Sie hat es mehrfach getan – in Posts, in Tweets, auf der Bühne: Greta Thunberg steht massiv in der Kritik, den Terror der Hamas zu verharmlosen und eine einseitige Sicht auf den Krieg in Israel zu propagieren. Ein Experte ist sich sicher: Die radikale Gesinnung von Thunberg kommt nicht überraschend, Anzeichen gab es schon lange. Außerdem äußert er sich zu der Frage: Steckt machtpolitisches Kalkül hinter ihren Aussagen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Einst die Klima-Ikone einer ganzen Generation, nun für viele schon dem Untergang geweiht: Die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg steht für ihre Äußerungen zum Krieg in Israel massiv in der Kritik.

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In Posts auf "X" (ehemals Twitter) und Instagram sowie in einer Rede vor 85.000 Zuschauern in Amsterdam relativierte Thunberg die Verbrechen der Hamas wiederholt und rief zu Anti-Israel-Demos auf. Während sie mit Plakaten posierte, die "Free Palestine", "Stand with Gaza" oder "Stopp the Genocide" fordern, kam von ihr kein Wort zum Leid der Jüdinnen und Juden. Auch eine Forderung, die Geiseln aus der Haft der Hamas freizulassen, blieb bislang aus.

Der internationale "X"-Account von "Fridays for Future" sprach in einem Beitrag von "Genozid", einem "Apartheid-System", welches Israel errichtet habe. Die Aktivisten warfen dem Land vor, ethnische Säuberungen betrieben zu haben. Ein Zitat: "Es gibt keine zwei Seiten. Der eine ist der Unterdrücker, der andere der Unterdrückte."

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Thunbergs Mitstreiter gehen auf Distanz

Die Reaktionen auf die Äußerungen der 20-Jährigen ließen nicht lange auf sich warten. Mitstreiter in Deutschland gingen auf Distanz und betonten, der internationale Account spreche nicht für sie und sei nicht abgestimmt: "Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar. Humanitäres Völkerrecht gilt für alle. Menschenrechte gelten für alle", schrieb beispielsweise "Fridays for Future Deutschland" auf "X". Es sei kein Widerspruch, sich mit Jüdinnen und Juden zu solidarisieren und gleichzeitig das Leid in Gaza zu sehen.

Noch deutlichere Worte kamen von israelischen Klimaschützern. In einem offenen Brief verliehen sie ihrer Empörung Ausdruck und schrieben, sie seien "zutiefst verletzt, schockiert und enttäuscht". Thunbergs Äußerungen seien "erschreckend einseitig, schlecht informiert und oberflächlich", hieß es.

Anzeichen bei Thunberg in der Vergangenheit

Dabei hatte Thunberg in der Öffentlichkeit meist als jemand gegolten, der in Details eintauchen und die Komplexität von Themen begreifen konnte. Nun aber urteilte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, auf "X" über ihre Aussagen: "Damit hat sich #GretaThunberg als ernstzunehmende Stimme aus jeder ethischen Debatte verabschiedet."

Politikwissenschaftler Alexander Straßner zeigt sich nicht überrascht von der radikalen Grundhaltung von Thunberg, die nun immer offener durchscheint. "Die eindeutige Positionierung auf Seiten der Hamas ohne Nennung des Hamas-Angriffs vom 07. Oktober und der jüdischen Opfer ist das eine, aber eindeutig rechtsextreme Verschwörungserzählungen von einer global zionistisch beeinflussten Medienagenda zu kolportieren, noch einmal etwas ganz anderes", sagt er. Thunberg habe bereits 2021 unreflektiert Äußerungen der Schriftstellerin und BDS-Unterstützerin Naomi Klein gepostet, die von palästinensischen "Märtyrern" gesprochen hatte.

Straßner führt aus: "Andererseits, und darauf habe ich bereits 2019 hingewiesen, ist es ihr binäres Weltbild von Gut und Böse, Richtig und Falsch, die Selbstmandatierung, für eine ganze Generation zu sprechen, und der absolute Wahrheitsanspruch, das protoextremistisches (etwa "in einem Vorstadium extremistisches", Anm. d. Red.) Gedankengut transportiert." Man habe diese Tendenzen schon lange sehen können – deshalb handele es sich seiner Meinung nach auch nicht um einen "Absturz" von Thunberg.

Auch der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume erinnerte auf "X", er habe bereits in der Vergangenheit den weit verbreiteten Antizionismus und Antisemitismus bei "Fridays for Future" international angesprochen.

Die deutsche Sektion von "Fridays for Future" legte die internationale Zusammenarbeit vorerst auf Eis und will prüfen, mit wem man in Zukunft zusammenarbeiten kann. "Der Vertrauensverlust ist groß", sagte die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer (27) gegenüber dem "Spiegel".

Kalkül hinter den Äußerungen?

Eine Interviewanfrage unserer Redaktion lehnt "Fridays for Future Deutschland" aufgrund von Engpässen und zeitlichen Kapazitäten ab. Eine Sprecherin verweist aber unter anderem auf ein Interview ihres Mitglieds Carla Reemtsma, die in der "Tagesschau" gesagt hatte: "Greta Thunberg verletzt gerade mit ihren Aussagen ganz, ganz viele Menschen, weil jüdisches Leid nicht sichtbar gemacht wird in dem, was sie sagt."

Muss sich die Klimabewegung eine neue Galionsfigur suchen? Oder sind Thunbergs Äußerungen sogar darauf bedacht, neue Kreise an Unterstützern zu erschließen? Straßner sagt: "Selbstverständlich gibt es eine Tradition des linken Antisemitismus, gerade in Deutschland, der sich aus der Gegnerschaft zu den USA und der Abneigung gegenüber Kapitalismus und Imperialismus speist." Es gehöre aber zur medial und inhaltlich konstruierten Person Thunberg, dahinter eine besonders intelligente Strategie zu vermuten, den Aktionsradius zu erweitern.

"Fridays for Future" steht unter Druck

"Freilich steht Fridays for Future medial besonders unter Druck. Einerseits, weil die Radikalisierung der Klimabewegung, wie sie in der "Letzten Generation" Gestalt angenommen hat, ihr in puncto Öffentlichkeitswirksamkeit das Wasser abgegraben hat. Andererseits haben der Ukrainekrieg, Inflation, ökonomische und soziale Probleme und natürlich der Nahostkonflikt sie wieder auf die Plätze verwiesen", analysiert der Experte.

Hier müsse neue Aufmerksamkeit generiert werden. "Aber diese Stereotype sind weder neu noch Teil einer politischen Strategie, sondern Ausfluss eines individuellen Strebens nach Außergewöhnlichkeit", sagt Straßner. Thunberg glaube, etwas besonders Intelligentes gesagt zu haben, das sich natürlich stets in kurzen Schlagwörtern und formelhaften Bekenntnissen zusammenfassen lasse.

"Wer sich ein Leben lang mit diesen Problemen beschäftigt und am Ende kein eindeutiges Statement zutraut, ist im Grunde in ihren Augen bemitleidenswert. Am Ende zählt nur die Haltung. Und wer ist nicht für die Unterdrückten?", sagt er. Es sei beschämend, wie viele Menschen, auch und besonders Intellektuelle, derzeit nicht zu kritischen Äußerungen imstande seien – aus Angst vor öffentlicher Kritik oder einem Schaden an Reputation.

Über den Gesprächspartner:

  • Prof. Dr. Alexander Straßner ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Universität Regensburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die Extremismusforschung.

Verwendete Quellen:

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