Eine der schlimmsten Angriffswellen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs erschüttert die Region Ost-Ghuta nahe Damaskus. Eine UNICEF-Sprecherin gibt Einblicke in ein Gebiet, in dem es für Hilfsorganisationen schwer geworden ist zu helfen, während die Not der Menschen größer ist denn je.

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Hunderte Tote, weit über Tausend Verletzte. Mit der jüngsten Welle von Angriffen hat die Gewalt in der syrischen Region Ost-Ghuta einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht.

Dass Truppen von Machthaber Baschar al-Assad das Gebiet abriegeln und seit Monaten kaum noch Helfer durchlassen, verstärkt das Leid der rund 400.000 Einwohner zusätzlich.

Ninja Charbonneau, Pressesprecherin von UNICEF Deutschland, über "die Hölle auf Erden" und kleine Hoffnungsschimmer in einem Land, das seit fast sieben Jahren von einem Bürgerkrieg gebeutelt wird.

Frau Charbonneau, Ost-Ghuta ist quasi von der Außenwelt abgeschnitten. Was weiß UNICEF überhaupt über die Situation der Menschen?

Tatsächlich können unsere Mitarbeiter in Syrien derzeit nicht nach Ost-Ghuta hinein. Unsere Partner vor Ort schildern uns aber Verheerendes: Die Menschen stehen unter Dauerbeschuss und haben oft keinen Ort, wohin sie sich retten können. Berichten zufolge sind Dutzende Kinder in den vergangenen Tagen getötet worden. Die Familien sind verzweifelt, vielfach auch traumatisiert.

Die Region ist seit Jahren fast vollständig abgeriegelt. Dadurch gibt es zu wenig Lebensmittel und die, die es noch gibt, kann sich kaum noch jemand leisten. Ein Brot kostet dort mehr als 20 mal so viel wie in anderen Teilen Syriens.

Deshalb sind zwölf Prozent der Kinder mangelernährt. Das ist der höchste Wert, den wir bislang irgendwo in Syrien festgestellt haben. Das ist extrem besorgniserregend.

Außerdem sind viele Krankenhäuser zerstört, Medikamente rar. Sämtliche Schulen sind geschlossen.

Und trotz allem erhalten Hilfsorganisationen wie UNICEF keinen Zugang?

Hilfskonvois der Vereinten Nationen müssen genehmigt werden. Die Genehmigung ist auch für uns notwendig, um sicherzustellen, dass die Hilfe wirklich ankommt und dass wir unsere Mitarbeiter nicht in Gefahr bringen.

In der Vergangenheit sind solche Genehmigungen häufig nicht erteilt oder zumindest immer wieder nach hinten verschoben worden. Deshalb kommt viel zu wenig Hilfe an.

Zuletzt ist es uns vor einer Woche gelungen, gemeinsam mit der Organisation "Syrischer Roter Halbmond" eine Lieferung zu organisieren. Wir haben über 7.000 Menschen zum Beispiel mit Lebensmitteln, Medikamenten und Hygienesets beliefert.

Auch Schulmaterial war dabei, weil wir versuchen, dass auch in der schwierigsten aller Situationen für die Kinder die Möglichkeit zu Lernen bleibt und damit auch ein Hoffnungsschimmer. Nur leider sind 7.000 Menschen eben nur ein Bruchteil der Bedürftigen.

Wen machen Sie für die Blockade der Hilfslieferungen verantwortlich - die Regierung Assad?

Als Hilfsorganisation müssen wir neutral sein. Wir stehen auf der Seite der Kinder. Es gibt in Syrien viele Konfliktparteien und jede macht sich schwerer Verbrechen schuldig. Deshalb fordern wir erneut alle Parteien auf, den Konflikt zu beenden und eine sofortige Waffenruhe samt freiem Zugang für humanitäre Helfer zu ermöglichen.

Eine Waffenruhe scheint in weiter Ferne. Mehr noch: Medienberichten zufolge plant die Regierung eine Bodenoffensive in Ost-Ghuta. Können Sie abschätzen, was das für die Zivilisten bedeuten würde?
Ich glaube, das Leben dort ist bereits die Hölle auf Erden. Wenn man die Bilder sieht und die Berichte hört, kann man sich kaum vorstellen, dass es noch schlimmer werden kann. Allerdings haben wird das schon oft gedacht, wenn wir über den Krieg in Syrien gesprochen haben, und wurden leider immer wieder eines Besseren belehrt.

Haben Sie - bei all dem Leid, der scheinbaren Ausweglosigkeit - auch Hoffnung?

Ich war im November in Aleppo, das ja auch über Jahre vom Krieg gebeutelt wurde. Was Menschen anderen Menschen antun können, hätte ich nicht für möglich gehalten. Auch wenn man vom Ausmaß der Gewalt weiß, auch wenn man die Bilder der Zerstörung aus dem Fernsehen kennt - das selbst zu sehen war etwas ganz anderes und hat mich sehr bewegt.

Was mich aber auch sehr bewegt hat, waren die Zeichen der Hoffnung. UNICEF hat zum Beispiel in Aleppo nur wenige Wochen, nachdem der schwere Beschuss aufgehört hatte, inmitten eines völlig zerstörten Stadtviertels eine Containerschule aufgebaut.

Die gleichen Kinder, die uns von Angriffen, Hunger und getöteten Angehörigen erzählt haben, lernen dort. Sie singen Lieder und berichten von ihren Träumen, dass sie Ingenieur werden wollen oder Arzt. Das ist Hoffnung und Ansporn genug für unsere Arbeit.


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