In China sollen die ersten zwei gentechnisch veränderten Kinder der Welt geboren worden sein. Mittels des Crispr/Cas9-Verfahren will ein chinesischer Forscher die wenige Wochen alten Babys gegen HIV resistent gemacht haben. Doch wie funktioniert die Methode überhaupt?

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Mit einem über Youtube verbreiteten Video hat der Forscher He Jiankui die wissenschaftliche Welt in Aufruhr versetzt. Denn laut Aussage Jiankuis, sind in China vor wenigen Wochen die ersten zwei genetisch modifizierten Kinder auf die Welt gekommen.

Ob das aber auch wirklich stimmt, ist momentan noch nicht absehbar. Eine offizielle durch unabhängige Wissenschaftler geprüfte Veröffentlichung zu dem Experiment gibt es nämlich bislang noch nicht.

Lediglich ein Eintrag in ein staatliches Register für klinische Tests findet sich für den Vorgang. Zudem stellte sich Jiankuis auf einem Kongress für Genomforscher in Hongkong den Fragen seiner internationalen Forscherkollegen.

Wie der chinesische Wissenschaftler in dem Youtube-Video erklärt, seien die Kinder namens Lulu und Nana durch die Veränderung ihres Erbguts resistent gegen HIV gemacht worden. Im Rahmen seines Experiments soll der Wissenschaflter sieben Frauen, deren Partner sich mit HIV infiziert hatten, Embryonen mit einem veränderten Gen eingepflanzt haben.

Besagtes Gen enthält die Erbinformation für den CCR5-Rezeptor. An diesen heften sich HI-Viren an um die Infektion auszulösen. Fehlt er der Rezeptor, kann das Virus nicht andocken.

Manipulatiert wurde das Gen dabei mittels des Crispr/Cas9-Verfahrens. Seit die oft als "Genschere" bezeichnete Methode entwickelt wurde, ist der Begriff Gentherapie in aller Munde.

Vielfach wird er als eine Art Wundermittel gefeiert, mit dem alle Krankheiten geheilt werden sollen. Doch wie funktioniert Gentherapie im allgemeineren und Crispr/Cas9 im speziellen eigentlich?

Die Grundidee der Gentherapie

Die Idee hinter der Gentherapie klingt einfach, ist aber äußerst komplex: Da viele Krankheiten auf Fehler im Erbmaterial, der DNA, zurückgehen, dürfte ein kranker Mensch doch geheilt werden, wenn die für die Krankheit verantwortlichen, mutierten Abschnitte in seinem Erbgut korrigiert werden.

Bei dem Experiment von He Jiankui, stand beispielsweise HIV im Fokus. Aber auch Krankheiten wie Mukoviszidose, Hepatitis B, bestimmte Krebsarten und wahrscheinlich noch einige andere (Er-)Krankheiten, könnten nach Ansicht von Gentherapie-Anhängern in Zukunft der Vergangenheit angehören.

Seit dem Humangenomprojekt weiß man, dass der Mensch in jeder Zelle etwa 25.000 Gene hat, also Abschnitte auf der DNA, die für ein bestimmtes Merkmal stehen. Konkret heißt das, dass sie die Information enthalten, wie ein Stoff für den Körper hergestellt wird, zum Beispiel ein bestimmtes Protein.

Das alles passiert auf der Basis von nur vier Grundstoffen (Adenin, Cytosin, Thymin und Guanin), den Basen. Sie sind in Paaren angeordnet, die DNA in jeder Zelle hat mehr als drei Milliarden solcher Basenpaare.

Ein Enzym und ein Stück kopierter DNA

Den Ansatz, Menschen durch Eingriff in seine Gene zu heilen, gibt es schon lange. Durch die Entwicklung und den Einsatz von Crispr/Cas-Systemen haben Gentherapien aber neuen Aufwind bekommen.

Denn Crispr/Cas soll unter anderem genauer sein als die bisherigen Methoden und somit auch ein geringeres Risiko haben, dass Patienten, die damit behandelt werden, durch eine Gentherapie nicht nur nicht gesund werden, sondern vielleicht noch zusätzlich krank werden.

In einigen Tierversuchen hat die Anwendung der oft "Genschere" genannten Therapie offenbar schon gut funktioniert. So wurden zum Beispiel in den USA Mäuse von einer ererbten Muskelschwäche und Ratten von einer erblichen Augenkrankheit geheilt.

Doch wie funktioniert dieses Crispr/Cas-System überhaupt? Und welche Risiken hat es?

Auch Crispr/Cas hat Grenzen

Vereinfacht gesagt besteht das System (oder der Komplex) aus einem Protein, genauer gesagt einem Enzym, und einem Stück RNA. Die RNA ist gewissermaßen eine Kopie eines Teiles der DNA.

Diese Sequenz der RNA werde außerhalb des Körpers auf die zu verändernde Stelle im Gen zugeschnitten, erklärt der Humangenetiker Professor Wolfram Henn im Gespräch mit unserer Redaktion.

In der entsprechenden Zelle finde der Komplex dann genau den zu korrigierenden Genabschnitt, er werde herausgeschnitten, der erwünschte Genabschnitt (der sich ebenfalls in dem Komplex befindet) eingefügt und die Stelle wieder verschlossen.

All das macht der Crispr/Cas-Komplex in Zusammenarbeit mit den Reparaturmechanismen in der Zelle selbst. Aber wie kommt er überhaupt dorthin? In der Vergangenheit wurden häufig Viren benutzt, um etwas in Zellen einzuschleusen.

Für den Crispr/Cas-Komplex seien die aber zu klein, schreibt die Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft“ in einer Sonderausgabe zum Thema. Deswegen müsse die RNA direkt eingespritzt oder schon in den frühesten Embryonalstadien in die Zellen gebracht werden.

Wie weit geht man mit den Eingriffen ins Erbgut?

Es sei tatsächlich ein großes Problem – vielleicht das allergrößte – zu steuern, in welche Zellen der Reparaturkomplex hineinkommen solle, sagt auch Wolfram Henn.

"Die bisherigen Versuche finden über genetisch manipulierte Keimzellen statt: Wenn eine befruchtete Eizelle verändert ist, dann werden alle Tochterzellen und damit der sich daraus entwickelnde Organismus entsprechend verändert sein.“

Dennoch bleibt auch hier das Risiko sogenannter Off-Target-Effekte, dass also die falschen Zellen verändert werden oder die DNA, ausgelöst durch den Crispr/Cas-Eingriff, an einer anderen Stelle mutiert und so eine andere Krankheit hervorruft, zum Beispiel Leukämie.

Der Eingriff in die Keimbahn, wie Wissenschaftler Veränderungen in Keimzellen wie der Eizelle nennen, ist zudem eine ethische Frage. Bereits in der Vergangenheit hatte der Deutsche Ethikrat bezüglich solcher Versuche an menschlichen kritisch geäußert.

In den USA und in China wurden sie in der Vergangenheit bereits durchgeführt, aber nicht mit dem Ziel, wirklich genetisch veränderte Embryonen bis zur Geburt zu bringen. "Niemand weiß, wie lange diese Zurückhaltung noch währen wird“, warnt Humangenetiker Henn.
Mit der Behauptung des chinesischen Wissenschaftlers He Jiankui, scheint diese Zurückhaltung nun allerdings gebrochen. Forscher und Ethiker zeigten sich deshalb entsprechen entsetzt von der Nachricht der weltweit ersten genetisch Veränderten Kinder.

So sprach Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk von einem "Super-Gau", in Zusammenhang mit dem Experiment. Die Risiken des angewendeten Verfahrens seien "noch unkalkulierbar, Neben- und Spätfolgen für Kinder, Kindeskinder und die Betroffenen sind unabsehbar".

Auch in China wurde die Nachricht kritisch aufgenommen. Jiankuis eigene Universität in Shenzehn bezeichnete das Vorgehen des Forschers als "ernsthafte Verletzung der akademischer Ethik und Normen". Andere Wissenschaftler aus China nannten den Versuch "Wahnsinn".

T-Zellen gegen Krebs

Kritiker geben zudem zu bedenken, dass die Definition eines "genetischen Defekts“ so ausgedehnt werden könnte, dass am Ende tatsächlich das viel zitierte, maßgeschneiderte "Designerbaby“ stehen könnte.

Für kranke Menschen sind Gentherapien dennoch ein Grund zur Hoffnung. Zum Beispiel durch die CAR-T-Zellen-Therapie, bei der die Abwehrzellen des Körpers, die T-Zellen, mit einem Gen versehen werden sollen, das gezielt Krebszellen angreifen soll.

Sowohl in den USA, als auch in Europa sind erste solche Verfahren bereits zugelassen worden. Angesichts der ungeklärten medizinischen und ethischen Fragen, werde die Anwendung zahlreicher Gentherapien auf Basis von Crispr/Cas aber auf jeden Fall noch viele Jahre auf sich warten lassen, sagt Humangenetiker Henn. (Ergänzt durch thp)

Verwendete Quellen:

  • Agence France-Presse (afp)
  • Ärzteblatt: Erstmals CAR-T-Zellen in Europa zugelassen
  • Bayerischer Rundfunk: Genversuch in China: Ethikrat-Vorsitzender übt harsche Kritik.
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
  • Zeit Online: Der letzte Tabubruch der Gentechnik?
  • Spektrum: CRISPR/Cas9
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