Dass Flugreisen schädlich fürs Klima sind, sollte man inzwischen wissen. Aber sind sie auch schädlich für den Steuerzahler? Dieser Frage geht Jan Böhmermann in der jüngsten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" nach und sieht sich am Freitagabend die Dienstreisetätigkeit unserer Bundestagsabgeordneten an. Keine schlechte Idee – an der sich Böhmermann allerdings kräftig verhebt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In den vergangenen beiden Folgen des "ZDF Magazin Royale" beschäftigte sich Jan Böhmermann mit den rechtsradikalen Umtrieben am 1. Frankfurter Polizeirevier und den möglichen Verbindungen zu den Morddrohungen des NSU 2.0. Die Doppelfolge endete mit einer Menge offener Fragen, ehe sich Böhmermann in eine einwöchige Pause verabschiedete.

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Nun ist der Satiriker wieder da, doch statt mit Fragen, meldet sich Böhmermann am Freitagabend mit einer Menge Antworten zurück. Obwohl das erst einmal besser klingt – das ist es nicht. Denn Böhmermann und sein Team arbeiten diesmal selbst für eine Satire-Show, in der es auch mal pauschal und grob zugehen darf, doch ein bisschen zu oberflächlich. Böhmermanns Ziel diesmal: die Dienstreisetätigkeit der Bundestagsabgeordneten.

Böhmermann scheint zu ahnen, dass die Vorwürfe, die er gegen die Abgeordneten in den folgenden Minuten erheben wird, in den falschen Hals geraten könnten. Daher schiebt er völlig ironiefrei vorweg: "Wir brauchen hier gar keine Neid-Debatte anfangen heute. Ich bin nicht Mario Barth, ich kann gönnen. Ich zahl gerne Steuern. Ich bezahle gerne dafür, dass unsere Bundestagsabgeordneten verreisen. So." Das ist glaubhaft und hätte man von Böhmermann auch nicht anders erwartet. Aber das Problem an Böhmermanns nun folgender Kritik ist ein ganz anderes.

"Süddeutsche" oder "Bild" – Hauptsache ein Zitat

"Unsere deutschen Bundestagsabgeordneten, die verreisen auch – oft und gerne. Die kommen richtig rum in der Welt", beginnt Böhmermann und ist bereits jetzt ziemlich verallgemeinernd, denn schon hier möchte man wissen, wen genau er denn meint. Es wird ja wohl Unterschiede zwischen den Abgeordneten geben.

Aber Böhmermann will gar nicht differenziert rangehen, sondern auf eine bestimmte Sache hinaus. Dafür zitiert er aus der "Süddeutschen Zeitung": "Laut der Bundestagsverwaltung sind für das laufende Haushaltsjahr 763.000 Euro für Einzeldienstreisen reserviert, dazu gut 2,8 Millionen Euro für Delegationsreisen der Ausschüsse sowie 567.000 Euro für Delegationsreisen der Parlamentariergruppen."

So weit zur Kenntnis genommen, das nächste Zitat ist da schon schwieriger und das aus zwei Gründen. Denn zum einen lässt er der "Süddeutschen Zeitung" die "Bild" folgen, als wären das zwei Medien von gleicher Seriosität. "Schon am 25. Mai war die Reisekasse der 736 Abgeordneten geplündert. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas schrieb am 25. Mai an die Fraktionen: Das Budget für Dienstreisen ist zu 90 Prozent schon ausgegeben oder verplant", steht in einem "Bild"-Beitrag - doch auch hier folgt keine Einordnung von Böhmermann.

Mario Barth gefällt das

Die wäre aber nötig, denn so tauchen Fragen auf, etwa, ob das einfach normal ist, weil Abgeordnete ihre Reisen und damit auch das Budget eben früh planen müssen. Stattdessen echauffiert sich Böhmermann: "Wie bitte? Am 25. Mai war schon fast die ganze Kohle für das ganze Jahr aufgebraucht?" Das ist keine Einordnung, sondern klingt nach: Die Abgeordneten sind einfach nur spitz aufs Reisen und hauen ihr Budget schnellstmöglich auf den Kopf.

Ähnlich läuft es im Fall einer Delegationsreise des Verteidigungsausschusses in den Kosovo, die aufgrund des erschöpften Reisetitels vom Präsidium des Deutschen Bundestages nicht genehmigt wurde. Auch hier wären die Hintergründe interessant gewesen. Denn Böhrmermann könnte ja auch kritisieren, dass die Budgets zu gering bemessen und wichtige Reisen so nicht zustande gekommen sind. Vielleicht war auch das Budget zwar ausreichend, aber schlecht geplant. Oder es kamen unerwartet wichtigere Reisen dazwischen. Oder aber Böhmermanns Kritik ist berechtigt.

Man weiß es eben nicht – weil die Einordnung fehlt. Und weil die fehlt, kalauert Böhmermann hier eben doch auf Stammtisch-Niveau und das klingt dann so: "Den Abgeordneten kann ich doch gar keinen Vorwurf machen, denn: Die können da nichts für. Reisen ist 2023 auch superteuer. Wegen Inflation und die Toblerone im Duty-free ist teuer. Die Pandemie hat ja auch alles teurer gemacht." Mario Barth hätte es nicht besser formulieren können.

"ZDF Magazin Royale": Es könnt’ alles so einfach sein – isses aber nicht

Alles bis dahin also ziemlich auf Pointe getrimmt und nicht auf Aufklärung. Aber plötzlich hatte Böhmermann doch noch die Idee, einmal bei der Bundestagsverwaltung nachzufragen: "Warum ist denn das Reisebudget unserer Abgeordneten immer so schnell alle?", wollte Böhmermann wissen, doch "es ist erstaunlicherweise gar nicht so einfach, vom Bundestag eine klare Antwort auf diese doch recht klare Frage zu bekommen", weist Böhmermann die Schuld zu, aber auch hier: Vielleicht ist eine Antwort ja gar nicht so einfach.

"Die Verwaltung gibt […] keine Auskunft darüber, welche Abgeordneten das dafür vorgesehene Budget besonders beansprucht haben", zitiert Böhmermann deshalb als scheinbaren Beweis aus der "Süddeutschen". Alles klar also? Nein, denn offenbar wurde hier der Verwaltung eine andere Frage gestellt. Nämlich nicht nach den Gründen, warum das Budget so schnell aufgebraucht ist, sondern welche Abgeordneten dieses Budget "besonders beanspruchen". Das ist ein Unterschied, den Böhmermann aber übergeht.

Nun geht Böhmermann ins Detail und guckt in ein Protokoll des Sportausschusses. In diesem stimmten demnach die Ampel-Fraktionen einem Reisewunsch der Unionsfraktionen und der AfD nach Japan zu Themen wie "Nachnutzung der olympischen Stätten von Pyeongchang und Tokio" zu, obwohl sie selbst "Interkontinentalreisen vor dem Hintergrund der Energie- und Klimakrise weiterhin generell skeptisch gegenüberstehen." Das klingt nach Doppelmoral und Böhmermann verpackt es auch so und vielleicht ist sein Vorwurf auch gerechtfertigt – vielleicht aber auch nicht.

Böhmermann hat auch handfestere Kritik

Vielleicht bewegt er sich damit einfach nur auf demselben platten Niveau wie Boulevard-Zeitungen, wenn sie nach Schwachstellen im Lebenslauf von Klimaaktivisten suchen, nach dem Motto: "Nur wer zu 100 Prozent fehlerlos lebt, darf überhaupt Kritik üben" – was dann allerdings niemand wäre. Und vielleicht hat so eine Reise zwar einen schlechten ökologischen Fußabdruck, aber kann im Ergebnis dafür sorgen, dass die Nachnutzung von Sportstätten auch in Deutschland nachhaltiger wird und damit den Flug wieder wettmachen. Auch hier: Man weiß es eben nicht.

Das ist schade, weil unnötig und schließlich präsentiert Böhmermann auch noch handfestere Vorwürfe wie etwa die Kritik am Genehmigungsverfahren von Einzeldienstreisen oder die Frage, warum ein SPD-Abgeordneter bei einer Dienstreise ein Bild von einem "parteiübergreifenden" Abendessen postet und dabei einen AfD-Mann verlinkt.

Oder warum ein CDU-Mann das Programm einer Dienstreise von einer Forst-Lobbyvereinigung vorschlagen lässt, deren Präsident ein ehemaliger Fraktionskollege ist. Berechtigte Fragen, aber all das hat weniger etwas mit problematischen Dienstreisen an sich zu tun, als vielmehr mit der Integrität einzelner Abgeordneter.

Eine Frage der Transparenz

Ähnlich liegt der Fall beim wohl handfestesten Vorwurf des Abends. Böhmermann und sein Team hätten alle 736 Abgeordneten gefragt: "Wo seid ihr in der laufenden Legislaturperiode überall eigentlich schon so hingereist und warum? Und wer hat das bezahlt?" Auf diese Fragen hätten insgesamt nur 40 Prozent der Abgeordneten geantwortet, bezogen auf die einzelnen Parteien allerdings mit großen Unterschieden.

Folgende Antwortraten habe es gegeben: Grüne: 82,2 Prozent; Linke: 71,8 Prozent; SPD: 64,3 Prozent; Union: 13,2 Prozent; FDP: 5,4 und AfD: 5,1 Prozent. Böhmermanns Fazit: "Besonders verschwiegen waren Rechtsradikale und Marktradikale." Ein erschreckendes Ergebnis für eine Demokratie, aber auch das hat erst einmal nichts mit der Reisetätigkeit der Abgeordneten zu tun, sondern mit der Frage, wie es einzelne Parteien mit der Transparenz ihres Tuns halten.

Hat Böhmermann deshalb mit seinen Vorwürfen Unrecht? Vielleicht. Hat er denn Recht? Auch hier: vielleicht. Man weiß es eben einfach in vielen Anklagepunkten nicht, aber am Ende bleibt beim Zuschauer lediglich die Meinung hängen: "Ja, Mann. Das ist doch echt eine Schweinerei! Fliegen die da oben einfach auf unsere Kosten in den Urlaub. Saubande!" Aber so einfach ist es halt nicht und Böhmermann hätte das einordnen müssen. Aber das hätte vielleicht zu viele Pointen ruiniert. Ein Problem, das Mario Barth auch kennt.

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