Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat mit seinem "brutalen" Satz über ältere Patienten in der Coronakrise auf breiter Front Empörung ausgelöst. Palmer hält diese für unberechtigt.

Mehr News-Themen finden Sie hier

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer kündigte im Frühstücksfernsehen von Sat.1 einen "brutalen" Satz an, und der kam: Palmer halte die Rettung über 80-jähriger, vorerkrankter Menschen in der Coronakrise für überflüssig.

Wörtlich sagte er: "Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen sowieso tot wären."

Lesen Sie auch: Alle Entwicklungen rund um das Coronavirus in unserem Live-Blog

Dafür gab es für den Grünen-Politiker auch aus den eigenen Reihen Gegenwind. Der Kreisverband Tübingen der Grünen distanzierte sich von den Äußerungen Palmers.

Grünen-Kreisverband: "Palmer soll seine Haltung überdenken"

"Wir fordern Boris Palmer dringend auf, seine Haltung zu überdenken", erklärte der Kreisvorstand der Partei am Dienstagabend. Die Würde des Menschen sei unantastbar. Dies gelte für Menschen jeden Alters.

Die baden-württembergischen Grünen-Vorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand erklärten, Palmer spreche nicht für die Grünen. "Mit seinen kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen beteiligt er sich an einer Polarisierung und Brutalisierung der öffentlichen Debatte - das ist mit unseren politischen Werten und unserem Verständnis von politischer Verantwortung nicht vereinbar."

Bayram und Binder: "Das ist menschenverachtend"

Canan Bayram, einziges direkt gewähltes Mitglied der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin, warf Palmer in einem Tweet "Menschenverachtung" vor und erinnerte an eine andere bedenkliche Bemerkung Palmers aus der jüngsten Vergangenheit. Dabei vertauschte sie indes den Vornamen Palmers: "Noch vor 3 Wochen wollte Bernd Palmer ältere Menschen separieren und nun will er sie sterben bzw. durch Unterlassung töten lassen."

Aus Bayrams früherer Partei, der SPD, kam ebenfalls Kritik an Palmers Offenheit. Der baden-württembergische Generalsekretär Sascha Binder nannte Palmers Äußerungen "menschenverachtend" und fuhr fort: "Den Wert von Menschen nach ihrer Funktionalität und ihrem Alter zu bewerten, hätte ich nun nicht von einem grünen Parteimitglied erwartet, selbst von Herrn Palmer nicht."

Mit Blick auf die Stellungnahme der Grünen-Landesspitze fügte der SPD-Politiker hinzu: "Herr Palmer ist ein Grüner - mal sehen, wie lange er es nach Ansicht seiner Partei bleiben kann."
Scharfe Kritik an dem Tübinger Oberbürgermeister übte auch der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Palmer bleibe seiner Linie als "Tabubrecher" treu, erklärte Brysch.

Palmer entschuldigt sich - teilweise

Er betreibe "billige Hetze" und schüre Ängste von Millionen alten Menschen. "Damit betätigt sich Palmer als Brandstifter, obwohl er kraft seines Amts Feuerwehrmann sein muss."

Palmer selbst kritisierte in einem Eintrag auf Facebook "Empörung als Prinzip" und empfahl allen Kritikern, das Video seines Interviews nochmals genau anzuschauen: "Hätte ich nahegelegt, dass man alte Menschen sterben lassen könne oder keinen Aufwand für sie betreiben müsste, die Empörung wäre berechtigt. Nur habe ich das nachweislich nicht getan. Diesmal kann man alles im TV-Video Wort für Wort nachschauen."

Der dpa gegenüber aber relativierte er seine Wortwahl trotzdem und zeigte einen Anflug von Reue. "Niemals würde ich älteren oder kranken Menschen das Recht zu leben absprechen." Falls er sich "da missverständlich oder forsch ausgedrückt" habe, tue es ihm leid.

Moderator bei Sat.1 reagiert auf Palmers Satz geschockt

Direkt nach seiner Aussage hatte der Moderator der Sat.1-Sendung, Daniel Boschmann, schockiert reagiert: "Sie müssen mir gestatten, mir stockt trotzdem immer der Atem, wenn man darüber spricht, dass die Coronakrise einige Opfer fordern muss. Dann wird es eine unfassbar moralische Diskussion. Und es trifft auch vermeintlich gesunde, junge Menschen." (dpa/AFP/hau)

Wie Gesichtsmasken die Bewegung von Luftpartikeln verhindern

Wie Gesichtsmasken die Bewegung von Luftpartikeln verhindern

Wissenschaftler der Bauhaus-Universität Weimar haben die Bewegung von Luftpartikeln unter verschiedenen Bedingungen aufgezeichnet, um zu verdeutlichen, wie wichtig das Tragen einer Gesichtsmaske im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus ist.
Nachrichten aus anderen Regionen
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.