Eine militante Gruppe namens "Boogalo Bois" infiltriert Demonstrationen in den USA und plant den Umsturz des Systems. Entstanden ist die Gruppe aus einem Internetphänomen. Mittlerweile ist die Bedrohung real.

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Seit Wochen demonstrieren auf den Straßen von Washington, Chicago oder New York Menschen gegen Polizeigewalt. Unter den Demonstranten gibt es dabei eine stille Vereinbarung: Schwarz sollen sie tragen und friedlich soll es zugehen. Immer wieder haben sich unter die Protestler in den vergangenen Wochen Menschen gemischt, die sich weder an den Dresscode halten, noch den Eindruck erwecken, sie teilten den friedlichen Zweck der "Blacklivesmatter"-Bewegung.

Die Störer sind schwerbewaffneten Männer, die ihre Magazine mit Aloha-Mustern verzieren und knallbunte Hawaiihemden tragen. Ihre Köpfe sind hinter Halbmasken versteckt, die Totenschädelmünder oder grinsende Clownsfratzen zeigen. Aus ihren Mündern schallen bürgerkriegsähnliche Parolen, sie stören die Veranstaltungen, sie stiften Unruhe.

Es handelt sich um sogenannte "Boogalo Bois", eine militante Gruppe, die aus einem Internetphänomen hervorgegangen ist, sich aber längst zu einer realen Bedrohung entwickelt hat. Hinter ihren Masken verstecken sich keine verschrobenen Witzbolde, sondern Libertäre, Nazis und Waffenfreaks, die einen zweiten Bürgerkrieg herbeisehnen – den Umsturz von Politik, Polizei und Staat.

Die aktuellen Demonstrationen, sei es gegen brutale Polizisten oder Corona-Maßnahmen, könnten in dieser Erzählung der entscheidende Katalysator für einen gewaltsamen Umsturz sein. Selbst legitimieren sie sich mit Verweis auf den zweiten Verfassungszusatz der USA, der besagt: "Eine wohl regulierte Miliz, die notwendig ist, die Sicherheit eines freien Staates zu erhalten, das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, ist nicht einzuschränken." Sie lassen keinen Zweifel daran, dass sie ihr Waffenarsenal für diesen Zweck gerne einsetzen möchten.

Im Internet philosophieren die "Boogalo Bois" vom Staatsstreich

Die "Boogalo Bois" sind, wie so viele staatsfeindliche Bewegungen in den vergangenen Jahren, aus den Echokammern des Internets in die reale Welt herübergeschwappt. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Freude an einem misslungenen Film namens "Breakin’ 2: Electric Boogaloo", der im Internetforum 4Chan wegen seiner miserablen Qualität als Inkarnation einer schlechten Filmfortsetzung abgefeiert wird.

4Chan wiederum ist einer der wenigen noch verbliebenen anarchischen Orte im Internet. Hier treffen sich Gewaltfanatiker, Gamer und Frauenhasser hinter einem anonymen Schutzwall. 2013 setzte sich dort ein kanadischer Nutzer vor seiner laufenden Webcam in Flammen, während 200 Zuschauer ihn anfeuerten. In Deutschland wurde das Netzwerk bekannt, als nach dem Doppelmord in Herne in dem Forum Leichenbilder auftauchten.

Auch die Alt-Right-Bewegung, eine in Amerika schlagkräftige Truppe aus Waffennarren und Anhängern der Rassentheorie, philosophiert in dem Netzwerk über den bevorstehenden Staatsstreich.

Die Militanten haben sich von Freak-Medien emanzipiert

In einer Untergruppe des Forums namens "/k/", in der sich Nutzer gewöhnlich über Waffen austauschen, tauchte der Begriff "Boogalo Bois" erstmals 2012 auf, als im Rahmen der Wiederwahl von Barack Obama über einen Bürgerkrieg fantasiert wurde. Irgendwann wurde "Electric Boogaloo" auch als Chiffre für die "Fortsetzung" oder den "zweiten Teil" des amerikanischen Bürgerkriegs bemüht.

Heute haben sich die "Boogalo Bois" von dem Netzwerk, das zwar zu den meistbesuchten Seiten des Internets gehört, aber immer ein Treffpunkt von Freaks geblieben ist, emanzipiert. Experten des Recherchenetzwerks "Bellingcat" beobachteten in den vergangenen Monaten eine wachsende Aktivität auf Facebook, Youtube, Instagram, Telegram oder Twitter.

Ein Bericht des Tech-Transparency-Projects identifizierte 125 Facebook-Gruppen, die den "Boogalo Bois" nahestehen, mehr als 60% waren zwischen Februar und April entstanden, also in den Monaten, in denen die Corona-Maßnahmen erstmals eingesetzt wurden.

Dabei geben die toxische Mischung aus Freiheitseinschränkungen und Wirtschaftscrash, der Eindruck eines allmächtigen Leviathans, der den Menschen in Corona-Zeiten bis ins Badezimmer folgt, dieser bislang unbekannten Truppe erst richtig Auftrieb. Die Gefahr ist mittlerweile real.

So wurde in Odessa (Texas) eine Gruppe schwerbewaffneter Männer festgenommen, die eine Bar "beschützen" wollten, nachdem diese sich dem Corona-Sperrbefehl widersetzt hatte. Einer der Festgenommenen sympathisierte offenbar mit den "Boogalo Bois", oder war selbst einer. Auf Faebook folgte er dutzenden einschlägigen Seiten. Auf seinem Konto zeigte er mehrere Bilder, auf denen er mit schwerbewaffneten Männern in Hawaii-Shirts posierte.

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Experten rätseln, wo sie die "Boogalo Bois" einordnen

Drei Mitglieder der rechtsextremen "Boogaloo"-Bewegung wurden wenig später in Las Vegas unter dem Vorwurf des innerstaatlichen Terrorismus verhaftet, weil sie versucht hatten, bei Protesten Gewalt zu entfachen. Die Verdächtigen sind weiße, ehemalige US-Soldaten, ihnen wird die "Verschwörung zur Beschädigung und Zerstörung durch Feuer und Sprengstoff sowie der Besitz einer nicht registrierten Schusswaffe" vorgeworfen.

Noch rätseln Behörden und Forscher, welcher Ideologie die "Boogalo Bois" anhängen, von denen die Meisten offenbar weder klassische Linksextreme noch Rechtsextreme sind. Den bevorstehenden apokalyptischen Konflikt haben sie etwa mit islamistischen Terroristen oder der militanten linksextremen Szene gemein.

Auf Facebook-Seiten wie "Big ­Igloo Bois" mit mehr als 34.000 Likes, wird sich wiederum von Neonazis abgegrenzt, und es finden sich sogar mehrere kritische Kommentare über die Polizeigewalt gegen Teilnehmer der antirassistischen Proteste. Man sieht sich eher in der "libertären" Ecke und als Teil einer "Bürgermiliz". Andere sind wiederum bekennende Unterstützer von US-Präsident Donald Trump.

Dennoch gibt es viele Überschneidungen mit der radikalen Rechten. So wird beispielsweise der Rechtsterrorist, der im April 2019 einen Anschlag auf die Synagoge im kalifornischen Poway verübte, von einigen als Symbolfigur und Vorbild verehrt. Viele Anhänger sehen zudem in der "Blacklivesmatter"-Bewegung ihre Chance, die "weiße Rasse" zu verteidigen.

Quellen:

  • SPLCenter - The 'Boogaloo' Started as a Racist Meme
  • Middlebury Institute of International Studies at Monterey - The Boogaloo Movement Wants To Be Seen as Anti-Racist, But It Has a White Supremacist Fringe
  • Bellingcat.org - The Boogaloo Movement Is Not What You Think
  • The Intercept - How the Far-Right Boogaloo Movement Is Trying to Hijack Anti-Racist Protests for a Race War
  • Washington Post - Men wearing Hawaiian shirts and carrying guns add a volatile new element to protests
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