Der Streit zwischen Anna Fenninger und dem ÖSV ist am Dienstag völlig aus dem Ruder gelaufen. Die Fronten sind so verhärtet, dass nun alles möglich erscheint - selbst ein Austritt des Superstars aus dem Verband.

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Die Symptome sind längst klar, jetzt geht es im Prinzip nur noch darum, dem ausgewachsenen Eklat das nötige Prädikat zu verleihen. Die Auseinandersetzung zwischen Anna Fenninger und dem Österreichischen Skiverband ÖSV hat sich binnen weniger Stunden vom Burgfrieden zu einem Rosenkrieg modernster Prägung gedreht.

Der Streit explodierte am Dienstag förmlich und artete spätestens nach einem ungewöhnlich offenen "Facebook"-Posting von Fenninger in eine offen gelebte Feindschaft aus. Die 25-Jährige beklagte sich am Dienstagabend darüber, "jahrelang hintergangen" worden zu sein und dass der Verband "alles tut, um mich fertigzumachen. Sie sind am besten Weg dazu." Fenninger mahnte zudem eine offen zur Schau gestellte Frauenfeindlichkeit und Wortbruch an. Die ausführliche Abrechnung beendete sie mit den Worten: "Ich bin müde und kann nicht mehr. Ich habe all diese Lügen satt."

Alles scheint möglich

Seit dem verhängnisvollen Dienstag, als sich die Ereignisse förmlich überschlugen und der ÖSV und seine beste Athletin sich so weit voneinander entfernt haben wie noch nie in einer gewiss selten leichten Beziehung, erscheint plötzlich alles möglich. Selbst ein Ausschluss aus dem Kader oder ein freiwilliger Rückzug Fenningers aus dem Team Austria - und ein damit verbundener Wechsel zu einem anderen Ski-Verband.

Differenzen zwischen der Weltmeisterin, Olympia- und Weltcupgesamtsiegerin und dem ÖSV, besonders in Person von Präsident Peter Schröcksnadel und Sportdirektor Hans Pum, gab es schon lange und immer wieder. Fenninger war schon immer eine mündige Athletin, die gerne ihren eigenen Kopf durchsetzt und nicht immer auf Mannschaft- oder Kaderlinie des ÖSV gefahren ist. Das wurde nie gut geheißen, aber zumindest geduldet.

Den Bossen war später dann ihr deutscher Manager Klaus Kärcher ein Dorn im Auge und dass die nahe der deutschen Grenze aufgewachsene Fenninger, die beim Skiklub Schellenberg bei Berchtesgaden das Skifahren erlernt hat, angeblich bereits im Winter mit einem Wechsel zum Deutschen Skiverband kokettiert habe, waren erste Anzeichen für ein wackeliges Verhältnis.

Zuletzt hatte es zwischen Verband und Athletin tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten darüber gegeben, wie die sportliche Betreuung Fenningers geregelt werden sollte und wer die Kosten dafür übernehmen müsse. Mitten hinein in die Debatten platzte am 11. Mai die Veröffentlichung einer vertraulich verfassten Mail Fenningers an Vertreter des Skiverbands, dessen Wortlaut unter bisher nebulösen Umständen im Magazin "SportWoche" erschien. Darin drohte die Rennläuferin unter anderem mit ihrem Rücktritt und stellte ein Ultimatum an den Verband.

Auf einem Schlichtungsgipfel letzte Woche wurden dann angeblich alle Differenzen beseitigt - bis zum Montag, bis zu jener lancierten Werbekampagne der "Laureus-Stiftung" von "Mercedes-Benz" – einem großen Kontrahenten von ÖSV-Sponsor "Audi". Und nun?

Eine "Verhöhnung" des Skiverbandes?

Die Fronten sind komplett verhärtet, beide Parteien über die Maßen voneinander enttäuscht, "unfair" und "unverantwortlich" sei das Verhalten Fenningers, sagt Pum, der von einer "Verhöhnung" des Skiverbands spricht. Generalsekretär Klaus Leistner fühlt sich "verarscht". Beide Lager bezichtigen sich offen der Lüge. Ein Wiedersehen vor Gericht scheint momentan unausweichlich

Jegliche Basis für eine weitere Zusammenarbeit fehlt und die Ski-Fans in Österreich fragen sich, wie lange Anna Fenninger überhaupt noch für den ÖSV fahren wird. Der Wechsel in einen anderen Verband wäre zwingend notwendig, wenn Fenninger weiter im Weltcup-Zirkus mitmischen will. "Staatenlos" kann beim Weltverband kein Starter gelistet werden. Ein Landes-oder Verbandswechsel wäre aber nicht so ohne weiteres zu vollziehen. Zuvor müsste sie mindestens eben jene zwei Jahre in dem entsprechenden Land leben und natürlich dessen Staatsbürgerschaft annehmen.

Droht jetzt eine Sperre?

"Sie kann nur für den ÖSV fahren, oder sie steht zwei Jahre", sagt Schröcksnadel. "Sie kann ja für niemand anderen fahren." Ganz so sicher ist sich der Präsident mit seiner Vermutung aber wohl auch nicht. Fenninger scheint spätestens nach ihrem öffentlichen Rundumschlag auch fähig zu sein, eine zweijährige Sperre und den damit verbundenen vorübergehenden Stillstand ihrer Karriere auf sich zu nehmen, sofern sie nur den ÖSV verlassen kann.

Nach Marc Girardelli, der Mitte der 70er Jahre auf Anweisung seins Vaters Helmut als gerade einmal Zwölfjähriger die Kader des ÖSV verlassen und sich dem luxemburgischen Skiverband angeschlossen hatte, droht Österreich nun der zweite schmerzhafte Verlust eines Topathleten. Girardelli siegte für Luxemburg in 46 Weltcups, holte elf WM- und zwei Olympiamedaillen.

Anna Fenninger ist schon längst eine rot-weiß-rote Ikone. Und trotzdem steht ihre Karriere nach den letzten Tagen komplett auf der Kippe. Derzeit erscheint alles möglich. Nur eben kein Weg mehr zurück. Dafür ist zu viel vorgefallen. Entweder Fenninger geht oder aber die Granden des österreichischen Skiverbands erklären ihren Rücktritt. Eine weitere Zusammenarbeit zwischen der Athletin und ihrem Manager mit Sportdirektor Pum und Präsident Schröcksnadel ist kaum vorstellbar.

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