Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt Grund zur Sorge: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der registrierten Straftaten in Deutschland deutlich gestiegen. Das gilt auch für die Zahl der tatverdächtigen Kinder. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht aber einen positiven Aspekt: Mehr Fälle können auch für bessere Ermittlungen und mehr Anzeigen sprechen.

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Der Anstieg ist deutlich – und er kommt für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht überraschend: 2022 wurden in Deutschland rund 5,6 Millionen Straftaten registriert. Das bedeutet einen Zuwachs um 11,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (5,05 Millionen) und den höchsten Stand seit 2017.

Faesers zentrale Erklärung: die Corona-Pandemie. Als das öffentliche Leben in den vergangenen Jahren teilweise stillstand, ergaben sich auch weniger Gelegenheiten für Taten. Die Kriminalstatistiken von 2020 und 2021 verzeichneten daher einen Rückgang der Straftaten. Damit ist es nun offenbar vorbei. "Ein normaler Alltag bringt Tatgelegenheiten für Kriminelle mit sich", sagte Faeser am Donnerstag bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2022 in der Bundespressekonferenz. Etwas niedriger fällt der Anstieg daher aus, wenn man die Zahlen von 2022 mit denen des Vor-Corona-Jahres 2019 vergleicht: Hier ergibt sich ein Zuwachs von 3,5 Prozent.

Nancy Faeser: "Wir sind ein sicheres Land"

Im Vergleich zum Vorjahr aber ist der Anstieg deutlich: 2022 gab es mehr Fälle von Wirtschaftskriminalität, Betrug, Vergewaltigung, Raub oder Diebstahl als 2021. Einen Rückgang verzeichnet die Kriminalstatistik 2022 dagegen bei Rauschgiftdelikten und dem Erschleichen von Leistungen.

"Wir sind ein starker Rechtsstaat und ein sicheres Land", betonte die Bundesinnenministerin am Donnerstag. 2008 zum Beispiel lag die Zahl der registrierten Straftaten mit 6,1 Millionen noch deutlich über dem Niveau des vergangenen Jahres. "Ich will nichts beschönigen, aber das ist doch zur Einordnung wichtig", so Faeser.

Nichts zu beschönigen gibt es nach ihrer Auffassung aber bei den vollendeten und versuchten Straftaten gegen Polizei-, Feuerwehr- und Rettungskräfte. Hier stehen 1,15 Millionen Opfer in der Statistik. "Damit wird deutlich, welche Verrohung in unserer Gesellschaft existiert – und das macht mir wirklich Sorgen", so Faeser. Gleiches gelte für Gewalt gegen Frauen. "Mir ist wichtig, dass Gewalt von Männern gegen Frauen kein Tabuthema ist, sondern zur Anzeige gebracht und konsequent verfolgt wird", so Faeser.

37,5 Prozent der Tatverdächtigen haben keinen deutschen Pass

Von allen rund 2,1 Millionen Tatverdächtigen des vergangenen Jahres hatten 783.876 keinen deutschen Pass – also 37,5 Prozent. Ihr Anteil ist damit im Vergleich zu 2021 (33,8 Prozent) leicht gestiegen.

Einen deutlichen Anstieg verzeichnet die Kriminalstatistik bei sogenannten ausländerrechtlichen Verstößen – also unter anderem Straftaten gegen das Aufenthaltsgesetz. Schaut man sich nur die Straftaten ohne ausländerrechtliche Verstöße an, lag der Anteil der nicht deutschen Verdächtigen 2022 bei 31,9 Prozent (2021: 29,9 Prozent).

Rund 93.000 tatverdächtige Kinder

Eine Zahl macht besonders aufmerksam: Die Zahl der tatverdächtigen Kinder (also der Unter-14-Jährigen) ist 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 35,5 Prozent gestiegen – von 72.890 im Jahr 2021 auf 93.095 im vergangenen Jahr. Auch bei den tatverdächtigen Jugendlichen verzeichnet die Statistik einen Anstieg um 22,1 Prozent.

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) hatte Anfang dieser Woche der "Welt" (Bezahlinhalt): gesagt: "Die Entwicklung der Zahlen ist nicht zu verharmlosen." Ihr nordrhein-westfälischer Amtskollege Herbert Reul (ebenfalls CDU) will die Kinder- und Jugendkriminalität auf die Tagesordnung der nächsten Innenministerkonferenz setzen.

Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, war es am Donnerstag wichtig, diese Zahlen einzuordnen. Typische Delikte von Minderjährigen sind Ladendiebstahl, Sachbeschädigung, Beleidigung oder leichte Körperverletzung. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung begehen Jugendliche laut Münch aber schon "seit jeher" die meisten Straftaten pro Kopf.

Wenn Kinder Armut, häusliche Gewalt oder Stress erfahren, steigere das die Gefahr, dass sie kriminell werden, so Münch. "Solche Risikofaktoren sind in den vergangenen Jahren zusätzlich hinzubekommen, durch die Pandemie und durch andere Faktoren." Nichtdeutsche Jugendliche seien von diesen Risikofaktoren stärker betroffen als junge Menschen mit deutschem Pass. "Auf den ersten Blick ist diese sehr negative Entwicklung aus meiner Sicht noch nicht automatisch alarmierend. Wir müssen sie aber weiter beobachten", so Münch.

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Kriminalstatistik erfasst nicht das Dunkelfeld

Wichtig ist: Die Polizeiliche Kriminalstatistik umfasst nur die bekanntgewordenen Fälle. Das Dunkelfeld – also die Zahl der nicht angezeigten Delikte und Straftaten – ist aber deutlich größer. Bundesinnenministerin Faeser hat im vergangenen November eine Studie dazu vorgestellt. Demnach wird zum Beispiel nur jeder dritte Fall von Körperverletzung oder Sachbeschädigung zur Anzeige gebracht.

Aus Sicht von Faeser lässt sich auch eine positive Botschaft aus der Kriminalstatistik lesen: Wenn mehr Fälle bekannt werden, kann das auch ein Zeichen für bessere Ermittlungen und mehr angezeigte Taten sein. Die "MeToo-Debatte" habe zum Beispiel dazu beigetragen, dass Frauen Gewalt, Bedrohung und Beleidigung häufiger öffentlich machen. Auch bei der sexualisierten Gewalt gegen Kinder werde das Dunkelfeld kleiner und das Hellfeld größer. Das sei ein Erfolg der Ermittlerinnen und Ermittler beim Bundeskriminalamt und in anderen Staaten.

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Gleichwohl spricht Faeser weiter von einem "entsetzlichen Ausmaß" von sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Onlinenetzwerke seien in der Pflicht, "damit Missbrauchsdarstellungen entdeckt, gelöscht und die Täter verfolgt werden". Es ist kein Geheimnis, dass die Ministerin mit der aktuellen Rechtslage nicht zufrieden ist. Nach ihren Angaben können die deutschen Ermittlungsbehörden 25 Prozent der Missbrauchstaten nicht aufklären, weil sie die dafür nötigen Daten nicht nutzen können.

Faeser fordert seit längerem die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Damit könnte der Staat Telekommunikationsdienste dazu auffordern, Standortdaten ihrer Nutzerinnen und Nutzer sowie deren Kommunikations- und Verbindungsdaten vorsorglich zu speichern. Das sehen Faesers Koalitionspartner Grüne und FDP allerdings als zu großen Eingriff in den Datenschutz.

Verwendete Quellen:

  • Polizeiliche Kriminalstatistik 2022
  • Welt.de: 8160 Messerangriffe – Und deutlich mehr minderjährige Täter
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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