• Eine dänische Studie stellt einen Zusammenhang zwischen Infektionen mit dem Coronavirus und dem Risiko her, danach Krankheiten wie eine Demenz oder Parkinson zu entwickeln.
  • Es ist schon länger bekannt, dass es nach schweren Infektionen zu bestimmten Folgeerkrankungen kommen kann.
  • Unklar ist aber, ob das Risiko bei COVID-19 besonders hoch ist, welchen Schutz die Impfung bietet und welche Virus-Varianten bei solchen Prozessen eine Rolle spielen.

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Hat jemand, der an COVID-19 erkrankt ist, ein höheres Risiko, danach eine Demenz oder Parkinson zu entwickeln? Zu diesem Ergebnis ist eine dänische Studie gekommen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) griff auf Twitter einen entsprechenden Bericht der Bild-Zeitung auf und schrieb, dass die Verbindung mit Alzheimer "leider keine Panikmache" sei: "Es ist gut, auf diese Gefahr hinzuweisen."

Worum geht es in der Studie?

Die Forschenden haben die Krankenakten von rund der Hälfte der dänischen Bevölkerung analysiert, was etwa einer Million Menschen entspricht. Rund 43.000 von ihnen wurden während des Untersuchungszeitraums positiv auf das Coronavirus getestet.

Erfasst wurde, bei wie vielen der an COVID-19 Erkrankten später Alzheimer, Parkinson oder eine Autoimmunerkrankung wie Multiple Sklerose diagnostiziert wurde und wie viele dieser Personen einen Schlaganfall oder eine Gehirnblutung erlitten. Diese Daten wurden auch für Personen nach einer Grippe und nach einer bakteriellen Lungenentzündung erhoben.

Zu welchen Ergebnissen ist die Studie gekommen?

Die Wissenschaftler stellten fest, dass Personen, die zuvor positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, ein höheres Risiko hatten, sechs bis zwölf Monate später an Alzheimer und Parkinson zu erkranken. Auch Schlaganfälle und Gehirnblutungen traten bei ihnen im Vergleich häufiger auf.

Allerdings stellten die Forschenden zugleich auch fest, dass das Risiko für diese Erkrankungen nach einer Grippe und nach bakteriellen Lungenentzündungen ähnlich hoch ist. Lediglich das Risiko für Schlaganfälle war nach COVID-19 im Vergleich zu den anderen Erkrankungen etwas erhöht.

Wie ist die Studie einzuschätzen?

Laut Malik Böttcher, Allgemeinmediziner in Berlin und Leiter des Impfzentrums am Krankenhaus Havelhöhe in Spandau, ist die Aussagekraft der Studie "nicht so groß". Die Studie liefere gewisse Hinweise auf Zusammenhänge, aber noch keine Beweise. "Wer jünger als 60 Jahre ist, muss sich wegen der Studie keine Sorgen machen, dass er nun nach COVID-19 an Demenz erkranken könnte", sagt er.

Auch die Autoren der Studie schränken die Aussagekraft ein: Denkbar sei beispielsweise auch, dass bei manchen der Untersuchten schon Symptome einer Demenz bestanden hätten, die aber erst durch die Aufnahme ins Krankenhaus diagnostiziert worden sei.

Aber: Es ist umgekehrt auch schon länger bekannt, dass es nach schweren Infektionen zu Folgeerkrankungen kommen kann. "Das erleben wir zum Beispiel in der Praxis immer wieder nach schweren Grippewellen", sagt Böttcher. Daher ist es denkbar, dass dies auch nach einer Infektion mit dem Coronavirus passieren kann – allerdings womöglich eben nicht häufiger als bei anderen Erkrankungen.

Welche Erklärung gibt es dafür, dass Infekte solche Auswirkungen haben können?

Ein Erklärungsmodell ist die sogenannte Neuroinflammation. Das ist eine Entzündung (Inflammation) im zentralen Nervensystem (Neuro = das Nervensystem betreffend), also im Gehirn. In der Forschung wird schon länger ein Zusammenhang zwischen einer Neuroinflammation und Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson vermutet.

Wie kommt es zu einer Neuroinflammation?

Das Gehirn wird über das Blut mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Aber es gibt besondere Filter, die dafür sorgen, dass Krankheitserreger und Immunzellen aus dem Rest des Körpers nicht ins Gehirn gelangen. "Dieser Schutz wird auch als Blut-Hirn-Schranke bezeichnet", sagt Böttcher.

Allerdings kann diese Schranke durchlässig werden und das Gehirn dadurch nicht mehr so zuverlässig schützen. "Das sehen wir zum Beispiel bei viralen Erregern oder bakteriellen Entzündungen, die besonders heftig verlaufen", sagt der Arzt. Das versetzt gewisse Gehirnzellen, die eigentlich eine Schutzfunktion haben, in einen Alarmzustand. Sie greifen in der Folge bestimmte Strukturen im Gehirn an. Es wird vermutet, dass sich daraus in der Folge beispielsweise eine Alzheimer-Demenz entwickeln kann. Das passiert dann allerdings nicht plötzlich, sondern über viele Jahre hinweg.

Kann man davon ausgehen, dass Impfungen vor einer Neuroinflammation und damit vor einer Alzheimer-Erkrankung nach COVID schützen?

"Die Impfung schützt in dem Maße, in dem sie vor Infektionen schützt, natürlich vor solchen Prozessen", sagt Böttcher. "Allerdings können wir mit der Wirkung der Impfung im Moment nur mäßig zufrieden sein." Eine Infektion sei etwa zwei Monate nach einer Boosterung ebenso häufig wie bei Ungeimpften.

Allerdings seien die Verläufe bei Geimpften fast immer deutlich leichter. "Wir gehen deshalb davon aus, dass eine Impfung in einem gewissen Maß auch vor einer Neuroinflammation schützt, weil bestimmte Immunprozesse nicht noch angeheizt werden", sagt der Arzt. Wünschenswert seien aber Impfstoffe, die so stark auf die aktuellen Erreger abgestimmt seien, dass es gar nicht erst zu einer Infektion komme.

Welche Rolle spielen verschiedene Varianten des Virus?

Es ist noch nicht bekannt, welche Varianten des Coronavirus solche Prozesse anstoßen können. "Wir sehen aber, dass das Phänomen Long COVID unter der Omikron-Variante deutlich zurückgegangen ist", sagt Böttcher. Im Vergleich zur Delta-Variante liege es etwa bei 1:20. "Wir gehen deshalb davon aus, dass es bei Omikron auch zu weniger Neuroinflammation kommt", sagt der Arzt. Auch hierzu fehlen aber noch verlässliche Daten.

Was sind die Frühwarnzeichen für eine Demenz?

Zu den frühen Warnzeichen gehört es laut Susanne Saxl-Reisen, Pressesprecherin bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, wenn Menschen sich von sozialen Aktivitäten zurückziehen, sie sich räumlich oder zeitlich nicht mehr gut orientieren können oder unter Gedächtnisstörungen leiden. Auch wenn jemandem im Gespräch plötzlich Worte fehlen, er Schwierigkeiten mit alltäglichen Aufgaben hat oder unter Stimmungsschwankungen leidet und sich anders verhält als sonst, können das Warnsignale sein.

"Wichtig ist es bei Symptomen, die über eine längere Zeit anhalten, mit einem Arzt oder einer Ärztin darüber zu sprechen", sagt Saxl-Reisen. Diese Anzeichen müssen nicht immer bedeuten, dass jemand dement wird: "Es kann sehr unterschiedliche Ursachen dafür geben, zum Beispiel Depressionen, eine Fehlfunktion der Schilddrüse oder auch Wechselwirkungen von Medikamenten."

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Wie kann man sich schützen?

Wirklichen Schutz vor einer Demenz gibt es nicht. "Aber es gibt eine ganze Reihe von Risikofaktoren, die sich beeinflussen lassen", sagt die Pressesprecherin. Jeder Mensch kann etwas tun, um sein Demenzrisiko zu verringern:

  • Körperlich und geistig aktiv sein
  • Soziale Kontakte pflegen und Einsamkeit vermeiden
  • Bluthochdruck und Diabetes gut einstellen lassen
  • Schwerhörigkeit frühzeitig durch ein Hörgerät ausgleichen
  • Nicht rauchen
  • Alkohol nur in Maßen trinken
  • Übergewicht vermeiden
  • Den Kopf vor Verletzungen schützen

Das größte Risiko für eine Demenz lässt sich allerdings nicht vermeiden: das Alter. "Während bei den 65- bis 69-Jährigen weniger als zwei Prozent betroffen sind, sind es bei den über 90-Jährigen mehr als ein Drittel", sagt die Expertin. Außerdem sind Frauen deutlich häufiger von einer Demenz betroffen als Männer. Das liegt zu einem großen Teil allerdings auch an der höheren Lebenserwartung von Frauen.

Wie kann eine Therapie aussehen?

Heilbar sind Demenzerkrankungen bislang nicht. "Je nach Ursache gibt es begrenzte medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten", sagt Saxl-Reisen: Wenn die Demenz mit Durchblutungsstörungen zusammenhängt, werden etwa Mittel verordnet, die die Durchblutung steigern. Bei manchen Formen von Demenz können auch Medikamente helfen, die bestimmte Botenstoffe im Gehirn erhöhen.

Wichtig bei Demenzerkrankungen sind außerdem nicht-medikamentöse Behandlungsansätze. "Dazu zählt zum Beispiel Ergotherapie, die dabei hilft, die Selbstständigkeit möglichst lange aufrechtzuerhalten", sagt die Expertin. Hilfreich sein können auch Gedächtnistherapie, Physiotherapie, Verhaltenstherapie und weitere Therapieformen.

Darüber hinaus ist laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ein wertschätzender Umgang entscheidend: Ziel sei es, zu akzeptieren, dass Menschen mit Demenz in ihrer eigenen Welt lebten. Auch scheinbar verrücktes Verhalten solle man ernst nehmen und es zu verstehen versuchen.

Über die Experten:
Malik Böttcher ist Allgemeinmediziner und Leiter des Impfzentrums am Krankenhaus Havelhöhe in Spandau. Der Arzt ist für Impfung sowohl im Impfzentrum wie auch in seiner Praxis am Kleistpark in Berlin-Schöneberg im Einsatz.
Susanne Saxl-Reisen ist stellvertretende Geschäftsführerin der Patientenorganisation Deutsche Alzheimer Gesellschaft und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Die Organisation engagiert sich für ein besseres Leben von Menschen mit Demenz und unterstützt Betroffene und ihre Familien. Sie setzt sich außerdem für eine bessere Diagnose und mehr kompetente Beratung vor Ort ein.

Verwendete Quellen:

  • Pardis Zarifkar et. al.: Frequency of Neurological Diseases After COVID-19, Influenza A/B and Bacterial Pneumonia, in: Frontiers in Neurology, 23. Juni 2022
  • Malik Böttcher, Allgemeinmediziner und Leiter des Impfzentrums am Krankenhaus Havelhöhe in Spandau
  • Susanne Saxl-Reisen, stellvertretende Geschäftsführerin und Pressesprecherin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft
  • Deutsche Alzheimer Gesellschaft: Die nicht-medikamentöse Behandlung von Demenzerkrankungen (Infoblatt 6)
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