In der Politik wird über ein Burka-Verbot debattiert, doch vermutlich gibt es in Deutschland keine einzige Burka-Trägerin. Der Journalist Fabian Köhler sagt, die Diskussion habe der großen Mehrheit der muslimischen Frauen ohne Gesichtsschleier schon jetzt geschadet. Ein Anstieg von Vorurteilen und Übergriffen sei zu erwarten.

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Herr Köhler, derzeit wird wieder verstärkt über ein Burka-Verbot debattiert. Wie viele Burka-Trägerinnen gibt es eigentlich in Deutschland?

Fabian Köhler: Das kann keiner so genau sagen. Wenn mit Burka jede Art von Gesichtsschleier gemeint ist, gibt es wahrscheinlich einige hundert. Sofern aber wirklich die meist blaue afghanisch-pakistanische Vollverschleierung gemeint ist, ist es ziemlich ausgeschlossen, dass es auch nur eine einzige gibt.

Wie können Sie da so sicher sein?

Weder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch die Bundesregierung hat zu Burka-Trägerinnen irgendwelche Informationen. Ich habe mich deshalb selbst auf die Suche gemacht.

Wo haben sie gesucht?

Ich habe bei Islamwissenschaftlern und Afghanistan-Forschern nachgefragt, bei Imamen von afghanischen Moscheen und in islamischen Klamottenläden, bei afghanischen Vereinen, in der afghanischen Botschaft und bei vielen Deutsch-Afghanen und Deutsch-Afghaninnen.

Mit welchem Ergebnis?

Niemand hat jemals eine Frau mit Burka in Deutschland gesehen. Wenn in der Öffentlichkeit von Burka gesprochen wird, ist meist der Niqab und andere Schleier gemeint.

Was ist der Unterschied?

Der Niqab ist vor allem auf der arabischen Halbinsel und zunehmend in Nordafrika verbreitet. Es ist ein dünnes schwarzes Tuch, das das Gesicht verdeckt und einen Sehschlitz hat. Dazu tragen die Frauen ein schwarzes Gewand, meist Abaya genannt. Burka ist im engeren Sinne nur das arabische Wort für Gesichtsschleier. Was im Westen seit rund 20 Jahren damit gemeint wird, ist die afghanisch-pakistanische Variante der Vollverschleierung: ein zeltartiges, meist blaues Stück Stoff mit einem Stoffgitter für die Augen, das sich die Frau auf den Kopf setzt und das den ganzen Oberkörper verhüllt.

Wenn die Politik ein Burka-Verbot fordert, dann ist also auch der Niqab gemeint?

Ja genau. Ziel ist ein komplettes Verbot der Gesichtsverschleierung wie es in Frankreich, Belgien, den Niederlanden oder in einem Kanton der Schweiz existiert.

Was spricht aus Ihrer Sicht gegen ein Verbot der Vollverschleierung?

Es wären allenfalls ein paar hundert Frauen direkt von diesem Gesetz betroffen. Aber unter den wachsenden Vorurteilen und Feindseligkeiten, die solche Debatten immer mit sich bringen, müssten sehr viele der zwei Millionen muslimischen Frauen in Deutschland leiden. Das zeigt sich in Frankreich, wo nach dem Burka-Verbot 2011 Übergriffe auf Kopftuchträgerinnen und Vorurteile gegen Muslime zugenommen haben. So ein Gesetz wäre völlig unverhältnismäßig.

Sind denn in Frankreich die Burka- oder Niqab-Trägerinnen durch das Verbot verschwunden?

Nein, überhaupt nicht. Laut Innenministerium tragen noch etwa genau so viele Frauen den Gesichtsschleier wie zuvor, zirka 2.000. Es gibt sogar Fälle, in denen Frauen ihn als Ausdruck zivilen Ungehorsams überhaupt erst angelegt haben. Die Zahlung des Bußgeldes für die Frauen übernimmt übrigens ein algerischer Geschäftsmann.

Aber ein Gesichtsschleier fördert ja nun nicht gerade die Integration. Die Frauen können oder wollen kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ihre Jobchancen sind gering.

Das stimmt. Frauen mit Gesichtsschleiern sind jetzt schon sozial ausgegrenzt. Oft ist es natürlich auch ihr eigener Wille oder der ihrer Männer beziehungsweise ihrer Familie zur Abschottung. Ein Burka-Verbot ändert aber nichts daran, sondern verschärft die Ausgrenzung noch. In Frankreich wird vollverschleierten Frauen oft der Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen, Kinos oder Bussen verweigert. Die Folge ist aber nicht, dass die Frauen ihren Schleier ablegen, sondern dass sie zuhause bleiben.

Werden die Kleidungsstücke auch freiwillig getragen oder liegt meistens Zwang vor?

Da bin ich überfordert. Es gibt sicherlich Frauen, die sich bewusst dazu entscheiden, ihr Gesicht aus Frömmigkeit zu verschleiern. In den meisten Fällen, aber das ist nur meine Vermutung, ist der Schleier die Konsequenz sozialer Strukturen und des jeweiligen patriarchalischen Gesellschaftsverständnisses. In Afghanistan verschleiern sich viele Frauen aus Angst vor Übergriffen und sozialer Ächtung, und in Saudi-Arabien kennen es viele gar nicht anders. Dort ist es gesetzlich vorgeschrieben.

Was stört sie am meisten an der Debatte um das Burka-Verbot?

Zum einen erkenne ich den Sinn eines solchen Verbots nicht: Das Argument, ein Burka-Verbot würde die öffentliche Sicherheit erhöhen, ist bloßer Populismus. Und für real oder mutmaßlich unterdrückte Frauen wird sich durch ein Verbot lediglich ändern, dass sie noch weiter aus der Öffentlichkeit in die soziale Isolation gedrängt werden.

Was kritisieren Sie noch?

Vor allem stört mich, wie durch die Debatte islam- und frauenfeindliche Klischees verbreitet werden. Wenn sich an der Vollverschleierung die Frage der Frauenunterdrückung entscheidet, warum feiern wir dann nicht die überwiegende Mehrheit der Musliminnen als gelungenes Beispiel für erfolgreiche Integration und Emanzipation, anstatt ständig über ein Stück Stoff zu sprechen, das mit der Lebenswirklichkeit von 99,9 Prozent der muslimischen Frauen in Deutschland nichts zu tun hat?

Wie stehen die Chancen, dass es tatsächlich zu einem Burka-Verbot kommt?

Innenminister Thomas de Maizière rudert ja schon wieder zurück. Von daher ist es aktuell ziemlich ausgeschlossen. Und auch Verfassungsrechtler haben angedeutet, dass ein Burka-Verbot vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden würde: Es wäre nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar.

Haben Sie persönlich schon mal eine Burka-Trägerin in Deutschland gesichtet?

Nein. Aber bei meiner Recherche hat mir ein islamischer Theologe einmal von zwei Burka-Trägerinnen in Deutschland erzählt. Er sei ihnen im Rahmen von Forschungen über islamische Sexualmoral begegnet. Sie arbeiteten als Dominas in einem S/M-Studio.

Zur Person: Fabian Köhler hat in Jena und Damaskus Politik- und Islamwissenschaft studiert und arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er beschäftigt sich unter anderem in seinem Blog "Schantall und die Scharia" mit dem Islam und Islamfeindlichkeit in Deutschland.
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