• Biontech und sein US-Partner Pfizer gehörten zu den ersten Unternehmen, die einen Impfstoff gegen das Coronavirus auf den Markt brachten.
  • Die Wirksamkeit des Vakzins ist unbestritten, weshalb sich viele Länder schon früh den Impfstoff sichern wollen.
  • Internationale Recherchen zeigen nun, wie rüde der Pharmakonzern Pfizer offenbar mit einigen lateinamerikanischen Regierungen verhandelt hat.

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Argentinien und Brasilien sagten Nein zum Impfstoff von Biontech und seinem US-Partner Pfizer. Nicht, weil die Regierungen der beiden südamerikanischen Länder an der Wirksamkeit des Vakzin zweifelten. Sondern, weil Pfizer in den Verhandlungen über die Lieferung des Corona-Impfstoff zu weit gegangen sein soll.

Der Vorwurf etlicher Länder Lateinamerikas: Der US-Pharmariese soll extremen Druck auf die Regierungen ausgeübt haben. So habe er diese unter anderem aufgefordert, staatliche Vermögenswerte – darunter Reserven der Nationalbank, Botschaftsgebäude und Militärbasen – zur Deckung etwaiger künftiger Rechtsstreitigkeiten zu hinterlegen. Das hat das in London beheimate Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) für Argentinien, Brasilien und eines weiteren, nicht genannten Staates aufgedeckt. Zuvor hatte bereits die ARD über die Praktiken Pfizers im Fall von Peru berichtet.

Für ihre umfangreiche Recherche sprachen die Journalisten mit mehreren Regierungsvertretern und sichteten Unterlagen. Einer der befragten Beamten, der bei den Verhandlungen seines Landes mit Pfizer dabei war und aufgrund einer Verschwiegenheitsklausel nicht offen sprechen durfte, bezeichnete das Vorgehen des Pharmaunternehmens als "Mobbing auf hohem Niveau". Die Regierung habe sich beim Zugang zu den lebensrettenden Impfstoffen "erpresst gefühlt".

Wegen der harschen Verhandlungen sprangen einige Länder ab und wendeten sich alternativen Herstellern zu. In anderen Ländern wiederum verzögerte sich der Impfstart – was möglicherweise weitere Corona-Tote zur Folge hatte.

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Empörung in mehrere lateinamerikanischen Staaten über Pfizers Gebaren

Pfizer selbst hatte im Januar enthüllt, dass es Brasilien im August rund 70 Millionen Dosen angeboten hatte. Die Verhandlungen seien aber am Beharren der Behörden gescheitert, die Hersteller im Falle unvorhergesehener Nebenwirkungen haftbar zu machen. Laut eines brasilianischen Abgeordneten hatten neben Brasilien nur noch Venezuela und Argentinien auf diese Haftungsklausel bestanden.

Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro hatte sich im Dezember sogar öffentlich über die Forderungen von Biontech und Pfizer lustig gemacht. Sollten sich Impfkandidaten nach der Spritze in "einen Kaiman" verwandeln, sei das ihr eigenes Problem, sagte der bekennende Impfskeptiker, der die Pandemie nach wie vor kleinredet.

Streitpunkt in den Verhandlungen soll die Frage nach Schadensersatzzahlungen und Sicherheiten für etwaige künftige Prozesskosten gewesen sein. Dafür wollte Pfizer in mehreren lateinamerikanischen Ländern staatliche Vermögenswerte als Rücklage, berichtet TBIJ unter Berufung auf zahlreiche Regierungsbeamte.

"Pfizer hat sich gegenüber Argentinien falsch verhalten", sagte Ginés González Garcia dem TBIJ. "Dessen Intoleranz uns gegenüber war ungeheuerlich", ergänzte der 75-Jährige, der von Dezember 2019 bis Februar 2021 Argentiniens Gesundheitsminister war.

Das Unternehmen wisse genau, welches Land welche Möglichkeiten hat, erklärt der ehemalige peruanische Gesundheitsminister Víctor Zamora dem ARD-"Weltspiegel". "Soweit ich weiß, wollte sich Pfizer Staatseigentum aneignen, wenn Peru nicht zahlen kann. Unpfändbares. Ich kann nicht bestätigen, was konkret gemeint war. Aber in Peru wurde als Beispiel Eigentum im Ausland genannt", sagte Zamora.

Ganz ähnliche Forderungen habe der Impfstoff-Hersteller auch an Brasiliens Gesundheitsministerium gestellt. Pfizer verlangte dem TBIJ-Bericht zufolge auch von der dortigen Regierung, staatliche Vermögenswerte als Sicherheit zu hinterlegen sowie einen Garantiefonds auf einem ausländischen Bankkonto einzurichten. Brasilien lehnte im Januar diese Bedingungen ab und bezeichnete die Klauseln als "missbräuchlich".

Die Impfstoff-Hersteller sitzen am längeren Hebel

Ein Beamter aus einem weiteren lateinamerikanischen Land beschrieb TBIJ, wie harsch die Gespräche mit Pfizer abgelaufen sein sollen. Demnach hat die Regierung des nicht genannten Staates bereits im vergangenen Juli begonnen mit Pfizer zu verhandeln – Monate, bevor der Impfstoff zugelassen wurde.

Dem Beamten zufolge sollen Pfizer-Manager die Regierung gedrängt haben, mehr Dosen zu kaufen. Eine weibliche Verhandlungsführerin soll gesagt haben: "Kaufen Sie mehr, Sie werden Menschen töten, Menschen werden wegen Ihnen sterben."

Fakt ist: Pfizer und andere Impfstoff-Hersteller sitzen am längeren Hebel. Laut Pedro Villarreal vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht könnten die Pharmaunternehmen immer davon ausgehen, dass sie einen Vertragspartner finden.

Wenn eine Regierung die Bedingungen nicht akzeptiert, würden sie einen anderen Staat finden. "So können sie sich diese harte Art von Verhandlungen leisten", sagte Villarreal dem ARD-"Weltspiegel".

Regierungen und nicht die Impfstoff-Hersteller tragen das Risiko

Die meisten Regierungen haben die Impfstoffhersteller, von denen sie Vakzine beziehen, weitestgehend vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. Das ist nicht ungewöhnlich, wollen doch die Länder ihre Bevölkerung möglichst schnell und umfassend schützen, sie tragen aus diesem Grund auch ein Teil des Risikos.

Einige lateinamerikanische Regierungen fanden allerdings die Forderungen von Pfizer mit Blick auf die anderer Impfhersteller überzogen und zu weitreichend. Demnach wollte sich das US-Unternehmen auch vor Klagen bei selbstverschuldeten Fehlern schützen, beispielsweise, wenn Pfizer den falschen Impfstoff verschickt oder es einen Irrtum bei der Herstellung gibt.

Die Handlungsmacht der Europäischen Union war offenbar größer. Brüssel habe nicht die gesamte Haftung übernehmen wollen für den Fall, das etwas passiere mit so einem Impfstoff, sagte Kanzlerin Angela Merkel Anfang Februar. "Wenn es durch die Anwendung des Impfstoffes zu einer Schädigung kommt, dann kommt – je nach Fallgestaltung – eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers aufgrund verschiedener gesetzlicher Grundlagen in Betracht", betonte der Bundesgesundheitsministeriums-Sprecher Oliver Ewald im Dezember.

Skandal-Geschichte der Weltgesundheit

Mark Eccleston-Turner forscht an der britischen Keele University zu Völkerrecht und globaler Gesundheit. Die Vorgänge um Pfizer bezeichnete er auf Twitter als "wirklich eine der skandalösesten Geschichten, die mir in der Weltgesundheit begegnet ist".

Eccleston-Turner verweist darauf, dass die Impfhersteller staatliche Förderung bekommen haben, potenzielle Kosten für Nebenwirkungen aber auf die Regierungen abwälzen. So förderte die Bundesregierung Biontech mit 375 Millionen Euro, insgesamt gab sie 750 Millionen Euro zur Unterstützung der Forschung und Entwicklung von Corona-Vakzinen in Deutschland aus. Der US-Pharmariese Pfizer geht bei seinem gemeinsam mit Biontech entwickelten Vakzin von einem jährlichen Umsatz von rund 15 Milliarden Dollar aus.

Pfizer erklärte TBIJ: "Weltweit haben wir auch Dosen für Länder mit niedrigem und niedrigem mittleren Einkommen zu einem nicht gewinnorientierten Preis bereitgestellt (...). Wir sind bestrebt, Bemühungen zu unterstützen, die darauf abzielen, Entwicklungsländern den gleichen Zugang zu Impfstoffen zu ermöglichen wie dem Rest der Welt."

Weiter heißt es: "Pfizer und Biontech sind fest entschlossen mit Regierungen und anderen relevanten Interessengruppen zusammenzuarbeiten, um einen gerechten und erschwinglichen Zugang zu unserem COVID-19-Impfstoff für Menschen auf der ganzen Welt zu gewährleisten."

Geheime Verträge – auch mit der EU

Insgesamt hat Pfizer bisher mit fünf der dreizehn südamerikanischen Länder Verträge abgeschlossen: Chile, Kolumbien, Ecuador, Peru und Uruguay. Details der Verträge, insbesondere zu Haftungsfragen, sind geheim – ebenso wie beim Abkommen zwischen der EU und Biontech/Pfizer.

In Argentinien wird derweil seit zwei Monaten mit dem russischen Vakzin Sputnik V geimpft, zuletzt trafen auch erste Dosen des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astrazeneca ein. Und Brasilien greift auf den in China entwickelten Impfstoff CoronaVac sowie ebenfalls auf das Vakzin von Astrazeneca zurück

Zwar hat Brasilien am Dienstag dem Impfstoff von Biontech und Pfizer eine endgültige Zulassung erteilt (CoronaVac und Astrazeneca haben dort nur eine Notfallzulassung). Der Wirkstoff ist in Brasilien jedoch noch gar nicht erhältlich. Und auch Peru wartet noch auf seine Impfstoff-Lieferung von Biontech und Pfizer. Erst im März werden dort die ersten Dosen erwartet.

Verwendete Quellen:

  • The Bureau of Investigative Journalism: "‘Held to ransom’: Pfizer demands governments gamble with state assets to secure vaccine deal"
  • ARD-"Weltspiegel": "Impfstoff-Poker: Wie die armen Länder leer ausgehen"
  • Bundesregierung: "Impfstoff-Förderung angelaufen"
  • Bundesregierung: "Regierungspressekonferenz vom 18. Dezember 2020"
  • Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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