• In den Hausarztpraxen laufen die Leitungen heiß: Seit vergangenen Montag (7. Juni) vom Bund die Impfpriorisierung aufgehoben wurde, klingeln die Telefone durchgehend.
  • Alle wollen einen Impftermin – und das möglichst schnell.
  • Mehrere Hausärzte berichten aus der Praxis.

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Wer dieser Tage einen Hausarzt erreichen möchte, braucht Geduld. Meist ertönt am anderen Ende der Leitung ein "Derzeit sind alle Mitarbeiter im Gespräch " oder Musik in Dauerschleife. Selbst wer durchkommt hört oft sowas wie: "Es herrscht totales Chaos, wir sind im Impfstress!" Zeit, mit der Presse zu sprechen? Kaum vorstellbar. Denn seit am 7. Juni die Impfpriorisierung aufgehoben wurde, stehen die Telefone in den Hausarztpraxen nicht mehr still.

Zum Beginn der Impfkampagne wurde nach Priorisierungsgruppen geimpft. Nun können alle Personen ab 16 Jahren ungeachtet ihres Berufs, Alters oder Gesundheitszustandes einen Impftermin bekommen.

Telefon klingelt durchgehend

Manche Hausärztinnen und Hausärzte sind doch zu einem Gespräch bereit, wenn auch anonym. "Die Aufhebung der Impfpriorisierung war für uns eine Katastrophe", sagt beispielsweise eine Hausärztin aus Düsseldorf. Durchgehend klingele das Telefon.

Zwar sei die Priorisierung offiziell aufgehoben, aber: "Wir haben noch nicht unsere Patienten, die als priorisiert eingestuft sind, abgearbeitet. Wir bevorzugen sie deshalb weiterhin", erklärt die Medizinerin unserer Redaktion. Auch auf der Website der Bundesregierung heißt es: "Wegen der weiterhin begrenzten Impfstoffverfügbarkeit" könnten nicht gleich alle Impfwilligen im Juni geimpft werden.

Den Ländern sei es unbenommen, die Priorisierung in den Impfzentren im Rahmen der ihnen zugewiesenen Impfstoffdosen aufrechtzuerhalten. Auch in den Hausarztpraxen können eigenverantwortlich und "je nach lokalem Bedarf gezielt auch weiterhin vorrangige Impfangebote für noch ungeimpfte Personen aus den Priorisierungsgruppen 1 bis 3" gemacht werden.

Impfstoff fehlt weiterhin

Die Hausärztin aus Düsseldorf gibt zu: "Ich möchte selbst nicht in der politischen Etage sitzen und solche Entscheidungen treffen." Damit der "ganz große" Ansturm ausbleibt, habe sie ihre Patientinnen und Patienten bereits im Vorfeld darum gebeten, nicht gleich am 7. Juni anzurufen, sondern eine Mail zu schreiben. "Wir führen eine Warteliste, aber der Impfstoff fehlt einfach", klagt die Hausärztin.

Man müsse dienstags bis 12 Uhr den Impfstoff bestellen und bekäme dann donnerstags eine Rückmeldung, wie viel geliefert werden könne. "Dann haben wir zwei Tage Zeit, die Termine für die nächste Woche auszumachen, das ist purer Stress", klagt sie. Zuletzt habe sie 70 Dosen des Impfstoffes von Astrazeneca bestellt – und keine einzige erhalten.

Andere Anliegen leiden

Auch in einer Hausarztpraxis in Wiesbaden reichen die Impfdosen nicht aus. "Die meisten Leute wollen nur mit dem Impfstoff von Biontech geimpft werden", sagt eine Angestellte. Wer aktuell anrufe, könne einen Termin in ein bis zwei Monaten bekommen, allerdings nicht mit dem Impfstoff von Biontech. "Wir haben ja auch noch zusätzlich zum Impfen ganz normale Sprechzeiten, das ist sehr stressig", klagt sie.

Eine Hausärztin aus Bochum ist sich sicher, dass Patienten mit Beschwerden außerhalb des "Corona-Kosmos" unter der derzeitigen Situation leiden. "Sie kommen überhaupt nicht durch, die Leitungen sind ständig besetzt", berichtet sie. "Ich besuche als Hausärztin auch das örtliche Altenheim – häufig höre ich dort aktuell: Gut, dass Sie kommen, wir haben niemanden erreicht", berichtet sie aus dem Alltag.

Lange Wartelisten

Auch in ihrer Praxis gibt es eine lange Warteliste für Impftermine. "Ich bin aber froh, dass die Impfpriorisierung nun aufgehoben wurde. Wenn wir Impfstoff übrighaben, können wir jetzt jemanden von der Liste anrufen, ob er spontan vorbeikommen kann – unabhängig von Beruf, Alter oder Krankenvorgeschichte", sagt sie. Das erspare viel Telefonstress. "Die Impfpriorisierung hätte schon früher aufgehoben werden müssen", findet die Bochumer Medizinerin.

Die Entscheidung, die Priorisierung von Risikopatienten nun aufzuheben, hat die Bundesregierung angesichts der Geschwindigkeit der Impfkampagne bereits auf dem Impfgipfel Ende April (26.) getroffen. Auf ihrer Website begründete sie im Mai, dass bis Ende des Monats "voraussichtlich über 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger mindestens die Erstimpfung erhalten haben."

Bei Logistik alleine gelassen

In Bezug auf die Logistik fühlt sich die Hausärztin aus Bochum von der Politik allein gelassen. "Wir müssen alles selbst organisieren", klagt sie. Eigentlich sei eine extra Telefonleitung für die Impfwilligen notwendig, das ließe sich aber nicht so schnell umsetzen. "Eine Mitarbeiterin ist aus der Rente zurückgekommen, damit wir den Ansturm stemmen können", sagt die Medizinerin.

Doch es gibt sie trotzdem: Die Praxen, in denen es nach Einschätzung der Ärzte gut läuft. "Wir bewerkstelligen das mit den Patienten ziemlich gut, der Riesenansturm ist ausgeblieben", sagt eine Hausärztin aus Potsdam. Viele ihrer Patienten seien aber auch bereits geimpft und seien auch bereit, den Impfstoff von Johnson & Johnson zu nehmen. "Man merkt auch, dass die Anzahl der Anfragen jetzt langsam wieder zurückgeht", sagt sie.

Viele wollen geimpft verreisen

Diskussionspotential gebe es aber bezüglich des Zweit-Impftermins. "Manche wollen jetzt so schnell es geht in den Urlaub und meinen, die Termine vorschreiben zu können. Das geht nicht", stellt die Ärztin klar. Ruft jemand in ihrer Praxis an, kann er relativ zeitnah einen Termin bekommen.

"Bessere Chancen haben unsere eigenen Patienten und solche, die auch die Impfstoffe nehmen, die nicht von Biontech sind", sagt sie. Häufige Nachfragen gebe es außerdem noch bezüglich der Impfung von Kindern. "Es ist schon noch an vielen Stellen Unsicherheit da", sagt die Ärztin.

Der Deutsche Hausärzteverband resümiert: "Der Wegfall der Priorisierung hat für viele Praxen wenig verändert: Die Nachfrage der Patientinnen und Patienten ist noch immer sehr hoch, die gelieferte Impfstoffmenge ist dagegen zu knapp und ermöglicht kaum Planungssicherheit." Somit müsse auch weiterhin eine gewisse Priorisierung, etwa über Wartelisten, vorgenommen werden.

Sprecherin Finia Schultz sagt: "Mittlerweile sind sich viele Patientinnen und Patienten dessen aber auch bewusst. Verständnis und Geduld – trotz aller politischen Ankündigungen – können insbesondere unseren Mitarbeitenden die aufwändige Arbeit enorm erleichtern."

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Verwendete Quellen:

  • Interview mit Hausärzten in Potsdam, Bochum, Wiesbaden und Düsseldorf
  • Statement des Deutschen Hausärzteverbandes
  • Zusammengegencorona.de: Impfpriorisierung

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