Die Hinweise verdichten sich, dass das ukrainische Flugzeug mit 176 Menschen an Bord durch eine iranische Rakete abgeschossen wurde. Wie konnte das passieren? Und welche Folgen hat dieser Vorfall für den Iran-Konflikt?

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Ukraine International Airlines Flug 752 endet in einem Feuerball. Auf dem Weg von Teheran nach Kiew stürzt das Flugzeug am Mittwoch nur wenige Minute nach dem Start ab.

Ein 19 Sekunden langes Video und weitere Indizien sollen nun zeigen, dass der Passagierjet von einer Rakete getroffen wurde. Das legen Recherchen der "New York Times" und der Investigativ-Plattform "Bellingcat" nahe. Auch die kanadische und britische Regierung haben nach eigenen Angaben Informationen, die auf den Abschuss der Maschine mit 176 Menschen an Bord durch eine iranische Rakete hinweisen. Die USA gehen dem ebenfalls nach.

Teheran hingegen weist diese Spekulationen entschieden zurück und führt einen technischen Defekt als Ursache an.

Wie konnte es also zu einem Abschuss kommen? Und welche Folgen hätte eine solche Attacke gegen eine zivile Passagiermaschine im Iran-Konflikt, sollte sie sich tatsächlich bewahrheiten?

Manipulationen, Überreaktion oder Panik?

Adnan Tabatabai schließt im Gespräch mit unserer Redaktion eher aus, dass es eine gezielte Aktion des iranischen Militärs gab. Laut dem Gründer und Geschäftsführer des Bonner Center for Applied Research in Partnership with the Orient (Carpo) könnte aber vor dem Absturz folgendes vorgefallen sein: "Zum einen könnte Irans Raketenabwehr durch Akteure im In- oder Ausland manipuliert worden sein", sagt der Iran-Experte.

"Zum anderen könnte es im iranischen Militärapparat eine Überreaktion und Panik gegeben haben, die den Fehler verursachte. Weil die Luftabwehr die Flugroute falsch einschätzte, die Maschine mit einem Militärjet verwechselte oder sie dachte, das Flugzeug sei entführt worden." Was genau passierte, bleibt zu klären.

Unwahrscheinlich sei aber, dass die Flugzeugbesatzung Zeit hatte, auf eine Rakete zu reagieren, wie Michael Duitsman vom Middlebury Institute of International Studies der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Flugabwehrraketen explodieren meist in direkter Nähe ihres Ziels und richten mit einem Splitterregen aus Kleinst-Projektilen maximalen Schaden an. Die Piloten "hätten es wahrscheinlich nicht einmal kommen sehen", glaubt Duitsman. Einen Notruf setzte die Besatzung nicht ab.

Reste einer russischen Rakete gefunden?

Die ukrainische Regierung hält es durchaus für möglich, dass die abgestürzte Maschine von einer Rakete des russischen Typs "Tor" getroffen worden sein könnte. Russland hatte ein solches System erstmals 2005 an den Iran verkauft. "Bellingcat" zeigt bisher nicht-verifizierte Fotos, die Teile einer solchen Rakete in der Nähe des Absturzortes zeigen sollen.

Fakt ist: Zivile Flugzeuge verfügen über Transponder, die ihre Identität, Geschwindigkeit und Höhe auf einer international vereinbarten Frequenz ausstrahlen. Sowohl auf zivilen wie auch auf militärischen Radars wäre ein solches Flugzeug sichtbar gewesen. Und zur Zeit des Absturzes von Flug 752 befanden sich noch andere zivile Flugzeuge in der Nähe.

Weil sich die Einschätzung der Sicherheitslage für den Luftraum rund um den Flughafen in Teheran geänderte hatte, ließ die Lufthansa am Donnerstag sogar ein Flugzeug umkehren. Flug LH 600 auf dem Weg von Frankfurt nach Teheran sei nach rund einer Stunde Flugzeit rein vorsorglich nach Frankfurt zurückgekehrt, erklärte die Sprecherin. Lufthansa und mehrere andere Fluggesellschaften hatten wegen der angespannten Lage mitgeteilt, bis auf Weiteres nicht mehr in den Iran oder über ihn hinwegzufliegen.

Iran-Experte: "Internationale Ermittler viel zu spät eingeladen"

Am Freitag hätten iranische und ukrainische Experten ihre Arbeit in einem Labor am Flughafen Mehrabad in der Hauptstadt Teheran aufgenommen, wie der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh, bekannt gab. Ihr Ziel sei die Auswertung der beiden schwer beschädigten Flugschreiber, der sogenannten Blackbox.

Schon vorab bezeichneten sowohl Abedsadeh als auch Irans Regierungssprecher Ali Rabiei die These, dass die Maschine von einer iranischen Abwehrrakete abgeschossen worden sei, als technisch und wissenschaftlich absurd – obwohl schon die ersten Trümmerbilder aus Teheran Spekulationen ausgelöst hatten.

"Es sieht so aus, als wären Projektile durch die Außenhaut und die Tragfläche geschleudert worden – was immer das heißen mag", bemerkte etwa Unfallforscher Jan-Arwed Richter vom Flugsicherheitsbüro JACDEC bereits wenige Stunden nach dem Absturz.

Teheran will bei der Untersuchung des Absturzes aber auch den Erzfeind USA einbeziehen. "Der Iran hat viel zu spät ukrainische und weitere internationale Ermittler eingeladen", kritisiert Politikwissenschaftler Tabatabai. Gerade die Einladung von Boeing-Experten sei überfällig gewesen. "Das hätte sofort passieren müssen – auch um Spekulationen zu verhindern."

Das absurde sei aber, erklärt Tabatabai, "dass es den Boeing-Technikern aufgrund der amerikanischen Sanktionen eigentlich gar nicht gestattet ist, in den Iran zu reisen." Es wäre aus seiner Sicht "ein Eklat", wenn die Blackbox wegen der Sanktionen nicht ausgewertet werden könne.

"Diese Situation ist unerträglich"

Durch den Flugzeugabsturz verändere sich die allgemeine Lage zuerst einmal nicht, erläutert Tabatabai. "Wenn sich aber der Abschuss durch iranische Raketen bewahrheitet, kann es einen Stimmungsumschwung im Land geben." Es gelte nun abzuwarten, was die Auswertung der Flugschreiber ergibt. "Sowohl der Iran als auch die USA haben ein Interesse, die Geschehnisse passend zu drehen", betont Tabatabai.

Er sagt: "Die Ereignisse haben sich überschlagen. Für uns Beobachter ist es schon schwierig, einen klaren Kopf zu bewahren." Noch schwieriger sei es aber für die Menschen in der Islamischen Republik, sagt der Sohn iranischer Eltern. "Die Iraner bekommen seit Tagen Nachrichten, die Ihnen Angst machen, dass ein Krieg unmittelbar ausbricht. Diese Situation ist unerträglich."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Adnan Tabatabai vom Center for Applied Research in Partnership with the Orient
  • Meldungen der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • "New York Times": "Video Shows Ukrainian Plane Being Hit Over Iran"
  • "Bellingcat": "Video Apparently Showing Flight PS752 Missile Strike Geolocated to Iranian Suburb"
  • Reuters: "Explainer: Missile system suspected of bringing down airliner: short range, fast and deadly"
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.