Für mehr als 35 Millionen Immobilien und Grundstücke ist dieses Jahr eine extra Steuererklärung nötig: Die Grundsteuer muss neu berechnet werden. Doch in der Praxis herrscht vielerorts Chaos. Kritik am "Bürokratiemonster" wird laut, die IT der Finanzbehörden ist überfordert. Die Politik quält viele Betroffene und zögert mit einer dringlichen Fristverlängerung

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Countdown läuft: Bis Ende Oktober 2022 müssen sich alle Grundstücksbesitzer in Deutschland gegenüber dem Finanzamt erklären. Das erfordert die neue Grundsteuerreform. Wenige Wochen bleiben deutschen Eigentümern für die Erstellung der neuen Grundsteuererklärung. Wer zum Stichpunkt am 1. Januar 2022 eines der knapp 36 Millionen Grundstücke in Deutschland besaß, muss die komplexen Angaben bis zum 31. Oktober elektronisch beim Finanzamt einreichen.

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Doch das ist schwieriger als gedacht. Zehntausende von Steuerbürgern kämpfen gerade im Finanzamtportal Elster mit Fehlermeldungen, suchen im Infosystem Boris nach ihren Bodenrichtwerten, hängen in Warteschleifen bei den Hotlines der Finanzämter. Zwischenzeitlich war Elster wegen des hohen Andrangs sogar ganz abgestürzt.

Der Bürger als Dienstleister des Staates

Deutschlandweit melden Steuerberater, dass die Eigentümer unter dem Bürokratieaufwand der Grundsteuerreform ächzen, zumal ein unnötiger Zeitdruck gegeben sei. Bei Steuerberatern, über die viele Erklärungen laufen, ist man über die technischen Probleme verärgert. "Es ist nicht verwunderlich, dass die IT dieser Belastung nicht standhält. Das ist ärgerlich für alle Steuerpflichtigen", klagt Hartmut Schwab, Präsident der Bundessteuerberaterkammer. Elster mache den Bürger zum Dienstleister des Staates und seiner Beamten. Dabei sollte es eigentlich andersrum sein.

Bei einigen Wohnungsbesitzern entstand Verwirrung, weil ihnen kurz hintereinander die Aufforderung zur Abgabe der Grundsteuer-Feststellungserklärung und zur Teilnahme am Zensus, für den das Statistische Bundesamt auch Daten zu Wohnungsgrößen und Mieten abfragte, zugestellt wurden. Wer Objekte in mehreren Bundesländern besitzt, muss zudem teilweise unterschiedlich gestaltete Formulare ausfüllen.

Laut einer Bundesländer-Umfrage der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" haben bislang nur relativ wenige Besitzer privater Grundstücke ihre Grundsteuererklärung abgegeben. Demnach liegt die Abgabequote je nach Land leicht über oder sogar unter zehn Prozent der erwarteten Erklärungen.

Die wenigsten Abgaben gab es bislang in Ostdeutschland. In Mecklenburg-Vorpommern haben erst 4,2 Prozent die Meldung abgegeben. In Brandenburg liegt die Quote bei 5,2 Prozent. Berlin kommt auf 6,7, Thüringen auf 7,4 und Sachsen auf 7,6 Prozent. Lediglich in sechs Ländern liegt die Abgabequote den Angaben zufolge bei über zehn Prozent. Am besten steht Hessen mit 13,9 Prozent da. Es folgen Niedersachsen (12,7 Prozent), Schleswig-Holstein (11,9 Prozent) und Bayern (11,6 Prozent).

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Verlängerung der Abgabefrist im Gespräch

Die geringen Abgabequoten gelten als Indiz dafür, dass der gesamte Ummeldeprozess in erheblichen Problemen steckt. Aus der Finanzpolitik hört man zwar, es erwartet worden, dass in der Sommer- und Ferienzeit kaum ein Steuerpflichtiger die Erklärung habe machen wollen. Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) meint: "Die Erfahrung zeigt, dass die Dynamik bei der Abgabe von Steuererklärungen mit Ende der Fristen immer deutlich zunimmt."

Die Steuerberater allerdings schlagen freilich Alarm. Die Bundessteuerberaterkammer und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sowie einige Landespolitiker fordern dringlich eine Verlängerung der Abgabefrist, die regulär am 31. Oktober endet. Nach zahlreichen Beschwerden denkt Bundesfinanzminister Christian Lindner über eine Verlängerung der Abgabefrist für die Feststellungserklärung für die Grundsteuer nach. Als Reaktion auf Kritik einer Bürgerin beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung sagte der FDP-Chef am Samstag im Finanzministerium: "Ich mache mir auch Sorgen, wie das gegenwärtig abläuft." Er lasse sich regelmäßig über Fortschritte bei der Datenerhebung informieren. Lindner fügte hinzu: "Möglicherweise muss man da sich vorbehalten, noch einmal an den Fristen etwas zu machen."

Die Grundsteuerreform war im Herbst 2019 unter der Koalition von Union und SPD vom Bundestag beschlossen worden. Damals war der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Finanzminister. grund"Es zeigt sich: Das vom damaligen Finanzminister Scholz und der SPD durchgesetzte Modell der neuen Grundsteuer ist zu kompliziert und nicht bürgerfreundlich", kritisiert der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Mathias Middelberg (CDU): "Die Steuerpflichtigen müssen vor allem zügige und pragmatische Hilfestellung bekommen."

Die Finanzminister von Bund und Ländern wollen aber frühestens Ende September bei ihrer Konferenz entscheiden, ob die Abgabe-Frist für die Grundsteuer-Erklärung verlängert wird.

Die Grundsteuer musste reformiert werden, weil das Bundesverfassungsgericht 2018 veraltete Bewertungsgrundlagen moniert hatte. Gezahlt wird sie von allen Hausbesitzern - und auch von den Mietern, denn sie kann über die Nebenkosten umgelegt werden. Für die Kommunen ist die Grundsteuer eine der wichtigsten Einnahmequellen.

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