Mit dem ersten Bündnisfall in der Geschichte der EU, den Frankreich nach den Anschlägen von Paris ausgerufen hat, muss auch die Bundesregierung in den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) eingreifen. Mit dem beschlossenen Einsatz von Kampfflugzeugen in Syrien überschreitet Berlin nicht nur seine eigene rote Linie – sondern lässt sich auch auf eine Operation in unbekannter Länge ein. Ein Gespräch mit Harald Kujat, ehemaliger General der deutschen Luftwaffe.

Mehr aktuelle News

Herr Kujat, was kann ein Lufteinsatz der Bundeswehr überhaupt bewirken?

Harald Kujat: Dieser Einsatz ist eine rein politische Maßnahme, die den Zweck hat, gegenüber unserem engsten europäischen Verbündeten Frankreich ein hohes Maß an Solidarität zu bezeugen. Der militärische Zweck, den IS zu schwächen, rückt dabei in den Hintergrund.

Der Einsatz der Bundeswehr ist zunächst auf ein Jahr beschränkt. Wie lange wird er ihrer Einschätzung nach tatsächlich dauern?

Das hängt von der politischen Entwicklung ab und inwieweit die internationale Allianz militärisch Erfolg gegen den IS hat, ihn also aus Syrien und dem Irak vertreiben kann. Und es hängt davon ab, wie schnell ein politischer Prozess in Gang kommt.

Was ist dafür notwendig?

Es hat schon zwei Syrien-Gespräche in Wien gegeben. Dabei ist es wichtig, dass Russland und USA mit am Tisch sitzen, aber auch Iran und Saudi Arabien. Davon, wie schnell Maßnahmen umgesetzt werden können, hängt die Dauer des Bundeswehreinsatzes ab.

Das könnte ein jahrelanger Prozess werden. Könnte das einen fast ebenso langen Einsatz der Bundeswehr bedeuten?

Ich rechne nicht mit einem langen Einsatz wie in Afghanistan oder dem Balkan für unsere Luftstreitkräfte. Aber die Frage, was geschieht danach, inwieweit muss das Land nach dem Übergangsprozess militärisch stabilisiert werden, wird dann zu klären sein. Ebenso wie die Frage, ob Deutschland sich dann daran beteiligt.

Könnten dafür früher oder später auch deutsche Bodentruppen notwendig werden?

Auch das hängt von der Situation ab und davon, wer an einem solchen Stabilisierungseinsatz teilnimmt. Das muss nicht zwangsläufig die Entsendung von Bodentruppen bedeuten. Allerdings ist das eine Frage, die man heute nur schwer beantworten kann.

Dennoch dürften auch in Syrien für die Sicherung der Stabilität militärische Kräfte nötig sein. Diese aber haben in Afghanistan nicht zwangsläufig zu mehr Stabilität geführt. Wie lässt sich dies im Fall von Syrien vermeiden?

Man kann solche Einsätze überhaupt nicht miteinander vergleichen. Der Afghanistan-Einsatz ist nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen gescheitert. Denn es ist uns nicht gelungen, eine echte Lebensgrundlage für die Menschen dort zu schaffen. Deshalb erleben wir nun auch wieder eine verstärkte Flüchtlingsbewegung aus Afghanistan. In Syrien ist die Lage eine andere: Bereits jetzt gibt es einen Dialog mit den beteiligten Mächten. Nun kommt es darauf an, dass dieser Dialog schnell vorankommt und zu ganz konkreten Maßnahmen führt.

Woran denken Sie dabei?

An drei Dinge. Eine Übergangsregierung, die relativ stabil ist, muss gebildet werden. Zweitens muss Stabilität im Lande geschaffen werden – auch durch einen wirtschaftlichen Wiederaufbau. Dafür ist sicher ein größeres finanzielles Programm notwendig. Drittens brauchen wir eine Situation, in der freie Wahlen möglich sind, so dass das Assad-Regime abgelöst wird. Diese drei Schritte zusammengenommen bieten dann auch eine Perspektive für die vielen Flüchtlinge. Sie könnten wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Das klingt gut, doch der IS ist ja längst nicht mehr nur in Syrien und dem Irak aktiv. Wie will man dieser Lage Herr werden? Kann die Bundeswehr das überhaupt leisten?

Das ist der kritische Punkt. Wenn wir erfolgreich sind in Syrien und dem Irak, dann wird der IS nicht völlig besiegt sein, sondern er wird ausweichen. Das tut er zum Teil jetzt schon, etwa nach Libyen, wo er seine Führungsstellen einrichtet. Aber er wird auch südlich der Sahara ausweichen, etwa nach Mali. Die Pläne, mit der Bundeswehr nach Mali zu gehen, um dort die französische Armee zu entlasten, gibt es ja schon. Doch dort werden wir wieder auf den IS treffen – und dann verstärkt.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.