• In der Hochphase des Bundestagswahlkampfes durchsuchten Ermittler die Bundesministerien für Finanzen und für Justiz.
  • Nun hat ein Gericht erklärt, die Razzia im Justizministerium hätte so nicht stattfinden dürfen, sie wäre wohl auch gar nicht nötig gewesen.
  • Deshalb kommt erneut die Frage auf: War das ganze ein Wahlkampfmanöver, gerichtet gegen den damaligen Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen des Autors bzw. der zu Wort kommenden Experten einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Ermittler in zwei der zentralsten Behörden Deutschlands. Dazu noch mitten im Wahlkampf. Es war klar, dass die Durchsuchungen im Bundesfinanz- und im Bundesjustizministerium Mitte September 2021 für Aufsehen sorgen werden. Weniger als drei Wochen vor der Bundestagswahl waren Staatsanwaltschaft und Polizei zu einer Razzia in die beiden Ministerien in Berlin ausgerückt. Hintergrund waren Ermittlungen wegen Strafvereitelung bei einer für die Geldwäschebekämpfung zuständigen Einheit des Zolls.

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"Insbesondere individuelle Verantwortlichkeiten" wollte die leitende Staatsanwaltschaft Osnabrück aufklären, wie die Behörde damals erklärte. Explizit erwähnte sie in ihrer Pressemitteilung auch "die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien", die sie ins Visier nehmen wolle – gemeint war damit vor allem der damalige Finanzminister Olaf Scholz, zugleich Kanzlerkandidat der SPD. Deshalb und weil die beiden Ministerien die Durchsuchungen sogleich als ungewöhnlich und untätig kritisierten, kamen schnell Spekulationen auf, wonach die Vorgänge politisch motiviert gewesen sein könnten.

Dieser Eindruck verstärkt sich nun, fünf Monate später. Denn das Landgericht Osnabrück hat den ursprünglichen Durchsuchungsbefehl für das Bundesjustizministerium aufgehoben. Wichtige Voraussetzungen für den Erlass seien nicht erfüllt, teilte das Gericht in der niedersächsischen Stadt am Donnerstag mit. Zudem sei die Anordnung der Durchsuchung in den Räumen des Ministerium als unverhältnismäßig und unangemessen einzustufen.

Richter legen lange Liste mit Auffälligkeiten vor

Die Liste der Auffälligkeiten ist lang:

  • Ein für die Staatsanwaltschaft zentrales Schriftstück und weitere Beweismittel seien bereits seit einer früheren Durchsuchung im Juli 2020 Teil der Ermittlungsakten gewesen und lagen demnach vor, wie aus der Entscheidung des Osnabrücker Landgerichts hervorgeht (Geschäftszeichen 12 Qs 32/21).
  • Eine Vernichtung von Beweismitteln war damals nicht zu befürchten und es bestand auch keine besondere Eilbedürftigkeit.
  • Zudem sei nicht geklärt gewesen, dass das Justizministerium die freiwillige Herausgabe der fraglichen Beweismittel ablehnen würde. Jedenfalls sei keine entsprechende schriftliche Anfrage der Staatsanwaltschaft erfolgt, erklärten die Richter.

Darüber hinaus hätten auch keine "Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten" im Justizministerium bestanden. Die Folgen der Durchsuchung stünden in keinen angemessenem Verhältnis zu deren Auswirkungen, auch mit Blick auf das "Ansehen" der Bundesrepublik, bemerken die Richter. Das Ministerium war zum Zeitpunkt der Durchsuchungen ebenso in SPD-Hand, es wurde von Christine Lambrecht geführt.

Staatsanwalt, Amtsrichterin und Jusitzministerin – alle CDU-Mitglied

Ins Auge sticht ebenfalls, dass die entscheidenden Personen laut eines "Taz"-Berichts alle Mitglied der CDU sind: der zuständige Staatsanwalt und die Amtsrichterin in Osnabrück genauso wie Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza, die den Durchsuchungsbeschluss letztendlich genehmigte.

Havliza hatte bereits im vergangenen September den Vorwurf einer politisch motivierten Einflussnahme zurückgewiesen. "Einen solchen Einfluss hat es nicht gegeben", sagte sie der "Bild"-Zeitung. Der Vorwurf offenbare "ein bedenkliches Verständnis von den Abläufen in der Justiz - und auch von ihrem Selbstverständnis".

Die CDU versuchte dennoch – wie auch die anderen Bundestagsparteien – aus den Ermittlungen im Haus des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten politisch Kapital zu schlagen. "Die politische Verantwortung für die jetzt durch die staatsanwaltlichen Ermittlungen öffentlich gewordenen Vorgänge tragen Herr Scholz und Frau Lambrecht", sagte etwa der Unions-Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg (CDU) im Wahlkampf dem Portal "T-online.de".

Zuständige Staatsanwaltschaft weist Teile der Kritik zurück

Die Osnabrücker Staatsanwaltschaft erklärte am Donnerstag, sie akzeptiere die Entscheidung des Landgerichts. Diese habe "Rechtsfragen um die Anforderungen an eine Durchsuchung von Behörden präzisiert", auf den Fortgang der fraglichen Ermittlungen habe sie keinen Einfluss.

Zugleich wies die Behörde aber Teile der Argumentation des Gerichts zurück. Die beschlagnahmten Unterlagen hätten nicht im Vorfeld bereits vorgelegen. Auch sei wegen eines möglichen Wechsels von Mitarbeitern nach der Wahl ein etwaiger "Beweismittelverlust" etwa bei elektronischen Mitteilungen nicht ausgeschlossen gewesen.

Bundesjustizminister Buschmann begrüßt Gerichts-Entscheidung

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begrüßte die "klare Entscheidung" des Gerichts. "Man kann dem Justizministerium und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertrauen – das ist die wichtige Botschaft", erklärte er am Donnerstag in Berlin zu dem Beschluss über die damalige Durchsuchung in der Amtszeit seiner Vorgängerin Lambrecht.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, Johannes Fechner, bezeichnete die Entscheidung als "schallende Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft". Es sei offensichtlich, dass diese kurz vor der Bundestagswahl "völlig unverhältnismäßig" gewesen sei, sagte er am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP.

In dem Verfahren geht es laut Staatsanwaltschaft um den Verdacht, dass die beim Zoll angesiedelte Financial Intelligence Unit (FIU) von Banken eingereichte Geldwäscheverdachtsmeldungen "in Millionenhöhe" nicht an Polizei und Justiz weitergeleitet hat. Nachgegangen werden soll zudem der Frage, warum die Zahl der Verdachtsmeldungen "auf einen Bruchteil zurückgegangen ist".

Mit Material der AFP und der dpa.
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