Das West-Nil-Virus wurde erstmals 2018 in Deutschland nachgewiesen und führt seitdem jedes Jahr zu Infektionen von Vögeln, Pferden und Menschen. Gen-Analysen zeigen nun die Wege des Virus in Europa auf.

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Die Ausbreitung des West-Nil-Virus in Europa hängt einer Studie zufolge mit dem Vogelzug, mit Städten und mit der intensiven Landwirtschaft zusammen. Bedeutend seien vor allem die Lebensbedingungen der in Europa weit verbreiteten Gemeinen Stechmücke (Culex pipiens), die das Virus überträgt, berichtet ein Forschungsteam um Lu Lu von der Universität Edinburgh.

Ausbreitung hängt mit Flächennutzung zusammen

Die in Europa besonders häufige Unterlinie des Virus, WNV-2a, verbreite sich dort mit einer vergleichsweise hohen Geschwindigkeit von 88 bis 218 Kilometer pro Jahr, schreiben die Forscher im Journal "PLOS Pathogens". Die Ausbreitung korreliere stärker mit der Bewegung der Vögel als mit der Wanderung von Culex-Mücken von 0,5 bis 2 Kilometer pro Jahr. Das Forscherteam hatte Daten der vergangenen 20 Jahre von Virusgenomen, epidemiologischen Studien und Umweltuntersuchungen analysiert.

Die Ausbreitungsrichtung und -geschwindigkeit der Viren stimmte demnach oft mit Flächen intensiver Landwirtschaft und städtischen Gebieten überein. Je mehr Ackerbau, Weideland und Vieh vorhanden waren, desto größer war die Ausbreitungsgeschwindigkeit. Die Mücke Culex pipiens bevorzuge aber auch Städte, weil es dort viele künstliche Wasserflächen und höhere Temperaturen gebe sowie weniger natürliche Feinde, schreiben die Forscher. Aber auch Feuchtgebiete und Vogelschutzgebiete seien attraktiv für die Mücken.

West-Nil-Virus kam doch nicht aus Italien

Die Ergebnisse der genetischen Analyse seien sehr interessant, sagt Mitautorin Ute Ziegler vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), die Informationen aus Deutschland beitrug. Die Studie habe etwa gezeigt, dass das West-Nil-Virus nicht aus Italien, sondern aus Tschechien und Österreich nach Deutschland gelangt sei, und zwar mit Vögeln, die nur kürzere Strecken ziehen.

Hierzulande wurde es erstmals 2018 bei einem Bartkauz in Halle an der Saale entdeckt und 2019 erstmals bei einem Menschen, ebenfalls in Ostdeutschland. In diesen Jahren habe es dort ein feuchtes, warmes Frühjahr und einen heißen Sommer gegeben, sagt Ziegler. Die Mückeneier entwickeln sich im Wasser. Die geschlechtsreifen Mückenweibchen nehmen mit einer Blutmahlzeit von Vögeln das Virus auf, das in heißen Sommern nur 12 bis 14 Tage zur Entwicklung in der Mücke benötige anstatt wie gewöhnlich drei Wochen oder länger. Daher gebe es in heißen Sommern mehr Generationszyklen und eine schnellere Vermehrung der Viren in den Stechmücken.

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Etablierung des Virus in Ostdeutschland

Für die Etablierung in Ostdeutschland müssen laut Ziegler viele Faktoren zusammengepasst haben: geeignete Stechmücken, günstige klimatische Bedingungen und mit dem Virus infizierbare Vögel wie beispielsweise Eulen, kleine Singvögel oder Habichte. Nur einige im Spätsommer auftretende Mückengenerationen könnten dann sowohl Vögel als auch Säuger infizieren und damit das Virus auch auf den Menschen übertragen. Um in einer Region langfristig zu bestehen, müsse das Virus dann dort auch überwintern können.

Bis heute gibt es in Deutschland, insbesondere im Osten, viele Nachweise. Das Vorkommen dort zeige, dass unter bestimmten Umständen die Voraussetzungen für eine Etablierung des Virus gegeben sind, ergänzt Mitautorin Marion Koopmans vom Erasmus University Medical Center in Rotterdam. "Ob dies der Fall ist, hängt nach wie vor aber auch von zufälligen Einschleppungen und dem Zeitpunkt der Einschleppung ab", betont sie.

Die Studie habe einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des West-Nil-Virus und der landwirtschaftlichen Flächennutzung ergeben, sagt sie. "Die Analyse ist ein erster Hinweis, wir müssten noch tiefer gehen, aber das könnte zum Beispiel bedeuten, dass bestimmte Vögel, die die Viren beherbergen, von landwirtschaftlichen Flächen angezogen werden oder dass es dort Auswirkungen auf die Häufigkeit von Mücken gibt."

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Übertragung und Ausbreitung des West-Nil-Virus

Mücken und Vögel können das Virus weitergeben, nicht jedoch Menschen und andere Säugetiere. Sie sind sogenannte Fehlwirte. Das West-Nil-Fieber zählt zu den wenigen von Mücken übertragenen Krankheiten in Europa. Die meisten Infektionen verlaufen laut Robert-Koch-Institut (RKI) symptomlos, etwa 20 Prozent der Infizierten entwickeln eine fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung von wenigen Tagen, etwa jeder Hundertste bekommt eine Hirn- oder Hirnhautentzündung.

In Europa wurde das West-Nil-Virus nach Angaben der Gesundheitsbehörde ECDC bereits in Blutproben aus den 1950er-Jahren nachgewiesen. Seit 2008 breite es sich stark in Mitteleuropa und im östlichen Mittelmeerraum aus. 2023 hatte die Behörde bis Mitte Dezember über 700 Fälle bei Menschen gezählt, die meisten in Italien, in Deutschland waren es sechs Fälle. Es werden aber längst nicht alle erkannt.

Ausrottung der Mücke so gut wie unmöglich

Nach Angaben der Autoren gibt es in ganz Europa erhebliche Lücken in den verfügbaren Daten. "In Deutschland untersuchen wir zusammen mit Kooperationspartnern ganz viele Vögel und schauen, wo sie verendet sind und ob sie mit dem West-Nil-Virus infiziert waren", sagt Ziegler. Die Daten werden in einem nationalen Wildvogelnetzwerk am FLI ausgewertet. Das Vorkommen des West-Nil-Virus in Vögeln in bis dahin nicht betroffenen Regionen könne als Frühwarnsystem für den Menschen genutzt werden. So könnte man Hausärzte in der jeweiligen Region zeitnah auf die Krankheit aufmerksam machen.

Die Mückenart Culex pipiens komme überall dort vor, wo Menschen leben, sagt Ziegler. "Die Gemeine Stechmücke wohnt quasi bei uns um die Ecke. Es ist daher illusorisch, sie auszurotten." Man könne sie aber zahlenmäßig reduzieren, indem man Wasseransammlungen vermeide, das reiche von liegengelassenem Spielzeug im Sandkasten bis zu Blumenuntersetzern und Friedhofsvasen. (Von Simone Humml, dpa/mak)

Verwendete Quellen

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