• Viele Menschen lieben die britischen Royals - oder hassen sie, je nachdem.
  • Unumstritten ist, dass König Charles, Prinz William sowie Harry und Meghan beinahe täglich in den Klatschspalten auftauchen.
  • Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Geschichtsprofessor Werner Hechberger, was die Briten von anderen europäischen Königshäusern unterscheidet und was es bedeutet, dass in England schon lange keine Königin mehr geköpft worden ist.
Ein Interview

Die Welt des Adels findet heutzutage beinahe ausschließlich in der Klatsch- und Regenbogenpresse statt: Harry und Meghan sagen dem Königshaus in einer Netflix-Doku den Kampf an, Queen Elizabeth II. dreht zu ihrem 70. Thronjubiläum einen Film mit der beliebten Kinderbuchfigur Paddington-Bär, Queen Consort Camilla lädt zu glamourösem Dinner mit kontroverser Gästeliste.

Adel hat immer schon eine gewisse Faszination auf die Menschen ausgeübt. Viele suchen im Adel auch nach Vorbildern, erklärt Werner Hechberger, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Koblenz. Adel gibt es auch schon immer und in allen Kulturen. Er entwickelte sich in vormodernen Gesellschaften, selbst in der Antike gab es schon Adelige. Der Adel in den europäischen Ländern lässt sich nicht ganz so lange zurückverfolgen: etwa bis ins frühe Mittelalter, um 500 nach Christus.

Damals verstand man unter Adel eine Personengruppe, die in der Gesellschaft besonderen Vorrang genossen hat und für die Kriegsführung zuständig war. Warum und wann genau sich der Adel entwickelt hat, hat Geschichtsprofessor Werner Hechberger im Interview mit unserer Redaktion erläutert.

Historiker im Interview: "In England hat man schon lange keine Königin mehr geköpft"

Heutzutage ist der Adel nicht mehr für die Kriegsführung zuständig. Die Briten haben eine konstitutionelle Monarchie - das bedeutet, dass die Macht des Monarchen durch eine Verfassung beschränkt ist. Das Gegenteil ist die absolute Monarchie, in der der Herrscher quasi uneingeschränkte Macht ausübt. Bekanntestes Beispiel: der französische Sonnenkönig, Ludwig XIV. In Deutschland gibt es Adel nur noch als Namensbestandteil, seit der letzte Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1918 abgedankt hat. In Österreich gibt es gar keinen Adel mehr. Eine sehr unterschiedliche Entwicklung, allein in diesen drei Ländern.

Werner Hechberger: Diese Brüche in der Geschichte, die Kriegsniederlagen, auch die Revolutionen, die damit verbunden sind, haben dazu geführt, dass in Deutschland und Österreich der Adel erheblich an Bedeutung verloren hat oder rechtlich ganz verschwunden ist. Wenn man sich Großbritannien ansieht, kann man von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Verfassung sprechen, in der die Rollen des Königshauses und des Adels langsam verändert wurden. Um es mal primitiv zu formulieren: In England hat man schon lange keine Königin mehr geköpft oder abgesetzt, sondern schlicht schrittweise ihre Macht eingeschränkt.

Ist diese langsame Entwicklung eine Entwicklung, die im britischen Königshaus immer noch weitergeht?

Historiker sollten vorsichtig sein, wenn es um die Zukunft geht. Aber ich glaube, so wie die britische Verfassung jetzt aussieht, hat das Königtum eine Rolle gefunden, die allgemein auf Konsens stößt - im Königshaus selbst und auch in der Gesellschaft. Das war vor ein paar Jahrzehnten durchaus anders, aber im Moment hat es sich stabilisiert. Wie sich das entwickelt, ist schwer zu sagen. Das hängt von der politischen Geschichte ab, aber auch von der Person und Persönlichkeit des Herrschers.

Als die Queen im Juni 2022 ihr 70. Thronjubiläum feierte, sagten viele, wenn sie einmal nicht mehr lebt, wird auch der Adel in Großbritannien untergehen.

Grundsätzlich war die Queen wichtig, weil sie ein Faktor der Stabilität gewesen ist. Und zwar nicht zuletzt - das muss man nüchtern sagen -, weil sie schlicht sehr lange gelebt und regiert hat. Ich glaube aber nicht, dass die Existenz des Adels von der Queen abhängt. Gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich in der Regel eher langsam. Revolutionen mag es ab und an geben, aber sie sind doch Ausnahmen - in England sowieso.

"Bei 'Trooping the Color' sieht man den kriegerischen Hintergrund"

König Charles trägt heute noch den Titel "His Majesty by the Grace of God", also "Seine Königliche Hoheit von Gottes Gnaden". Ist diese Legitimierung durch Gott heute noch wichtig für den Adel?

Die ersten europäischen Königssalbungen fanden im Frühmittelalter statt. Seit der Salbung des karolingischen Königs Pippin 751 ist dies im Verlauf des Mittelalters als eine Art Sakrament verstanden worden. "Dei gratia", durch die Gnade Gottes hat der König sein Amt erhalten. Dieses Gottesgnadentum ist typisch für alle europäischen Monarchien gewesen. Wenn ich es richtig weiß, ist der englische König aber der letzte, der sich heute noch salben lässt.

Ob das wichtig ist? In Großbritannien hängt man mehr an historischen Traditionen als anderswo. In anderen Königshäusern, die in eher egalitär orientierten Gesellschaften angesiedelt sind, hat man schon länger darauf verzichtet.

Sie haben historische Traditionen angesprochen. Hat denn das "Trooping the Color", das in England auch immer noch gemacht wird, ebenfalls noch eine geschichtliche Relevanz?

Ich bin mir nicht sicher, ob die meisten Leute, die sich das ansehen, wissen, worauf das zurückzuführen ist. Das ist heute ein Teil der Selbstinszenierung der Monarchie und dient der Demonstration einer Tradition. In dieser Hinsicht ist das natürlich wichtig.

"Trooping the Color" ist immer noch sehr martialisch.

Ja, natürlich. Das hat ja in Form der Truppenschau einen kriegerischen Hintergrund. Der Adel selbst beschränkt sich aber nicht nur auf die kriegerische Komponente, schon im Mittelalter kommen weitere verschiedene Aspekte hinzu.

Wenn Sie etwa an einen Ritter im hohen Mittelalter (12. Jahrhundert) denken, dann war dieser damals schon nicht nur durch die kriegerische Funktion definiert, sondern man erwartete von ihm auch ritterliche Verhaltensweisen: Er muss sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten, er muss Schach spielen können, er muss die Damen adäquat verehren können. Das Kriegerische ist der Hintergrund, aber schon sehr früh nicht die einzige Existenzform. Denn Kämpfen ist per se eine Sache, die grundsätzlich jeder kann. Sich aber adlig zu verhalten kann nicht jeder.

Das tun die Briten ja heute noch: Sie inszenieren sich durch ihr Verhalten viel mehr in der Öffentlichkeit als zum Beispiel etwa die Schweden.

Zweifellos. In Schweden oder überhaupt in den skandinavischen Ländern vertritt man ein eher egalitäres Gesellschaftsmodell. Für die englische Gesellschaft gilt, dass sie sehr traditionell ist und man noch heute die Relikte der Klassengesellschaft erkennen kann. Da sind gesellschaftliche Unterschiede und auch Positionierungen deutlich wichtiger.

Kann der Adel eine Renaissance erleben?

Könnten Sie sich vorstellen, dass der Adel, so wie man ihn aus dem Mittelalter kennt, eine Renaissance erlebt? Also noch einmal wichtiger wird als heute?

Den kriegerischen Aspekt des Adels sieht man ja etwa auch noch im Offizierskorps in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert hinein. Mit anderen Worten: Das hat sich nicht völlig verloren. Dass der Adel aber eine Renaissance erlebt, glaube ich nicht.

Wenn sie heute einen Adligen fragen, welche Funktion er noch hat, dann wird er vermutlich sagen, dass Adlige Vorbilder sein können oder sein sollen. Das ist als Anspruch recht nett formuliert. Gut, die Queen kann man sich als Vorbild nehmen. Beim Blick auf deutsche Hochadelige der Gegenwart würde ich davon aber abraten, die sind als Vorbilder nicht geeignet. Sie haben allenfalls noch eine gewisse Unterhaltungsfunktion.

Die Entwicklung des Adels ist schon spannend: Angefangen bei der Kriegsführung über die bestimmten adäquaten Verhaltensweisen, die erwartet werden, bis heute, wo der Adel hauptsächlich die Klatschspalten füllt, gerade der deutsche Adel. Das klafft ja meilenweit auseinander.

Das kann man wohl sagen! Das hängt damit zusammen, dass der Adel funktionslos geworden ist. Wenn man von den wenigen Relikten im Militär absieht, die für die deutsche Geschichte auch nicht mehr wichtig sind, hat der deutsche Adel keine Funktion mehr.

Und damit ist es auch schwer erklärbar, dass das, was den Adel früher ideell ausgezeichnet hat, das "höhere Menschsein", noch immer in irgendeiner Form begründet sein soll. Adlige sind Menschen wie du und ich – egal, ob sie das so sehen oder nicht.

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Über den Experten: Werner Hechberger ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und deren Didaktik an der Universität Koblenz. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter sowie politische Geschichte des Hochmittelalters.
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