Die Kapitänin der "Sea-Watch 3" bekommt in Deutschland viel Zuspruch. Unterstützer sammeln Geld, Politiker verteidigen sie, Heldenkränze werden geflochten. In Italien sieht man das ganz anders - und zwar nicht nur Matteo Salvini.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In Deutschland wird Carola Rackete gerne als humanitäre Heldin gefeiert, die gegen dunkle Mächte furchtlos Menschenleben rettet. Prominente sammeln Spenden, Medien werfen sich in Leitartikeln für sie ins Zeug, grüne und linke Politiker bis zum Außenminister Heiko Maas (SPD) preisen sie [Video: Heiko Maas fordert Freiheit für Carola Rackete]. Sogar der Bundespräsident liest in der Sache Italien erstaunlich undiplomatisch die Leviten.

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In Italien zeigt sich ein ganz anderes Bild. Dort wird die deutsche Kapitänin der "Sea-Watch 3" eher als moralisch eitle Schlepperin und links-aktivistische Gesetzesbrecherin betrachtet. In der vergangenen Woche sprachen sich in einer Meinungsumfrage nur 33 Prozent für die Aufnahme der Sea-Watch-Flüchtlinge aus, 61 Prozent waren dagegen.

Unter den Wählern der größten Partei, Innenminister Matteo Salvinis Lega, erreicht dieser Wert sogar 93 Prozent. Doch auch bei Salvini-kritischen Italienern wird das Verhalten der deutschen Kapitänin skeptisch beäugt. Die Kommentarlage in Rom und Mailand ist deutlich kritischer als in Deutschland.

Es wird darauf verwiesen, dass gerade die restriktive Anlandungspolitik Italiens die Zahl der toten Migranten im Mittelmeer drastisch gesenkt habe, weil immer weniger sich nun dem Risiko einer Flucht über das Meer aussetzen würden.

Humanitärer Notfall oder politische Demonstration?

In Deutschland wird mit moralischer Selbstgewissheit betont, es sei Rackete nur um die Rettung von Menschenleben gegangen und das rechtfertige alles - auch das gewaltsame Eindringen in den Hafen von Lampedusa (Heiko Maas: "Seenotrettung ist keine Straftat.")

In Italien hingegen pocht man darauf, dass Gesetze schlichtweg zu respektieren seien. Rackete habe nicht aus Notwehr gehandelt, sondern aus politischem Kalkül. Die "Sea Watch" hätte die Geretteten problemlos nach Libyen oder Tunesien bringen können, oder aber direkt nach Spanien, Frankreich, Holland (das Schiff fährt unter holländischer Flagge) oder Deutschland. Das aber habe Rackete gar nicht erst versucht.

Es gehe in diesem Fall also nicht um einen humanitären Notfall, sondern um eine politische Demonstration. Das Gefühl, Italiens rechte Regierung sollte von linken deutschen Aktivisten vorgeführt und moralisch belehrt werden, ist in Italien weit verbreitet und führt zu einem Shit-Storm in den sozialen Medien Italiens.

Dass die deutsche Kapitänin italienische Gesetze gebrochen, ein italienisches Patrouillienboot missachtet und bedrängt habe, wird als ebenso inakzeptabel empfunden wie die politischen Kommentare von Racketes Vater, dem Ex-Bundeswehroffizier Ekkehard Rackete: "Leider kann sie kein Italienisch. Sonst würde sie Innenminister Matteo Salvini einen Satz rote Ohren verpassen."

Und so hat der Vorgang das Potenzial, die deutsch-italienischen Beziehungen schwer zu belasten. Die Regierung in Rom verbittet sich gereizt "Morallektionen" aus Berlin.

"Der deutsche Präsident und Außenminister sollen sich besser um ihre Innenpolitik kümmern. Der Präsident soll seinen Mitbürgern ausrichten, sie möchten sich an die italienischen Gesetze halten, statt das Leben von Polizisten zu gefährden," wettert Italiens Innenminister.

Carola Rackete: Eine Belastung für Deutsch-Italienische Beziehungen

Rackete werden Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Verletzung des Seerechts und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen.

In Rom ist das keineswegs eine isolierte Position des Rechtspopulisten Salvini. Auch die Minister von Salvinis Partnerpartei "Cinque Stelle" stehen in dieser Frage hinter ihm.

Sogar der sonst recht moderate Premier Italiens, Giuseppe Conte, ist wütend über die deutsche Attitüde: "Sollte Angela Merkel mit mir über Rackete reden wollen", sagte er, "dann wäre das eine gute Gelegenheit für mich, nach dem Verbleib der Manager von Thyssen zu fragen."

Gemeint waren die Deutschen Harald Espenhahn und Gerald Priegnitz, frühere Manager von Thyssen Krupp, die nach einem Brand im Turiner Werk des Stahlkonzerns 2007, bei dem sieben Angestellte ums Leben gekommen waren, in Italien rechtskräftig zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Ihre Haft haben sie bisher aber nicht angetreten, weil in Deutschland ein Berufungsverfahren läuft. Conte findet, der Fall werde absichtlich verschleppt.

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Alte Wunden der transalpinen Beziehungen reißen also auf, und auch der EU-Personalpoker in Brüssel ist davon tangiert gewesen. Rom wollte sich von Berlin nun gerade keinen migrationsfreundlichen linken Politiker wie Frans Timmermans als EU-Kommissionspräsidenten aufzwingen lassen.

Da die Kommentare zwischen Rom und Berlin im Fall Rackete immer giftiger werden, hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) nun zur beiderseitigen Mäßigung und die deutsche Seite zur Selbstkritik aufgerufen: "Dass man Menschen, die in Seenot sind, retten muss, darüber kann man ja nicht ernsthaft diskutieren", betont Schäuble.

Allerdings sollten Seenotrettungs-Organisationen vermeiden, mit ihrer Arbeit falsche Signale zu senden und so das Geschäft der Schlepper zu befördern. "Das gehört zur Wahrheit dazu."

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