Das Bundesinnenministerium will die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung um ein Fünftel reduzieren. Kritiker sind empört – und eine Grünen-Abgeordnete kündigt Widerstand an.

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Im Koalitionsvertrag räumten SPD, Grüne und FDP dem Thema noch höchste Priorität ein: "Politische Bildung und Demokratieförderung sind mehr gefordert denn je", hieß es in dem Ende 2021 unterzeichneten Dokument. Nun soll jedoch auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) von den Kürzungsplänen der Regierung betroffen sein. Laut eines Haushaltsentwurfs des Bundesinnenministeriums (BMI) sollen die Mittel der bpb im kommenden Jahr um 20 Millionen Euro auf nunmehr 76 Millionen reduziert werden.

Die Bundeszentrale für politische Bildung existiert seit 1952 und hat den Auftrag, Bürgerinnen und Bürger über politische Sachverhalte zu informieren sowie das demokratische Bewusstsein in der Bevölkerung zu stärken. Das macht sie mit verschiedenen Veröffentlichungen – etwa der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" ­­­­–, mit Bildungsveranstaltungen sowie der Förderung von Projekten. Auch der "Wahl-O-Mat", eine Internetseite zur Unterstützung der eigenen Wahlentscheidung, wird von der bpb betrieben.

Dem Programm "Miteinander Reden" droht das Aus

Was Mittelkürzungen bei der im BMI angesiedelten Bundeszentrale bedeuten könnten, zeigt sich an dem Programm "Miteinander Reden", das sich speziell auf den ländlichen Raum in Deutschland konzentriert. Insgesamt 100 Projekte, die sich dem Dialog und der Stärkung der Zivilgesellschaft in Orten mit weniger als 15.000 Einwohnern verschrieben haben, werden in diesem Rahmen gefördert. "Wir wollen versuchen, diejenigen zu aktivieren, die sich abgehängt fühlen", erläutert Anja Ostermann, die Geschäftsführerin von "Miteinander Reden", im Gespräch mit unserer Redaktion.

Immer wieder habe das Programm Schwierigkeiten gehabt, die eigene Finanzierung zu sichern. Ostermann fürchtet, dass die Mittelkürzungen bei der bpb nun das Ende von "Miteinander Reden" besiegeln könnten. Das gelte auch für Aktivitäten, die bisher im Rahmen des "Aktionsplans gegen Rechtsextremismus" des BMI stattgefunden haben. "Das ist ein verheerendes Signal", sagt Ostermann. "Gerade in diesen Zeiten."

Sie glaubt, die Folge könnte ein Vertrauensverlust von Menschen auf dem Land gegenüber der Politik sein und die Prävention von Radikalisierungsprozessen, insbesondere auch in Ostdeutschland, erschweren. "Das wird die Entwicklung zum Rechtsextremismus nicht aufhalten – im Gegenteil." Zwar seien viele Projekte nicht ausschließlich von der Förderung von "Miteinander Reden" abhängig, so Ostermann. Dennoch ist sie überzeugt: "Für einige Projekte würden die Mittelkürzungen das Aus bedeuten."

Kritik kommt auch aus der Ampel-Koalition

Kritik an dem Haushaltsentwurf des BMI kam zunächst aus der Opposition. "Politische Bildung muss gestärkt werden – gerade jetzt!", schrieb der Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen (CDU) auf X, vormals Twitter. Auch die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg meldete sich auf dem sozialen Medium zu Wort: Die Kürzungsankündigung komme zur Unzeit, "denn unsere Demokratie ist labil".

Widerstand gibt es jedoch auch in der Regierungskoalition selbst. Die Grünen-Politikerin Marlene Schönberger will sich zusammen mit anderen Ampel-Abgeordneten "entschieden gegen diese gefährlichen Kürzungen bei der politischen Bildung stellen", wie sie unserer Redaktion sagte. "Jetzt ist nicht die Zeit für Kürzung bei der politischen Bildungsarbeit", findet Schönberger, die Mitglied im Kuratorium der bpb ist. "Ganz im Gegenteil: Die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland liegt in seiner demokratischen und liberalen Verfassung."

Das Fundament der Bundesrepublik sieht Schönberger durch antidemokratische Ideen, die insbesondere durch die Corona-Pandemie an Aufwind gewonnen hätten, bedroht. "Gerade erleben wir, wie erfolgreich die AfD diese Stimmung für sich ummünzt, während sie gleichzeitig ihre Radikalität immer offener zeigt."

Schönberger, die seit 2021 im Bundestag sitzt, habe sich von Anfang der Legislaturperiode an für mehr politische Bildung stark gemacht, erzählt sie. Dafür habe sie viel Zuspruch von Kolleginnen und Kollegen erfahren. "Auch von der Innen- und der Bildungsministerin wurde mir Unterstützung zugesichert." Sie habe gehofft, "dass wir politisch-historische Bildung intensivieren, gegebenenfalls neu denken". Ein Wunsch, der mit den angekündigten Mittelkürzung bei der bpb nicht vereinbar zu sein scheint.

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Das Innenministerium verteidigt seine Pläne

Das BMI teilt die Befürchtung, dass die geplanten Kürzungen bei der bpb eine Schwächung der Demokratie bedeuten könnten, nicht. Der Haushaltsentwurf gewährleiste, dass "wichtige Vorhabens- und Programmlinien zur Stärkung der wehrhaften Demokratie (...) auch 2024 wirksam fortgesetzt werden", sagte eine Ministeriumssprecherin der Nachrichtenagentur AFP. "Die Bekämpfung des Rechtsextremismus wird dabei eine zentrale Aufgabe in der politischen Bildung bleiben."

Dass eine größere Haushaltsdisziplin nötig ist, hat Finanzminister Christian Lindner (FPD) immer wieder betont. "Wir beenden nun den Krisenmodus expansiver Staatsfinanzen", hatte Lindner im Mai bei der Vorstellung des Bundeshaushalts für das kommende Jahr gesagt. "Das ist nicht nur Vorgabe der Verfassung, sondern ein Gebot ökonomischer Klugheit." Gleichzeitig stelle der Entwurf "Weichen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands".

Anja Ostermann von "Miteinander Reden" hat indes die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Kürzungen bei der bpb noch abgewendet werden können. "Es ist hoffentlich noch nicht das letzte Wort gesprochen." Anfang September soll der Haushaltsplan der Bundesregierung im Parlament diskutiert werden: Eine Gelegenheit für die Parlamentarier, Einwände anzubringen. Dann wird sich auch zeigen, ob sich kritische Abgeordnete wie Marlene Schönberger durchsetzen können – oder die bpb 20 Millionen Euro weniger im Jahr hinnehmen muss.

Verwendete Quellen:

  • Gespräche mit Marlene Schönberger und Anja Ostermann
  • Nachrichtenagentur AFP
  • Koalitionsvertrag von SPD, Grüne und FDP
  • Twitter-Profile von Norbert Röttgen und Anke Domscheit-Berg, Stand 10. August
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