- Gerade haben wir alle auf einen unbeschwerten Frühling gehofft, da beginnt mit dem russischen Angriff auf die Ukraine eine neue Krise.
- Ein Forschungsinstitut hat ermittelt, wie die Deutschen damit umgehen.
- Es herrscht Fassungslosigkeit - und Schockstarre.
Der Krieg in der Ukraine bereitet vielen Deutschen einer Untersuchung zufolge extreme Ohnmachtsgefühle - und verstärkt damit die Zermürbung nach zwei Jahren Corona-Pandemie. Das erklärte das Kölner Rheingold-Institut am Donnerstag auf Basis seiner Befragungen eines kleinen Kreises von Menschen in den vergangenen Tagen.
Für die Untersuchung waren im Februar - vor dem Krieg - 40 Menschen tiefenpsychologisch zu ihren Corona-Befindlichkeiten befragt worden. Hinzu kam eine bevölkerungsrepräsentative Befragung mit 1.000 Menschen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden zusätzlich zwölf Menschen tiefenpsychologisch befragt.
"Die Bürger erleben einen plötzlichen Einbruch einer bedrohlichen Kriegswirklichkeit, von der sie das Gefühl haben: Das hat ein Eskalationspotenzial, das unvorstellbar ist", sagte Institutsgründer, Psychologe und Autor Stephan Grünewald ("Wie tickt Deutschland?"). Der Untersuchung zufolge trifft die Kriegsangst zugleich auf eine Gesellschaft, in der viele Bürger schon zuvor angesichts der Corona-Pandemie zunehmend resigniert, antriebslos und entnervt reagierten hätten. Grünewald beschrieb den Zustand mit "Melancovid".
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Gerade junge Leute spürten, dass man gefühlt seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in einer "Krisenpermanenz" lebe. Neben Corona müsse man auch an die Finanzkrise und die Klimakrise denken. Der russische Angriff auf die Ukraine habe nun obendrauf eine "ungeheure Wucht" entwickelt, berichtete Grünewald aus den geführten Gesprächen.
"Der Kulminationspunkt für diese Wucht ist der russische
Während die Politik etwa mit Sanktionen aktiv agiere, sei die Lebenswirklichkeit bei vielen Menschen eine ganz andere. "Sie fühlen sich eher manövrierunfähig, seltsam niedergedrückt und sie sind eher in einem Zustand abwartender Fassungslosigkeit", sagte Grünewald. Die Formen der Bewältigung dieser Situation könne man gleichwohl differenzieren. Manche grübelten und schauten ständig in Nachrichten-Ticker - in inständiger Hoffnung auf eine erlösende Entwicklung. Andere klammerten sich an den vertrauten Alltag. Schwach ausgeprägt seien auch Fluchtgedanken beobachtet worden.
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Melancholie nach zwei Jahren Pandemie
All das trifft nach Einschätzung des Instituts auf eine Gesellschaft, in der viele Bürger nach zwei Jahren Pandemie schon zuvor in eine verharrende Abwartehaltung verfallen waren. Viele hätten ihre Sehnsüchte in einer Art "Enttäuschungsprophylaxe" zurückgeschraubt - also sich mit Wünschen zurückgehalten in der Annahme, dass diese ohnehin wieder nicht erfüllt werden könnten. "Mitunter klingen die Beschreibungen der Befragten so, als befänden sie sich in einem Zustand der Melancholie", erklärte das Rheingold-Institut.
Weniger als ein Viertel (22,6 Prozent) habe in der Befragung etwa angegeben, wieder zu der Lebensfülle und Risikobereitschaft der Zeit vor Corona zurückkehren zu wollen. 30,5 Prozent hätten an sich eine gewisse Antriebslosigkeit beobachtet. 29 Prozent hätten an einigen Dingen die Lust verloren, die ihnen früher Freude bereitet hätten. (dpa/af)
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