Dreimal nahm sie an den Olympischen Spielen teil, dreimal brachte sie eine Medaille mit nach Hause: Nadine Angerer, unsere Expertin für Olympia 2016 in Rio de Janeiro. So schätzt die ehemalige Welttorhüterin die Goldchancen der deutschen DFB-Frauen und -Männer ein - und sie sagt, auf wen wir bei Olympia besonders achten sollten.

Ein Interview

Frau Angerer, die Frauen leiten heute - zwei Tage vor der offiziellen Eröffnungsfeier – die Olympischen Spiele mit den ersten Fußball-Partien ein. Wie beurteilen Sie die Goldchancen unserer Mädels?

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Nadine Angerer: Ich glaube - und das ist kein Zweckoptimismus - wirklich, dass Deutschland in diesem Jahr die Goldmedaille gewinnt.

Wie kommen Sie zu dieser Annahme? Immerhin gab es im vergangenen Jahr bei der WM gegen die USA das bittere Aus im Halbfinale.

Unser Team hat einen großen Vorteil: In Deutschland ist die Saison seit längerer Zeit vorbei, die Spielerinnen hatten genügend Pause und konnten körperlich sowie mental frisch in die Vorbereitung starten. Die USA beispielsweise, neben Frankreich und Schweden einer der üblichen Verdächtigen auf den Turniersieg, sind hingegen mitten in der Saison. Alleine aus meiner Mannschaft, den Portland Thorns, spielen fünf Spielerinnen in der Nationalmannschaft – und wir sind in acht Auswärtsspielen bereits an die 40.000 Kilometer durch die USA gereist. Das ist sehr strapazierend.

Welche weiteren Gründe machen uns Hoffnung?

Die deutsche Mannschaft ist immer noch sehr jung, aber der Kern spielt seit mehreren Jahren zusammen. Die Spielerinnen kennen sich, sie sind als Persönlichkeiten gereift – daher schätze ich die Chance sehr hoch ein, dass wir Gold gewinnen werden.


Nicht nur die deutschen Frauen, sondern auch die Männer haben sich für die Olympischen Spiele qualifiziert – erstmals seit 1988. Hat dieses Team eine realistische Chance auf den Gewinn der Goldmedaille?

Im Kader stehen viele Spieler, die einigen sicherlich gar nicht so bekannt sind. Es ist eine große Chance für die jungen Spieler, sich auf internationaler Bühne präsentieren zu dürfen. Die Gruppe mit Mexiko, Fidschi und Südkorea ist definitiv machbar. Die Gruppenphase werden sie ziemlich sicher überstehen.

Dann stünde die deutsche Mannschaft im Viertelfinale. Was ist ab der K.-o.-Phase bei solch einem Turnier entscheidend?

Die deutsche Mannschaft ist ein zusammengewürfelter Haufen, hat in dieser Form noch nie zusammengespielt. Der Teamgeist spielt daher eine ganz wichtige Rolle. Wenn die Jungs gut ins Turnier starten und Spaß entwickeln, können sie definitiv um die Medaillen mitspielen.

Kommen wir zurück zu den deutschen Mädels. Auf welche Spielerin sollten wir Zuschauer Ihrer Meinung nach ein besonderes Augenmerk richten?

Da gibt es mehrere. Besonders sollte man aber auf Dzsenifer Marozsán achten. Sie kann an guten Tagen ein Spiel alleine entscheiden. Ihre Technik ist sensationell. Auch Anja Mittag ist immer noch eine Top-Spielerin. Sie ist sehr routiniert und brandgefährlich vor dem Tor. Sie spielt seit Jahren auf einem international hohen Niveau.

Und wer sind die Stars in den anderen Teams?

Da gibt es einige gute Spielerinnen, die wir bei den Olympischen Spielen sehen werden. Bei den Französinnen ist das beispielsweise Amandine Henry, bei den Kanadierinnen Christine Sinclair – und die USA haben natürlich einige echte Kracher im Team, allen voran Alex Morgan.

Sie haben selbst zwischen 2000 und 2008 an drei Olympischen Spielen teilgenommen und standen bis vor einem Jahr noch im Tor der deutschen Nationalmannschaft. Wie sehr schmerzt es Sie, in Brasilien nicht dabei zu sein?

Natürlich vermisse ich den Spaß, den man mit den Mädels hat. Mit vielen bin ich weiterhin eng in Kontakt. Aber ich weiß halt auch, wie hart so eine Turniervorbereitung ist. Unsere Spielerinnen haben richtig gelitten – und das vermisse ich ehrlich gesagt kein bisschen. (lacht)


Im vergangenen Jahr haben Sie Ihre Karriere beendet. Wie schwer ist Ihnen dieser Entschluss gefallen?

Ich habe mehr als 20 Jahre lang in der Nationalmannschaft gespielt und ich bin mir sicher, dass ich es nicht besser hätte lösen können. Auch weil es ein bewusster Schritt von mir gewesen ist und ich nicht aus dem Tor gekickt worden bin oder wegen einer Verletzung zum Aufhören gezwungen wurde. Von meinen physischen Voraussetzungen her hätte ich noch locker zwei oder drei Jahre weiterspielen können.

Warum haben Sie dennoch aufgehört?

Ich wollte nicht, dass jemand anderes darüber bestimmt, wann ich aufhören muss. Und so, wie ich es letztlich gemacht habe, war es perfekt und alles hat wunderbar geklappt. Es war sogar so, dass meine damaligen Mitspielerinnen und Trainer versucht haben, mich zum Weitermachen zu überreden und gesagt haben, dass ich die Olympischen Spiele noch mitnehmen soll.

Auch Bastian Schweinsteiger hat in der vergangenen Woche für sich entschieden, dass es Zeit ist, von der Nationalmannschaft zurückzutreten – ein nachvollziehbarer Schritt?

Absolut. Ich denke, das war für ihn jetzt auch der perfekte Zeitpunkt, seine Karriere im DFB-Team zu beenden. Es ist immer besser, im Nachgang das Gefühl zu haben, dass die Leute dich weiterhin gerne hätten spielen sehen, als dass man das Gefühl vermittelt bekommt, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, dass man nun endlich aufgehört hat.

Die ehemalige Welttorhüterin Nadine Angerer ist unsere Expertin für Olympia 2016 in Rio de Janeiro. Die Weltmeisterin von 2007 und dreifache Olympia-Bronzemedaillengewinnerin wird für unsere Redaktion regelmäßig die Highlights der Olympischen Spiele - insbesondere der Fußballturniere der Frauen und Männer - kommentieren.
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