Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans erneuert im Gespräch mit dem ZDF seine Bereitschaft zu einem Linksbündnis nach der nächsten Bundestagswahl. Über eine 30-Stunden-Woche und die Vermögenssteuer will er zumindest reden.

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Die SPD hat in dieser Woche einen Coup gelandet, als sie unerwartet früh Olaf Scholz als ihren Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021 präsentierte. Doch die Partei wäre nicht sie selbst, wenn sie damit nicht gleich wieder neue Diskussionen ausgelöst hätte: Ist es sinnvoll, der Bevölkerung einen Mann für das mächtigste Amt im Staate vorzuschlagen, den man als Parteivorsitzenden nicht haben wollte? Norbert Walter-Borjans gibt sich im ZDF-Sommerinterview am Sonntagabend jedenfalls redlich Mühe, alle Probleme und Widersprüche rund um seine Partei in ein optimistisches Gesamtbild zu packen.

Als Walter-Borjans zusammen mit Saskia Eskens im Dezember Olaf Scholz bei der Vorsitzendenwahl der SPD aus dem Rennen geschlagen hatte, hatte er noch ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben: In der notorisch zerstrittenen Partei wollte das Duo für mehr Geschlossenheit sorgen und die SPD wieder auf die Marke von 30 Prozent bringen. Zumindest letzteres ist derzeit noch in weiter Ferne – die Sozialdemokraten können schon froh sein, wenn sie sich in Umfragen wieder in Richtung 20 Prozent bewegen. "Es ist ein dickeres Brett, als ich vielleicht am Anfang gedacht habe", räumt der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister ein. Die 30 Prozent aber bleiben für ihn eine "Orientierungsmarke". Das entspreche ungefähr dem Prozentsatz von Menschen, denen die SPD von allen Parteien am nächsten stehe.

Die Schwerpunkte: Personen und Koalitionen

Theo Koll macht es seinem Gast im Gespräch am Rheinufer nicht gerade leicht. Mehrmals muss Walter-Borjans sich für die immer noch schlechten Umfragewerte seiner Partei rechtfertigen – und sich dann auch noch zu seiner Co-Vorsitzenden äußern. Esken hatte dem jetzigen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz Ende vergangenen Jahres noch die sozialdemokratische Standhaftigkeit abgesprochen. Walter-Borjans erträgt es zumindest äußerlich mit großer Gelassenheit, dass er sich diesen Talkshow-Ausschnitt nun wieder vorhalten lassen muss. Sowohl er als auch Esken seien der Meinung, dass diese Äußerung ein Fehler gewesen sei.

Wie so häufig bei Sommerinterviews geht es auch in diesem Gespräch vor allem um Personen und Koalitionen und weniger um politische Inhalte. Walter-Borjans zeigt sich erneut offen für ein rot-rot-grünes Bündnis seiner Partei mit Grünen und Linken nach der Bundestagswahl 2021. Er sei bereit, mit allen demokratischen Parteien zu reden. "Ich zähle die Linke ausdrücklich dazu und ich zähle die AfD ausdrücklich nicht dazu."

30-Stunden-Woche? "Da kann man sich an den Tisch setzen"

Über außenpolitische Gegensätze zur Linken – etwa zur Haltung gegenüber Russland – will Walter-Borjans an dieser Stelle passenderweise nicht viel sagen. Anders ist das bei der Idee, in Deutschland eine 30-Stunden-Woche als Vollzeit-Modell einzuführen. Diesen Linken-Vorstoß wischt Walter-Borjans jedenfalls nicht direkt zu Seite, auch wenn er bei dem Thema in erster Linie die Tarifpartner in der Pflicht sieht. "Das wäre zumindest ein Punkt, wo ich sagen würde: Da kann man sich sicher mal an den Tisch setzen."

Kann es aber gelingen, mit dem jetzigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz Wählerinnen und Wähler der Mitte anzusprechen und dann eine linke Bundesregierung zu bilden? Walter-Borjans sieht darin keinen Widerspruch. Er glaubt auch nicht, dass sich der Kanzlerkandidat verbiegen müsste. "Es wird kein Programm geben, das einem Kandidaten aufgestülpt wird. Es wird aber umgekehrt auch nicht so sein: Man bestimmt einen – und der entscheidet dann, was SPD ist."

"Fehler" von Esken nicht wiederholt

Große Überraschungen oder Neuigkeiten kann Theo Koll seinem Gast nicht entlocken. Sicherlich auch, weil Walter-Borjans geübter als seine Partnerin ist, wenn es um das Ausweichen und Ablenken geht. Saskia Eskens hatte vor einer Woche beim Sommerinterview in der ARD noch gesagt, dass sie sich für ihre Partei auch die Rolle eines Juniorpartners in einer von den Grünen geführten Koalition vorstellen könnte. Das hatte bei einigen SPD-Mitgliedern zu Stirnrunzeln geführt – schließlich stellte die Partei schon am nächsten Tag ihren eigenen Kanzlerkandidaten vor.

Diesen Fehler wiederholt Walter-Borjans nicht. Ob die SPD als Juniorpartner eher in eine CDU- oder eine Grünen-geführte Koalition einsteigen würde, will Theo Koll wissen. "Ich habe die Präferenz, dass wir so stark sind, dass andere sich überlegen müssen, ob sie als Juniorpartner mit uns regieren wollen", antwortet Walter-Borjans. Das klingt zwar nach einer Ausrede. Aber sie zeigt zumindest, dass die SPD die Sache mit dem eigenen Kanzlerkandidaten inzwischen doch ernst nimmt.

Forsa-Umfrage: Mehrheit sieht Scholz nicht als Kanzler

Die SPD hat bekanntgegeben, dass sie mit Olaf Scholz ins Rennen um das Kanzleramt gehen will. Dochnoch würde ihn nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten gern an der Regierungsspitze sehen. Auch frühere SPD-Wähler sind längst nicht überzeugt.
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