Wladimir Putin hat der ARD ein Exklusivinterview gegeben. Russlands Staatspräsident nennt darin den Grund für die viel kritisierten Militärmanöver Russlands und weist den Vorwurf einer Völkerrechtsverletzung weit von sich. Des Weiteren warnt er vor "ethnischen Säuberungen" in der Ukraine.

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Hubert Seipel traf für die ARD einen angespannt wirkenden Wladimir Putin. Kein Wunder: Die Lage im Ukraine-Konflikt, in dem Russland eine der beiden Hauptrollen spielt, ist kritisch. Auch der am Wochenende stattfindende G20-Gipfel brachte keine Entspannung zwischen Russland und dem Westen.

Im Interview, das in der Sendung "Günther Jauch" ausgestrahlt wurde, sprach der russische Staatspräsident sowohl über die Ukraine-Krise als auch über die viel kritisierten Militärübungen, die Russland etwa an der Küste Australiens durchgeführt hat. Putin begründete die Schritte unter anderem mit der militärischen Präsenz vor allem der USA auf der ganzen Welt: "Amerikanische Stützpunkte sind in der ganzen Welt verstreut, unter anderem auch nahe unserer Grenzen. Und deren Anzahl wird größer."

Darüber hinaus seien vor Kurzem Entscheidungen über den Einsatz von Spezialkräften getroffen worden. "Und das erneut in unmittelbarer Nähe zu unseren Grenzen." Man habe die Militärübungen nie widerrechtlich durchgeführt, denn "der Luftraum ist entweder international oder europäisch". Russlands Übungen fänden ausschließlich in internationalen Gewässern und im internationalen Luftraum statt.

Wladimir Putin zur Annexion der Krim

Seipel fragte Putin auch nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim. Bei diesem Thema betonte Russlands Präsident immer wieder, sein Land habe nicht gegen Völkerrecht verstoßen. "Was ist Völkerrecht?", fragte Putin. "Das ist vor allem die Satzung der Vereinten Nationen. Das ist internationale Praxis und die Definition dieser Praxis durch entsprechende internationale Instanzen."

Putin verwies auf den "Präzedenzfall Kosovo" und spielte damit auf ein Urteil des Internationales Gerichtshofs an. Dieses bescheinigte dem Kosovo ein Selbstbestimmungsrecht und erlaubte es den Kosovaren, darüber abzustimmen, ob sie einen eigenen Staat haben wollten. "Darin [im Urteil, Anm.d.Red.] stand das Wichtigste: Dass in Fragen der Selbstbestimmung ein Volk, das auf einem bestimmten Territorium lebt, nicht verpflichtet ist, die zentrale Regierung des Staates, auf dessen Territorium es sich momentan befindet, nach deren Meinung zu fragen." Eine Erlaubnis der Zentralregierung, solche Maßnahmen zur Selbstbestimmung durchzuführen, sei nicht erforderlich. "Das ist das Wichtigste. Und nichts anderes, als das, was auch im Kosovo passierte, ist auch auf der Krim passiert."

Der Kremlchef zeigte sich daher "fest davon überzeugt, dass Russland gegen das Völkerrecht in keiner Weise verstoßen hat". Schließlich habe es auf der Krim ein Referendum gegeben. "Und sein Ergebnis war überwältigend. Und was ist Demokratie? [...] Demokratie ist das Recht des Volkes. In diesem Falle das Recht auf Selbstbestimmung."

Putin hat zudem erneut zugegeben, dass russische Soldaten an der umstrittenen Abspaltung der Schwarzmeerhalbinsel Krim von der Ukraine beteiligt waren. "Unsere Streitkräfte haben die ukrainischen Streitkräfte blockiert, die auf der Krim stationiert waren", sagte er. Bei dem international kritisierten Referendum im März über einen Krim-Beitritt zu Russland hätten Soldaten die Abstimmung gesichert - "um ein Blutvergießen zu vermeiden", erklärte Putin. Dies hatte er zuvor auch schon im russischen Staatsfernsehen gesagt.

Die Wahl selbst sei trotz der militärischen Präsenz Russlands als demokratisch anzuerkennen. "Unsere Streitkräfte, sagen wir es offen, haben die ukrainischen Streitkräfte blockiert, die auf der Krim stationiert waren. Aber nicht deswegen, um jemanden dazu zu zwingen, zu den Wahlen zu gehen - und das ist auch nicht möglich - sondern, um Blutvergießen zu vermeiden, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Meinung zu äußern darüber, wie sie ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder gestalten wollen", sagte Putin. Dass der Westen seitdem Sanktionen gegen Russland verhängt, halte er "für völlig inadäquat".

"Es sind Menschen mit dem Hakenkreuz am Ärmel unterwegs"

Danach gefragt, ob die Ukraine ein eigenständiger Staat bleiben werde und ob Russland nicht mehr beitragen könne, um dort wieder Frieden einkehren zu lassen, hielt Putin einen Monolog. Die Kernaussage: Solange die Ukraine selbst nichts tue, um die Kämpfe zu stoppen, könne auch Russland nur wenig tun. Er wünsche sich vor allem einen "Rahmen für die Aufnahme eines politischen Dialogs". Doch den gebe es nicht.

Über die Entwicklungen in der Ukraine sei er besorgt, sagte Putin. Russland sei jedoch nicht allein schuld am Konflikt. "Wenn wir zu hören bekommen, dass wir über besondere Möglichkeiten verfügen, die eine oder andere Krise zu lösen, macht mich das immer stutzig", erklärte der russische Präsident. "Ich habe immer den Verdacht, dass es ein Versuch ist, uns die Verantwortung aufzuerlegen, uns zusätzlich für etwas zahlen zu lassen. Das wollen wir nicht." Die Ukraine sei ein eigenständiger, unabhängiger, souveräner Staat.

Putin zufolge könnte in der Ukraine der ein Wunsch nach "ethnischen Säuberungen" aufkommen: "Wir haben Angst, dass die Ukraine in diese Richtung abdriften könnte, zum Neonazismus. Das wäre eine Katastrophe für die Ukraine und das ukrainische Volk."

Die Regierung in Kiew sei in der Verantwortung. "Es sind Menschen mit dem Hakenkreuz am Ärmel unterwegs. Auf den Helmen von Kampfeinheiten, die im Osten der Ukraine kämpfen, sehen wir SS-Symbole. Wenn die Ukraine ein zivilisierter Staat ist – wo schaut die Regierung hin?"

Putin betonte, er wolle auch im wirtschaftlichen Sektor "normale Beziehungen mit all unseren Partnern" herstellen. Doch die zahlreichen Sanktionen gegen sein Land böten auch Vorteile. "Die Einschränkungen, die in Bezug auf den Kauf bestimmter Waren im Westen, in Europa, in den Staaten für bestimmte russische Unternehmen eingeführt wurden, geben uns Anreize, diese Waren selbst zu produzieren. Es lebt sich bequem, wenn wir nur verkaufen, wenn wir nur daran denken müssen, mehr Öl und Gas zu fördern, und man den Rest kaufen kann. Dieses Leben gehört teilweise der Vergangenheit an."

"Was haben Sie denn getan?"

Seipel will gegen Ende des Interviews wissen, ob Russland einen neuen Vorschlag machen werde, wie der Ukraine-Konflikt zu lösen sei. Eine Frage, auf die Putin mit vielen Gegenfragen antwortet. "Immer bekommt man zu hören: 'Da sind prorussische Separatisten, Sie müssen dies tun, Sie müssen jenes tun, nehmen Sie Einfluss, machen Sie das so.' Ich frage immer: Und was haben Sie gemacht, um auf ihre Klientel Einfluss zu nehmen?"

Viel Neues fördert das Interview der ARD mit Wladimir Putin nicht zu Tage. Die meisten Argumente des russischen Staatschefs sind bereits bekannt. Interessant ist jedoch, wie Putin das Gespräch beendet: Mit einem Lob der deutsch-russischen Beziehungen nämlich, die - so hofft Putin - "eine sehr gute Grundlage für die Entwicklung nicht nur von bilateralen Beziehungen, sondern auch von Beziehungen zwischen Russland und Europa insgesamt und, breiter, zur Harmonisierung der globalen Beziehungen" sein könnten.

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