• Durch das Coronavirus sind andere Erkrankungen aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerückt.
  • Doch die Pandemie könnte umgekehrt die Entwicklungen im Kampf gegen Krebs voranbringen.
  • In mRNA-Impfstoffe, wie sie nun erstmals gegen SARS-CoV-2 zum Einsatz kommen, werden auch in der Onkologie große Hoffnungen gesetzt.

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Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat die Wissenschaft unter Hochdruck daran gearbeitet, dem Virus etwas entgegenzusetzen. Und das Tempo ist bemerkenswert: Binnen Monaten war das Genom von SARS-CoV-2 entschlüsselt, nur wenige Wochen später lagen erste Konzepte für mRNA-Impfstoffe vor - eine Technologie, die bis dahin noch nie außerhalb von Laboren zum Einsatz gekommen war.

Am 21. Dezember 2020 schließlich erhielt mit dem Vakzin BNT162b2 von Biontech/Pfizer erstmals ein mRNA-Impfstoff in der Europäischen Union die Zulassung.

mRNA-Impfstoffe sind das Ergebnis jahrelanger Krebsforschung

Dass in so kurzer Zeit ein Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden werden konnte, ist auch der jahrelangen Vorarbeit in der Krebsforschung zu verdanken. Dort wird schon seit rund 20 Jahren mit mRNA-Technologie geforscht und große Hoffnungen in sie gesetzt. Eine Zulassung gibt es auf diesem Feld aber noch nicht.

Erst durch ihren Einsatz im globalen Kampf gegen das Coronavirus ist die Technologie nun ins öffentliche Rampenlicht gerückt. Davon kann nun umgekehrt die Krebsforschung profitieren, wie Dr. Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt: "Die Erfahrungen, wie man so einen Impfstoff in großen Mengen produzieren, wie man die Prozesse optimieren kann - diese kommen der Onkologie zunutze."

"Impfstoffproduktion wird in den Patienten hinein verlagert"

Zudem bekommt die Öffentlichkeit nun die Chance, sich mit der vollkommen neuen Technologie vertraut zu machen. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Vakzinen werden bei mRNA-Impfstoffen keine Antigene wie etwa Virusbestandteile oder abgeschwächte Erreger injiziert, sondern der "Bauplan" für ein solches Antigen. "Die Impfstoffproduktion wird gewissermaßen in den Patienten hinein verlagert. Das ist das Geniale daran", sagt Halama.

Allgemein sorgt mRNA (messenger ribonucleic acid) in Körperzellen dafür, dass die in der DNA gespeicherten Informationen zum Aufbau von Proteinen auch verarbeitet werden können. Sie sind Abschriften eines Gens oder Teilen davon und enthalten sozusagen den Bauplan eines Proteins. So kann die Erbinformation zu den "Proteinfabriken" der Zelle gelangen, den Ribosomen, die das Protein schließlich anhand dieses Bauplans produzieren.

Diesen natürlichen Prozess macht sich die Wissenschaft jetzt zunutze, indem sie gezielt mRNA in den Körper schleust, die den Bauplan für ein Antigen enthält.

mRNA-Impfstoffe lassen sich schneller herstellen als klassische Vakzine

Im Fall von COVID-19 enthalten die neuartigen Impfstoffe die Bauanleitung für ein Oberflächenprotein von SARS-CoV-2. Und obwohl der Körper dieses Antigen selbst produziert, wird es vom Immunsystem als fremdartig erkannt und bekämpft. Kommt es danach zum Kontakt mit SARS-CoV-2, erkennt das Immunsystem das Protein wieder und kann so schneller und zielgerichteter auf die Infektion reagieren.

Das passiert auch bei klassischen Impfstoffen. Der Vorteil von mRNA-Impfstoffen im Vergleich zu herkömmlichen Vakzinen besteht laut dem Paul-Ehrlich-Institut - das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel - vor allem darin, dass mRNA-Impfstoffe dank ihrer einfachen Struktur viel schneller hergestellt werden können.

Woran die Wissenschaftler lange tüfteln mussten, war, wie die kurzlebigen Botenstoffe unbeschadet zu ihrem Wirkungsort transportiert werden können. Dieses Problem hat man mithilfe kleiner Fettkügelchen gelöst: Die mRNA wird in eine Lipidhülle verpackt und kann so in die Zellen eindringen.

Das Ziel sind maßgeschneiderte Impfstoffe gegen Krebs

Doch das eigentliche Potenzial der mRNA-Technologie schöpfen die Corona-Impfstoffe gar nicht voll aus, wie Halama erklärt: "mRNA-Impfstoffe kann man präzise personalisieren." In der Krebsforschung verfolge man den Ansatz, maßgeschneiderte Impfstoffe für Patienten zu bauen und individualisierte Krebstherapien zu ermöglichen. Denn es gibt viele verschiedene Krebsarten und jeder Patient ist anders. Im Falle des Coronavirus erhalten alle Menschen dagegen den gleichen Impfstoff.

Die Herangehensweise unterscheidet sich noch in einem weiteren Punkt: Während es sich bei einem Virus wie SARS-CoV-2 um einen fremdartigen Erreger handelt, entstehen Tumore aus körpereigenen Zellen und werden deshalb vom Immunsystem häufig nicht angegriffen. "Die mRNA-Impfung schließt letztlich eine Lücke, die das Immunsystem hat", so Halama.

Wie findet man nun ein Antigen eines Tumors, um das Immunsystem gegen ihn zu richten? Um einen Impfstoff gegen Krebs herzustellen, werden jeweils das Erbgut des Patienten und das Erbgut der Tumorzellen entschlüsselt und verglichen: Worin unterscheidet sich der Tumor von den gesunden Zellen?

Anhand dieser Veränderungen wird schließlich versucht, einen mRNA-Impfstoff aufzubauen. "Das sind idealerweise Veränderungen, die beispielsweise die Oberfläche der Tumorzelle betreffen und vom Immunsystem erkannt werden können", erläutert Halama.

Strenggenommen könne man dabei aber nur bedingt von einem Impfstoff gegen Krebs sprechen, so der Experte. Im Gegensatz zur HPV-Impfung gegen das humane Papillomavirus biete die mRNA-Impfung keinen präventiven Schutz: "Sie soll gegen einen Tumor wirken, der schon da ist, während die HPV-Impfung verhindert, dass überhaupt ein Tumor entstehen kann."

Im Vergleich mit bisherigen Behandlungsmethoden wie Bestrahlung oder Chemotherapie handelt es sich beim mRNA-Ansatz nicht um begleitende Maßnahmen, die das Immunsystem im Kampf gegen den Krebs unterstützen. Vielmehr soll mit den mRNA-Impfstoffen die Körperabwehr selbst angekurbelt und in "Gefechtsbereitschaft" versetzt werden.

Zulassung in zwei Jahren - wenn alles gut läuft

Doch das Immunsystem ist eine komplexe Maschinerie und zwischen Injektion und Heilung liegen viele Schritte, bei denen es zu Problemen kommen kann. "Die passenden Immunzellen, die durch den Impfstoff trainiert worden sind, müssen erst mal die Tumorzellen erreichen und dann in der Lage sein, die Zellen abzutöten", sagt Halama. "Es gibt keine Garantie, dass die Impfung zur Zerstörung des Tumors führt."

Zudem gebe es Unterschiede zwischen den Krebsarten. Bei welcher Erkrankungssituation eine Impfung das optimale Mittel ist und bei welcher nicht, müsse noch durch weitere Studien in Erfahrung gebracht werden: "Bei einem Patienten, dem man einen Tumor komplett entfernt hat und bei dem wir nur befürchten müssen, dass einzelne Tumorzellen zurückgeblieben sind, ist das etwas ganz anderes, als bei einem Patienten, der vielleicht schon in Leber, Lunge und anderen Stellen Metastasen hat."

Wie lange wird es also noch dauern, bis mRNA-Impfstoffe bei Krebspatienten zum Einsatz kommen? Aus Sicht von Halama ist das schwer abzuschätzen. "Momentan sind Phase-III-Studien unterwegs - wenn man optimistisch ist und alles gut läuft, könnte man davon ausgehen, dass in ein, zwei Jahren eine Zulassung erfolgen könnte."

Je nachdem, was bei den Studien herauskomme, könne es aber auch viel länger dauern. Im Kampf gegen das Coronavirus hat die neue Technologie die Welt aber schon jetzt ein ganzes Stück vorangebracht.

Über den Experten: Dr. Niels Halama leitet am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg die Abteilung Translationale Immuntherapie und seit 2015 die Arbeitsgruppe "Adaptive Immunotherapie" am Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.

Verwendete Quelle:

  • Homepage des Paul-Ehrlich-Instituts: Wie funktionieren mRNA-Impfstoffe und was sind ihre Vorteile?
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