Forschende sind im Himalaya einem Phänomen auf die Spur gekommen, das den Schwund von Gletschern zumindest verzögern könnte. Durch kühlende Luftströme bekämpft das Gebiet die Folgen des Klimawandels und schützt so auch Ökosysteme.

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In einer Gletscherregion des Himalaya hat ein Forschungsteam ein verblüffendes Phänomen ausgemacht: Der Klimawandel verstärkt dort kühlende Windströme, wie eine im Fachjournal "Nature Geoscience" vorgestellte Studie zeigt. Der Effekt sei im ganzen Himalaya-Gebiet verbreitet, vermindere das Schwinden von Gletschern und schütze umliegende Ökosysteme - vorerst zumindest.

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Forschende entdecken ungewöhnlichen Rückkopplungseffekt

Üblicherweise erwärmen sich Berggipfel im Zuge der globalen Erwärmung stärker als niedrigere Lagen, wie das Team um Francesca Pellicciotti vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (Österreich) erläutert. An einer hochgelegenen Klimastation am Mount Everest in Nepal aber seien die Durchschnittswerte der Lufttemperatur an der Oberfläche verdächtig stabil geblieben.

Wetterstation im Himalaya
Das Pyramiden-Observatorium: Die Klimastation zeichnet seit fast drei Jahrzehnten stündlich meteorologische Daten auf. © Franco Salerno/dpa

Hintergrund ist ein ungewöhnlicher Rückkopplungseffekt: Die globale Erwärmung führt zu einer größeren Temperaturdifferenz zwischen der wärmeren Umgebungsluft oberhalb des Gletschers und der Luftmasse, die in direktem Kontakt mit der eisigen Gletscheroberfläche steht. Mehr Luftturbulenzen sind die Folge, die wiederum zu mehr Wärmeaustausch mit der Gletschermasse führen.

Die Luftmasse nah an der Oberfläche kühlt dadurch stärker ab. Dabei nimmt auch ihre Dichte zu und ein stärkerer kalter Fallwind entsteht. Er strömt kontinuierlich die Hänge hinunter und kühlt die unteren Teile des jeweiligen Gletschers ebenso wie umliegende Ökosysteme. Solche Luftströmungen werden als katabatische Winde bezeichnet.

Illustration zum gefundenen Effekt
Schematische Darstellung der Luftabkühlung in der Umgebung von Himalaya-Gletschern. © dpa / Salerno/Guyennon/Pellicciotti/Nature Geoscience

Das Team um ISTA-Professorin Pellicciotti sowie Franco Salerno und Nicolas Guyennon vom Nationalen Forschungsrat Italiens (CNR) schloss aus einer Kombination von Modellwerten und Satellitendaten, dass eine Verstärkung der katabatischen Winde nicht nur auf dem Mount Everest, sondern im gesamten Himalaya-Gebirge auftreten kann.

"Dieses Phänomen ist das Ergebnis von 30 Jahren stetig steigender globaler Temperaturen", sagte Pellicciotti. Sie und ihr Team wollen nun untersuchen, ob der Effekt auch bei den einzigen stabilen oder sogar wachsenden Gletschern der Welt im Pamir- und Karakorumgebirge nordwestlich des Himalaya zum Tragen kommt. "Die Hänge der Pamir- und Karakorum-Gletscher sind im Allgemeinen flacher als im Himalaya", erklärte Pellicciotti. Ihre Vermutung sei daher, dass die kalten Winde die Gletscher in der Folge stärker kühlen, bevor sie tiefere Gefilde erreichen.

Gefundener Effekt kein Indikator für langfristige Stabilität der Gletscher

Doch wie lange wird der Wind-Effekt die davon profitierenden Gletscher zumindest ein wenig schützen können? Die Gletscher an den Südhängen des Himalaya akkumulierten in großer Höhe Masse aus den Sommermonsunen des indischen Subkontinents und verlören Masse durch stetiges Abschmelzen, erläutern die Forschenden. Die katabatischen Winde verschieben demnach dieses Gleichgewicht: Die herabströmenden kälteren Luftmassen senken die Höhe, in der die Niederschläge stattfinden - sie fallen verstärkt unterhalb der Gletscherregionen. Den Gletschern fehle ein wichtiger Masseneintrag, während sie weiter schmölzen. Der gefundene Effekt sei daher kein Indikator für eine langfristige Stabilität der Gletscher.

Die Gletscher im Himalaya verlieren wie der Großteil der Gletscher weltweit seit Jahrzehnten kontinuierlich an Masse - und dieser Rückgang beschleunigt sich. In der Hindukusch-Himalaya-Region könnten 80 Prozent des gegenwärtigen Gletschervolumens bis zum Jahr 2100 verschwunden sein, hieß es in einem im Juni veröffentlichten Bericht des International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD) in Kathmandu. Die Hindukusch-Himalaya-Region erstreckt sich über ein großes Gebiet von Afghanistan unter anderem über Indien, Nepal und China bis nach Myanmar.

Schmelzen der Gletscher hat weitreichende Folgen

Voraussichtliche Folgen des Schwunds von Eis und Schnee sind wie in anderen Gletscherregionen auch zunächst häufiger und stärker werdende Überschwemmungen und Erdrutsche. Auf längere Sicht ist Wassermangel talabwärts zu befürchten, da die Gletscher zahlreiche Flüsse wie den Ganges, den Indus, den Mekong und den Jangtse speisen.

Die Klimastation des spektakulär aussehenden Pyramid International Laboratory/Observatory liegt in 5.050 Metern Höhe an den Südhängen des Mount Everest neben den Gletschern Khumbu und Lobuche. Seit 1994 werden in dem pyramidenförmigen Gebäude kontinuierlich meteorologische Daten aufgezeichnet.

Höchste Wetterstation weltweit ist eine erst 2019 in 8.430 Metern Höhe am South Col-Gletscher (SCG) des insgesamt 8.848 Meter hohen Mount Everest installierte Einrichtung. Auch der South Col könnte bis Mitte des Jahrhunderts verschwunden sein, berichtete ein Forschungsteam 2022 im Fachjournal "Climate and Atmospheric Science". (Annett Stein, dpa/sbi)

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