Die Debatte um Abtreibungen ist in Deutschland wieder entflammt, seitdem eine Expertenkommission einige Liberalisierungen im Abtreibungsrecht vorgeschlagen hat. Doch anders als in Deutschland setzen rechtspopulistische Parteien im Ausland schon seit Langem besonders stark auf das Thema Abtreibung. Aber warum glauben rechtspopulistische Parteien, damit gut bei ihren Wählern anzukommen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Thema ist ein heiß diskutiertes: Eine Expertenkommission hat der Bundesregierung vorgeschlagen, Abtreibungen bis zur 12. Woche zu legalisieren. Polen hingegen hat in den letzten Jahren den entgegengesetzten Weg eingeschlagen und mittlerweile eines der restriktivsten Abtreibungsrechte in Europa. Dort ist eine Abtreibung bis zur 12. Woche nur noch infolge einer Vergewaltigung, bei Inzest oder Lebensgefahr der Schwangeren möglich.

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Diese Regelung hatte 2020 die im vergangenen Jahr abgewählte Regierung der rechtskonservativen PiS-Partei eingeführt. Im Wahlkampf war das Thema Abtreibung dann entsprechend auch zwischen den politischen Lagern ganz zentral und schwer umkämpft. Die Folge: Die nun regierenden progressiven Parteien wollen das Abtreibungsrecht wieder liberalisieren, wie "tagesschau.de" berichtete.

Schlagzeilen machte bei dem Thema zuletzt auch der US-Bundesstaat Arizona. Denn dort soll nun ein Gesetz von 1864 wieder in Kraft treten, das Abtreibungen auch bei Vergewaltigungen verbietet, wie "spiegel.de" vermeldete. Alle dortigen Richter wurden von Republikanern eingesetzt. Zudem setzen sich viele Repräsentanten der Partei für ein landesweites Verbot von Abtreibungen ein.

Rechtspopulisten schüren Ängste vor dem Untergang der eigenen Nation

Anders als viele bürgerlich-konservative Parteien setzen rechtspopulistische oder noch weiter rechts stehenden Parteien stark auf das Thema Abtreibung. Doch warum eigentlich? "Das Thema Abtreibung ist stark wertbeladen und für viele Menschen emotional sehr stark behaftet", sagt Dominika Tronina von der Humboldt-Universität Berlin. In Diskussionen um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gehe es häufig um die Bedrohung solch zentraler Werte wie der Unantastbarkeit des Lebens, der Freiheit und der Selbstbestimmung.

"Ohne Geburten kein Fortbestand der Gesellschaft", so das weit verbreitere Verständnis in rechtspopulistischen Parteien, erklärt die Expertin. Zentral sei hierbei, die Angst vor dem Untergang der eigenen Nation zu schüren. So habe etwa der Parteichef der rechtskonservativen polnischen PiS-Partei junge Frauen und deren angeblichen Alkoholkonsum für sinkende Bevölkerungszahlen verantwortlich gemacht. Wenn es so weitergehe, dass Frauen weiterhin so viel trinken würden, wie gleichaltrige Männer, "dann wird es keine Kinder geben", sagte Jaroslaw Kaczynski laut ZDF vor zwei Jahren.

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Unter denjenigen am ganz rechten Rand, die gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch sind, gibt es solche, die Abtreibung gar mit Mord gleichsetzen. Erst im vergangenen Jahr hatten Republikaner in den US-Bundesstaaten Texas, Kentucky, South Carolina, Oklahoma und Arkansas erklärt, Gesetzesvorschläge einbringen zu wollen, die Abtreibung als Mord einordnen und mit der Todesstrafe ahnden sollen, wie die "Frankfurter Rundschau" berichtete.

Interessant sei dabei allerdings, so Politikwissenschaftlerin Tronina, dass Abtreibungsrechtsgegner selten mehr als diese symbolische Rückbesinnung auf die traditionelle Familie anbieten würden. "Konkrete Programme, etwa wie Alleinerziehende oder Familien mit schwachem sozio-ökonomischen Hintergrund bei der Erziehung von Kindern oder bei der Bewältigung anderer Krisen unterstützt werden könnten, bleiben in der Regel aus."

Verunsicherte Menschen suchen Halt in traditionellen Wertvorstellungen

Aber auch die derzeit aktuellen Krisen würden ihren Anteil dazu beitragen, dass dieses Thema bei rechtspopulistischen Wählern auf so fruchtbaren Boden falle. Dieser Ansicht ist die Bochumer Politikwissenschaftlerin Katharina van Elten. "In Zeiten von Vielfachkrisen und hoher Verunsicherung bietet sich das Thema Abtreibung für rechte und wertkonservative Parteien gut an, da sie so traditionelle Familienwerte betonen können", sagt van Elten. Das Bewahren traditioneller Werte solle dementsprechend "identitätssichernd" wirken.

Dass sich rechtspopulistische Parteien so sehr für das Thema Abtreibung interessieren, habe auch mit einer Veränderung des Männlichkeitsbildes in weiten Teilen der Gesellschaft zu tun, erklärt van Elten. Die Rolle des männlichen Familienoberhauptes und des Alleinverdieners sei bei weitem nicht mehr so dominant wie in früheren Jahrzehnten. Die daraus gerade bei männlichen rechtspopulistischen Wählern entstehenden Ängste bezüglich eines Statusverlustes innerhalb ihrer Partnerschaften, in Familie und im Beruf würden so bedient.

Und in der Tat mobilisierten die rechtspopulistischen Parteien bei jungen Männern weit besser als bei jungen Frauen, sagt die Bochumer Politikwissenschaftlerin. Ähnlich argumentierte auch der Berliner Politologe Wolfgang Merkel. Im "Spiegel" erklärte er kürzlich, dass rechtspopulistische Parteien dem "verunsicherten Mann" das traditionelle Familienbild als Lösung für seine Ängste anbieten würden.

Restriktive Abtreibungspolitik führte für Rechtspopulisten schon zu Wahlniederlagen

Dennoch gibt es das auf den ersten Blick seltsame Phänomen, dass auch Frauen unter den Befürwortern von Parteien oder Politikern solcher restriktiven Abtreibungsregeln zu finden sind. Nicht zuletzt Donald Trump findet in evangelikalen Kreisen nach wie vor großen Zuspruch, wie die "NZZ" berichtete. Dies müsse jedoch differenziert betrachtet werden, sagt Expertin van Elten. Diese Frauen fühlten sich offenbar vom Gesamtangebot der Partei angesprochen, zu dem auch ein traditionelles Familienbild gehöre.

Das Hauptinteresse liege wahrscheinlich eher auf anderen Themen der Parteien, sagt die Politikwissenschaftlerin. Denn tatsächlich seien die strengen Abtreibungsgesetze selbst in konservativen Kreisen keineswegs mehrheitsfähig. Daher würden diese betreffenden Frauen solche Parteien wohl eher aus ihrer christlichen Überzeugung heraus oder wegen migrationsfeindlicher Positionen wählen.

"Abtreibungspolitik ist also zumindest mittelfristig kein Gewinner-Thema für Konservative."

Politikwissenschaftlerin Katharina van Elten

Ebenfalls überraschend ist ein Blick auf die Langzeitwirkungen solcher Politik, und zwar auf die rechtspopulistischen Parteien selbst. Die seien nämlich gar nicht unbedingt günstig, wie van Elten feststellt. So sei die ehemalige PiS-Regierung in Polen auch wegen der hohen Mobilisierung von Frauen im Wahlkampf im Kontext der Abtreibungspolitik abgewählt worden.

Auch im eigentlich erzkatholisch geprägten Irland habe ein Volksentscheid zugunsten eines liberalen Abtreibungsrechts Erfolg gehabt. Und nicht zuletzt in den USA werde das Thema für die Republikaner auch im kommenden Präsidentschaftswahlkampf zunehmend zum Problem, sagt die Bochumer Politologin und schlussfolgert: "Abtreibungspolitik ist also zumindest mittelfristig kein Gewinner-Thema für Konservative."

Über die Gesprächspartnerinnen

  • Dominika Tronina ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Demokratieforschung und politische Systeme Osteuropas an der Humboldt-Universität Berlin.
  • Dr. Katharina van Elten ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Politikwissenschaft/Politisches System Deutschlands an der Ruhr-Universität Bochum.

Verwendete Quellen

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