Mit dem Wechsel an der Parteispitze hat sich die CDU einen Aufwind in Umfragen erhofft, doch ein "Schulz-Effekt" bleibt bei Kramp-Karrenbauer bislang aus. Noch kann die konservative Partei nicht von ihrer neuen Vorsitzenden profitieren. Woran liegt das?

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Seit rund vier Monaten ist Annegret Kramp-Karrenbauer nun Parteivorsitzende der CDU. Spätestens Ende 2020 könnte sie zur Kanzlerkandidatin ausgerufen werden – und in gut zwei Jahren womöglich Kanzlerin sein.

Zunächst verzeichnete die CDU ein kleines Plus um drei Prozentpunkte in den Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen, nachdem Kramp-Karrenbauer im Dezember von den Delegierten in Hamburg zur neuen CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. Danach stagnierte der Wert - und befindet sich mittlerweile eher auf dem Sinkflug. Laut jüngstem Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen (April 2019) würden aktuell nur noch 28 Prozent der Befragten der Union bei einer Bundestagswahl ihre Stimme geben.

Wo bleibt der "AKK-Effekt"?

Dabei hat die Vergangenheit gezeigt, dass Personalwechsel an der Spitze einen erheblichen Einfluss haben können. Das bekannteste Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist Martin Schulz mit dem "Schulz-Effekt".

Ende Januar 2017 hatte die SPD offiziell bekanntgegeben, dass Schulz den Parteivorsitz übernimmt und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten wird. Daraufhin gewann die Partei in Umfragen in kurzer Zeit über zehn Prozentpunkte hinzu.

"Schulz profitierte davon, dass er als Projektionsfläche diente und zum damaligen Zeitpunkt die Unzufriedenheit über die SPD-Führung groß war. Er weckte Hoffnungen und Erwartungen auf etwas Neues", sagt Uwe Jun. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier und Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.

Bei Kramp-Karrenbauer waren beide Faktoren nicht gegeben. Kurz vor Weihnachten, mitten in der Legislaturperiode und weit entfernt von wichtigen Wahlen, war wenig Platz für ein personelles Spektakel.

"Weder konnte sie als Projektionsfläche für Hoffnungen oder Erwartungen dienen, noch profitierte sie davon, dass ihre Vorgängerin Angela Merkel schlechte Werte hatte", sagt Jun. Die Bundeskanzlerin befindet sich in den Sympathie-Umfragen stets unter den drei beliebtesten Persönlichkeiten in der Politik.

Kramp-Karrenbauers Beliebtheit sinkt

Dass Kramp-Karrenbauer keinen großen Effekt auf die Partei hat, bedeutet jedoch nicht, dass sie selbst unveränderte Zustimmung genießt. Zwischen Ende Februar und Mitte März brachen ihre Beliebtheitswerte um die Hälfte ein: von 1,4 auf 0,7 Punkte. Um diesen Wert schwankt ihre Wählerbewertung seitdem. Die Skala des Politbarometers reicht von minus 5 bis plus 5.

Verantwortlich dafür könnte Kramp-Karrenbauers Kommentar über homo- und transsexuelle Menschen auf einer Fastnachtsveranstaltung sein. Sie wurde dafür kritisiert – und konterte mit Kritik: "Heute habe ich das Gefühl, wir sind das verkrampfteste Volk, das überhaupt auf der Welt herumläuft, das kann doch so nicht weitergehen."

Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier bezweifelt jedoch, dass sie sich damit nachhaltig geschadet habe: "Ich würde es so formulieren: Der Witz auf der Karnevalsveranstaltung hat ihr nicht genutzt." Sie habe damit polarisiert – und die christlich-konservative Fahne gehisst. Eben jenen Markenkern vermissen einige Parteianhänger schon länger.

Relevanter für Kramp-Karrenbauers verhaltene Sympathiewerte in der Bevölkerung seien andere Gründe, meint Jun: "Jemand wie Kramp-Karrenbauer, die nicht direkt in der Koalition mitwirkt, hat weniger Möglichkeiten, sich in der Öffentlichkeit zu positionieren."

Kramp-Karrenbauers Themen liegen anderswo

Bevor Kramp-Karrenbauer 2011 Ministerpräsidentin des Saarlandes wurde, wechselte sie über elf Jahre als Ministerin zwischen den Ressorts Inneres, Bildung und Arbeit. Bundespolitisch positionierte sie sich bisher vor allem zu den Themen Integration und EU-Außengrenzen.

Nun kreist die mediale Aufmerksamkeit jedoch seit einigen Wochen eher um den Brexit, die Fridays for Future-Proteste und die deutsche Außenpolitik. Themen, die beispielsweise Robert Habeck liegen, der medial präsent ist und in den Beliebtheitsumfragen nach oben klettert.

Kramp-Karrenbauer würde im Vergleich wenig wahrgenommen und folglich negativer bewertet, meint Parteienforscher Jun: "Sie können nur dann populär werden, wenn Sie Aufmerksamkeit erzielen. Wenn Sie wenig Aufmerksamkeit haben, werden Sie nicht hoch bewertet. Das können wir schon immer beobachten."

Jun hält aber einen Abgesang auf Kramp-Karrenbauer für übereilt: "Es ist zu früh für eine Bilanz. Man darf gespannt sein auf die Phase, wenn sie als mögliche Kanzlerkandidatin stärker in Erscheinung tritt."

Alles eine Frage der Zeit – und der Themen?

Innerhalb der Partei dürften das viele nicht so gelassen sehen. Auch wenn man sich in der CDU bisher um Einigkeit nach außen bemühte, scheint der Druck zu wachsen.

Insbesondere die Anhängerschaft von Friedrich Merz dürfte ungeduldig auf Erfolge warten. Der neue Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, kündigte Mitte März an, Kramp-Karrenbauer zu "treiben", damit weitere Schritte folgten.

Ob sie tatsächlich Kanzlerkandidatin wird, entscheidet sich voraussichtlich spätestens auf dem Grundsatz-Parteitag der CDU Ende 2020.

Verwendete Quellen:

  • Politbarometer Forschungsgruppe Wahlen
  • Sonntagsfrage Bundestagswahl auf Wahlrecht.de
  • Handelsblatt: Fraktionschef Brinkhaus rechnet fest mit Kramp-Karrenbauer als nächste Kanzlerkandidatin
  • Annegret Kramp-Karrenbauer: Lebenslauf
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung: Straffällige Asylbewerber dürfen nie wieder nach Europa
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