Planeten kreisen für gewöhnlich um einen Stern – doch es gibt sogenannte vagabundierende Planeten, die aus der Reihe tanzen. Forscher und Forscherinnen gehen davon aus, dass es Billionen von ihnen gibt, und doch sind sie extrem schwer zu entdecken. Ein Experte erklärt, was Albert Einstein damit zu tun hat und ob diese galaktischen Nomaden zur Gefahr für die Erde werden könnten.

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Friedlich kreist die Erde in einer elliptischen Bahn um die Sonne. Ein Jahr braucht sie, um die Sonne einmal zu umrunden. Auch andere Planeten tun das, es ist Teil ihrer Definition: Planeten sind große, nicht selbst leuchtende Himmelskörper, die um einen Fixstern kreisen. Doch es gibt Einzelgänger unter den Planeten, die sich dieser Definition widersetzen und sozusagen frei durchs All vagabundieren.

"Im Grunde ist da oben alles voll mit vagabundierenden Planeten."

Astrophysiker Guido Thimm

Die US-Weltraumbehörde Nasa kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass auf jeden Stern in der Milchstraße 20 vagabundierende Planeten kommen. Bei 300 bis 400 Milliarden Sternen allein in unserer Galaxie ergibt das eine gigantische Anzahl. "Im Grunde ist da oben alles voll mit vagabundierenden Planeten", erklärt auch der Astrophysiker Guido Thimm im Gespräch mit unserer Redaktion.

Vagabundierende Planeten sind schwer zu entdecken

Selten sind vagabundierende Planeten oder "rogue planets" also nicht – und doch sind sie extrem schwer zu entdecken. Vagabundierende Planeten lassen sich vor allem dann aufspüren, wenn sie zwischen uns und einem weit entfernten Stern vorbeiziehen. Dann leuchtet der Stern für einen kurzen Moment heller. Um das zu erklären, braucht man Albert Einsteins Relativitätstheorie.

Einstein beschrieb Gravitation als eine Veränderung von Zeit und Raum durch Masse. Die Masse eines Planeten kann demnach die Raumzeit verändern – und dadurch den Lichtstrahl auf seinem Weg vom Stern zu uns beugen. Dadurch erscheint der Stern von der Erde aus gesehen für einen kurzen Moment heller. "Sie müssen sich das vorstellen wie durch ein Vergrößerungsglas", erklärt Guido Thimm. "Wenn sie mit einer Lupe einen Stern anschauen, vergrößert sich der Bildausschnitt, das Licht wird gebündelt und der Stern wirkt heller."

Microlensing a Rogue Planet

Diese Animation veranschaulicht das Konzept der Gravitationsmikrolinse mit einem vagabundierendem Planeten– einem Planeten, der keinen Stern umkreist. © YouTube

Was Astrophysiker und -physikerinnen bei diesem sogenannten Mikrolinseneffekt zu sehen bekommen, ist also nicht der Planet selbst, sondern ein kurzes helleres Aufleuchten des Sterns. "Wenn man über längere Zeit sehr viele Sterne gleichzeitig beobachtet, kann man solche Signale messen und daraus Aussagen zum Beispiel über die Masse des Objekts treffen, das dieses Aufleuchten verursacht hat", sagt Thimm.

Eine weitere Möglichkeit, planetare Vagabunden zu identifizieren, bieten moderne Infrarotteleskope. Viele "rogue planets" emittieren Wärmestrahlung, die noch aus ihrem Entstehungsprozess herrührt. Doch diese Lichtsignale sind extrem schwach. "Erst seit ein paar Jahren haben wir überhaupt Möglichkeiten, diese schwache Infrarotstrahlung nachzuweisen. Und es ist immer noch sehr schwierig", erklärt der Astrophysiker.

Ursprung vagabundierender Planeten gibt Forschenden Rätsel auf

Im vergangenen Jahr haben Forscher zwischen 70 und 170 dieser Einzelgänger identifiziert. Die Unsicherheit bei der Bestimmung ist groß, denn sie sind nicht einfach von sogenannten Braunen Zwergen zu unterscheiden. Braune Zwerge nehmen eine Zwischenstellung zwischen Planeten und Sternen ein. Ihre Masse ist größer als das 13-Fache des Jupiters, dem größten Planeten unseres Sonnensystems. Um Kernfusionsprozesse wie in Sternen starten zu können, sind sie allerdings zu klein. Sie sind sozusagen "gescheiterte Sterne".

Dennoch suchen Astronominnen und Astronomen beharrlich nach den Vagabunden des Weltalls. Forschende hoffen, dadurch mehr über die Herkunft dieser galaktischen Nomaden herauszufinden. Denn wie genau die Einzelgänger entstanden sind, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

Eine mögliche Erklärung ist, dass sie früher einmal Teil eines Sonnensystems waren und aus diesem herauskatapultiert wurden. Planeten kreisen in unterschiedlichen Bahnen um ihren Stern und kommen sich dabei mal mehr, mal weniger nahe. Wenn es ungünstig läuft, kann ein Planet bei einer Begegnung durch Gravitationskräfte herausgeschleudert werden. Dies lasse sich mit einem Beispiel aus dem Schlittschuhlaufen veranschaulichen, so Thimm. "Sie fassen zwei Freunde an der Hand und ziehen umeinander drehend ihre Bahnen auf der Eisfläche. Lässt nun einer plötzlich los, wird er weggeschleudert."

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Könnte die Erde zum Vagabunden werden?

Theoretisch könnte also auch die Erde zum Vagabunden werden; doch davon sei nicht auszugehen, sagt Thimm. Über Milliarden von Jahren hätten sich die planetaren Körper in unserem Sonnensystem sehr stabil arrangiert. "Die Störungen, die die einzelnen Planeten noch aufeinander ausüben, sind so gering, dass sie die Planetenbahnen nicht mehr dramatisch verändern können."

Eine andere Theorie zum Ursprung vagabundierender Planeten ist, dass sie als Einzelgänger außerhalb eines Planetensystems geboren werden. Um das eindeutig belegen zu können, brauche es aber noch weitere Forschung. Es sei auch nicht auszuschließen, dass manche dieser Einzelgänger in Wirklichkeit um einen sehr weit entfernten Stern kreisen und nur scheinbar vagabundieren.

Auch in unserem Sonnensystem gebe es einen planetaren Körper, der jenseits der Pluto-Bahn um unsere Sonne kreist. Für eine Umlaufbahn braucht dieser Planet Hunderte von Jahren. "Von einer anderen Zivilisation aus betrachtet, könnte er aber vielleicht als vagabundierender Planet wahrgenommen werden." Die meisten dieser Planeten kreisten aber wahrscheinlich nicht um einen Stern, sagt Thimm. "Es gibt einfach sehr viel mehr vagabundierende Planeten als Sterne."

Bei günstigem Eintrittswinkel und günstiger Geschwindigkeit sei es theoretisch möglich, dass die Vagabunden wieder von einem Planetensystem eingefangen werden. Das Prinzip lässt sich in unserem Sonnensystem anhand von Jupiter und Saturn beobachten: Beide Planeten werden von mehreren Monden umkreist. "Diese Monde sind mit Sicherheit nicht alle dort entstanden, sondern wurden im Laufe von Milliarden Jahren von diesen Planeten 'eingefangen'", sagt Thimm.

"Vagabundierende Planeten sind [...] wohl nicht für Leben geeignet."

Guido Thimm

Dass Leben auf vagabundierenden Planeten möglich ist, sei im Übrigen unwahrscheinlich. Da sie nicht um einen Stern kreisen, sondern durch den interstellaren Raum ziehen, sind die Bedingungen auf diesen Planeten nicht konstant. "Damit sich Leben entwickeln kann, braucht es aber über Milliarden von Jahren geeignete und stabile Bedingungen", sagt Thimm. "Vagabundierende Planeten sind daher wohl nicht für Leben geeignet."

Könnten vagabundierende Planeten zur Gefahr für die Erde werden?

Doch könnte so ein kosmischer Vagabund zur Gefahr für die Erde werden? Erst im Jahr 2021 durchquerte der Mini-Exoplanet Oumuamua unser Sonnensystem. Folgen hatte das keine – dafür war der Himmelskörper zu klein. "Hätte es sich um einen Planeten der Masse von Jupiter gehandelt, wäre der Einfluss sicher signifikant gewesen", erklärt Thimm. Käme uns ein solcher vagabundierender Planet zu nahe, könnte er einen gravitativen Einfluss auf uns haben - mit dramatischen Folgen.

Denn die Bahn, in der unsere Erde um die Sonne kreist, bietet die idealen Bedingungen für Leben. Es ist nicht zu heiß, nicht zu kalt und Wasser kann in flüssiger Form existieren. Habitable Zone nennen das die Wissenschaftler. "Würde die Erde aus ihrer jetzigen Position nach außen befördert, würden wir weniger Sonnenstrahlung abbekommen und alles würde einfrieren", erklärt Thimm.

Wenn ein vagabundierender Planet tatsächlich Kurs auf die Erde nähme, würden wir es dank Weltraumbeobachtungen lange im Voraus wissen. Viel unternehmen könnten wir dann allerdings nicht. Erst im vergangenen Jahr ist es der Nasa in einem Test zwar gelungen, einen Asteroiden mit einer "Dart"-Sonde aus seiner Bahn abzulenken. "Bei deutlich größeren Objekten wie einem vagabundierenden Planeten wäre das nicht möglich", erklärt Thimm.

Sorgen vor diesem Szenario muss man jedoch nicht haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passiere, ist laut dem Astrophysiker sehr gering. "Der interstellare Raum ist extrem leer."

Zur Person: Dr. Guido Thimm ist Astrophysiker und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Zentrums für Astronomie an der Universität Heidelberg.

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit Dr. Guido Thimm
  • NASA.org: New Study Reveals NASA’s Roman Could Find 400 Earth-Mass Rogue Planets
  • NASA.org: Unveiling Rogue Planets With NASA’s Roman Space Telescope
  • NASA auf YouTube: Microlensing a Rogue Planet
  • Journal IOP Science: Rogue Planets and Brown Dwarfs: Predicting the Populations Free-floating Planetary Mass Objects Observable with JWST
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