Sie ist das wohl spektakulärste Rennen im Ski-Alpin-Zirkus: die Streif in Kitzbühel. Nach vielen schweren Stürzen steht das Rennen in diesem Jahr für viele unter einem schlechten Stern, doch Viktoria Rebensburg freut sich trotzdem auf das Spektakel - auch wenn sie selbst die Streif nicht fahren möchte.

Ein Interview

Es gab einige Stürze in den vergangenen Wochen. Allein in Wengen sind mit Alexis Pinturault und Alexander Aamodt Kilde zwei Topfahrer gestürzt. Ein Medienthema oder tatsächlich besorgniserregend?

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Viktoria Rebensburg: Ich würde sagen, weder-noch. Natürlich möchte die Fis (der Ski-Weltverband, Anm. d. Red.) etwas gegen die vielen Stürze tun, aber es war keine Plausibilität bei den Stürzen erkennbar. Aleksander Aamodt Kilde war nicht ganz fit, man hat gemerkt, dass ihm die Kraft ausgegangen ist. Dominik Paris hat vor Bormio gesagt, dass die Abfahrten längst nicht mehr so gefährlich sind wie früher. Vieles ist entschärft worden, wie beispielsweise die Hausbergkante auf der Streif oder das Ziel-S in Wengen. Wengen war vielleicht nicht der richtige Ort für ein Extrarennen, weil es eine wahnsinnig lange, kräfteraubende Abfahrt ist. Zusätzlich starten die Fahrer so spät, dass sie erst gegen 3 Uhr Mittagessen können und sehr kurze Tage haben. Markus Waldner, der Ski-Alpin-Rennchef, hat daher auch betont, dass es keine zusätzlichen Nachholrennen mehr geben wird. Stürze gehören aber leider auch zu unserem Sport dazu. Dieses Risiko gibt es immer.

Der Bundestrainer hat nach den vielen Stürzen die Intensität kritisiert. Immer mehr Rennen würden das Verletzungsrisiko steigern. Ist das das Problem?

Die Rennen in Beaver Creek und Zermatt sind ausgefallen, man hat deshalb händeringend versucht, noch Rennen an anderer Stelle unterzubekommen. So wird das Ganze nochmals intensiver und bringt die Athleten an ihre Belastungsgrenzen. Denn zusätzlich zu den Rennen gibt es noch die Trainingsläufe, in Summe sind das dann fünf Belastungstage am Beispiel Wengen und mit dem späten Start wird die Regenerationszeit noch kürzer. Das ist schon extrem.

Rebensburg: "Unsere Saison ist zu knapp"

Fis-Präsident Eliasch hat den Kritikern entgegnet, die Rennläufer müssten ja nicht an jedem der Tage an den Start gehen. Macht er es sich nicht auch einfach?

Klar ist: Jeder Athlet möchte fahren und hat die Wertung im Hinterkopf. Um etwas auszulassen, gibt es dann doch zu wenige Rennen. Man hat es an Kilde gesehen: Er war nicht ganz fit und startet trotzdem. Unsere Saison ist aber zu knapp. Wir haben von November bis März Zeit. Der Vorschlag des FIS-Präsidenten ist deshalb so nicht umsetzbar. Eine Tennissaison dauert zum Beispiel von Januar bis November. Das ist ein wahnsinnig langer Zeitraum, da ist es eher möglich, sich die Turniere einzuteilen. Das geht im Weltcup so nicht.

Kilde lag eine halbe Stunde auf der Strecke, bis er abtransportiert wurde. Was bekommt man als Rennläufer mit, der noch startet? Und wie fühlt man sich in diesem Moment?

Natürlich bekommt man mit, dass das Rennen unterbrochen wurde und man fragt sich, ob es ein Unfall war oder etwas an der Piste repariert werden muss. Die Betreuer sagen meist wenig, sie wollen das von den Athleten fernhalten. Man verlässt sich auf seine Trainer – und wenn sie sagen, es ist fahrbar, vertraut man ihnen. Am Ende muss man bei sich bleiben und darf den Fokus nicht verlieren. Je entschlossener und selbstbewusster man fährt, desto besser ist es. Ich habe mir generell wenig andere Läufe angeschaut, um konzentriert zu bleiben und meinen Plan umzusetzen.

Nach den Rennen in Wengen geht es auf die Streif. Mit welchem Gefühl gehen die Fahrer auf die für viele gefährlichste Strecke der Welt?

Für Alexis Pinturault und Alexander Kilde war es kein gutes Wochenende, aber für alle anderen Fahrer geht es ja weiter. Als Athlet muss man sich nicht groß für Kitzbühel motivieren. Es ist ein enormes Spektakel und alle wollen in Kitzbühel ihr Bestes zeigen. Die Streif ist in einem super Zustand, da es zuletzt sehr kalt war.

Das macht den Reiz von Kitzbühel aus

Was macht die Streif so besonders?

Das ist der Mythos um die Strecke. Sie hat eine besondere Tradition, es ist eine der schwierigsten und spektakulärsten Abfahrten im Weltcup. Dazu gehört aber auch das Drumherum. Die Kitzbühel-Woche ist keine normale Woche. Die mediale Präsenz bei der Streif ist vergleichbar mit der bei einer WM oder einem anderen Großereignis. Das Rahmenprogramm ist sehr groß und die Sponsoren lassen sich immer besonders viel einfallen. Das alles macht den Reiz von Kitzbühel aus.

Gab es für Sie jemals einen Reiz, die Streif auch herunterfahren zu wollen?

Nein. Das war für mich nie ein Thema. Mir reicht es, das Spektakel im Fernsehen zu sehen. Hut ab vor der Leistung der Männer. Wenn es extrem eisig und unruhig ist, braucht man gar nicht darüber nachzudenken, dann ist es ja schon für die Männer enorm schwierig. Ich persönlich brauche das nicht.

Lindsey Vonn ist die Strecke heruntergefahren.

Genau. Sie ist Teilabschnitte gefahren, in der Nacht, und medial wurde groß darüber berichtet. Sie ist super gefahren und hat sich überwunden, aber ihre Fahrt ist nicht vergleichbar mit den Rennbedingungen bei den Männern.

Rebensburg: "Jeder kleiner Fehler kann Konsequenzen haben"

Gibt es ein vergleichbares Rennen bei den Frauen?

Für mich war das Rennen in Cortina immer etwas Besonderes. Das ist bei den Frauen mittlerweile ein Klassiker geworden. Es ist eine super schöne Abfahrt, spektakulär, toll zu fahren. Ich finde auch die Kandahar in Garmisch ein Highlight, vor allem als Deutsche. Das ist keine einfache Abfahrt, auch dort wird dir alles abverlangt.

Abschließend: Lassen sich Verletzungen im Skisport vermeiden – oder muss man sie in Kauf nehmen?

Der Sport birgt ein Risiko in sich, das weiß jeder Athlet. Man versucht, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass möglichst wenig passiert. Es ist auch gut, dass sich die Verantwortlichen immer wieder Gedanken machen, wie die Pisten präpariert werden und Stürze verhindert werden können. Aber Fakt ist auch, dass man mit einem wahnsinnig hohen Tempo den Berg runterfährt, da kann jeder kleine Fehler Konsequenzen haben. Der Abfahrtssport ist extrem, sodass ein Restrisiko immer bleiben wird.

Über die Gesprächspartnerin

  • Viktoria Rebensburg gehört zu den erfolgreichsten Skirennfahrerinnen Deutschland der vergangenen Jahre. Sie holte unter anderem Gold (2010 in Vancouver) und Bronze (2014 in Sotschi) bei Olympischen Spielen und ist zweifache Vize-Weltmeisterin. 2020 musste sie aufgrund einer Knieverletzung ihre Karriere beenden.
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