, sie aber auch integrieren und bei einem fehlenden Bleiberecht auch wieder ausweisen müsse. Insbesondere der Streit zwischen Seehofer und Merkel habe eine Zerrissenheit gezeigt, die sich auch auf die Gesellschaft übertragen habe.

Harald Lesch sieht insbesondere die Übernahme der Regierungsverantwortung als problematisch für die SPD: "Ich glaube, dass sich die SPD über eine längere Zeit in eine Situation laviert hat, aus der sie jetzt nicht mehr herauskommt. Ich glaube, die GroKo war ein Riesenfehler." Für Lesch hätte der SPD stattdessen eine Zeit der Selbstreflexion gutgetan.

Die CDU: Auch Tobias Hans sieht Verbesserungsbedarf in seiner Partei, besonders im Umgang mit jungen Wählern: "Wir haben viel zu wenig darüber geredet, weshalb junge Menschen auf die Straße gehen. Damit haben wir bewiesen: Wir nehmen sie an dieser Stelle nicht ernst. Und das hat wehgetan. Den jungen Menschen, aber auch ihren Eltern und Großeltern."

Wesentlich tiefer in die Analyse konnte Hans nicht einsteigen, weil sich Illner lieber Personaldebatten wie der um die neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer widmen wollte. Sophie Passmann versuchte immerhin beides, Fehler und Personal in der Union, miteinander zu verbinden.

Auf die Frage nach der Verbindung der Machtkampf- mit der Geschlechterfrage, antwortete Passman: "Meine Bauschmerzen mit Annegret Kramp-Karrenbauer sind nicht, dass sie eine Frau ist, sondern dass sie stramm reaktionäre Sachen gesagt hat in den letzten Jahren, die ich einfach verwerflich finde. (…) Spätestens beim Schwulsein mit Inzest-Vergleichen hört's für mich auf. Das ist nicht konservativ, das ist reaktionär."

Wolfram Weimer sieht die Person Kramp-Karrenbauer etwas anders: "Mich erinnert vieles, was jetzt passiert, an die Anfangsjahre von Angela Merkel. Man unterschätzt die Frau."

Klimapolitik: Hier war es Harald Lesch, der der am Ende doch recht kurzen Debatte über die Klimakrise eine eindringliche Grundlage gab. Als Illner ihn fragte: "Klimaschutz kostet was. Kann man diese Verteilungsfrage einfach ausblenden?", antwortete der Wissenschaftsjournalist: "Natürlich nicht. Es wird uns eine ganze Menge kosten, es ist nur die Frage, für was wir das Geld ausgeben. Wollen wir es ausgeben für die Schäden, die diese dramatische Klimaveränderung bei uns jetzt schon ausgelöst hat? Oder wollen wir es dazu nutzen, die Schäden so weit es irgendwie geht zu minimieren."

Und für alle Zuschauer und Diskussionspartner stellte Lesch noch einmal fest: "Wir haben viel zu lange gewartet. (…) Die Sache mit dem Klima wird uns über Dekaden beschäftigen und das Allerwichtigste dabei ist etwas, das weder Politik noch Bevölkerung gerne hören wollen. Es wird darum gehen: weniger von allem. Es wird nicht mehr um Wachstum gehen."

Der Schlagabtausch des Abends:

Als Maybrit Illner bei ihrem Hang zur Personaldebatte schon fast unvermeidlich auch Kevin Kühnert ins Spiel brachte, verwies Tobias Hans ebenso obligatorisch auf Kühnerts Enteignungsaussage: "Kevin Kühnert – das ist doch so ein Beispiel, wo man sich die Frage stellen kann: Ist das denn wirklich junges Gedankengut, was er da verbreitet? Für mich ist das neokommunistisch, was er da an den Tag legt."

Bei aller Selbstkritik an ihrer Partei, war das für Sophie Passmann zu viel, weil zu kleingeistig: "Man hängt sich an so einem Spiegelstrich auf, in der Hoffnung, dass man Kevin Kühnert auf einmal als jemanden darstellen kann, der die DDR zurück möchte. Das finde ich altes Gedankengut!"

So schlug sich Maybrit Illner:

Es war schon vor der Sendung klar, dass es bei der Krise der beiden großen Volksparteien um mehr als um einzelne Köpfe geht, nämlich um die Frage, ob deren Erzählungen nicht vielleicht am Ende sind und für die Aufgaben der Zukunft keine passenden Antworten liefern.

Harald Lesch formulierte das auf die SPD bezogen so: "Ich glaube, dass die Sozialdemokraten sehr zukunftsfähig gewesen sind; sehr, sehr viele Ziele erreicht haben – und damit ist das Ziel erreicht. Es ist wie beim Navigationssystem: Sie haben Ihr Ziel erreicht. Wie viel Sozialdemokratisierung wollten die Deutschen denn haben?"

Doch Maybrit Illner wollte die Gewohnheit nicht ablegen, stets nach Personen zu fragen: "Was müsste passieren, damit Sie es machen", wollte Illner beispielsweise von Manuela Schwesig zu deren Parteivorsitzambitionen wissen. Und Tobias Hans fragte Illner maximal irrelevant: "Ist AKK Ihre Kanzlerkandidatin?"

Das Fazit:

Es war ein Abend der Bekenntnisse: Sowohl Schwesig als auch Hans zeigten sich bei allem parteipolitischem Geplänkel offen selbstkritisch. Dabei wurde auch klar, dass es für eine Wiederbelebung der Partei mehr braucht, als am Personenkarussell zu drehen und sich ein bisschen grün anzustreichen.

Insbesondere letzten Punkt hob Lesch hervor, indem er eine parteiübergreifende Zusammenarbeit bei der Überwindung der Klimakrise forderte: "Wir brauchen eine ganz klare Zielrichtung, wo wir hin wollen. Das muss etwas sein, das unabhängig von all den Fluktuationen, von all den Sätzen, die gesagt wurden, von all den Talkrunden, die gesprochen werden, muss es eine ganz klare Richtung geben, wie wir von den Kohlenstoffemissionen runter kommen."

Und weiter: "Wenn das nicht gelingt, brauchen wir uns keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie die politischen Verhältnisse in absehbarer Zeit sein werden, denn die klimatischen Verhältnisse werden so drastisch werden."

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