• Nachdem das Pferd "Jet Set" bei den Olympischen Spielen eingeschläfert werden musste, wurde der Reitsport als Tierquälerei kritisiert.
  • Vor allem die Tierschutzorganisation Peta übte harsche Kritik.
  • Die Reiterliche Vereinigung wehrt sich: "Verantwortungsvoller Pferdesport hat für uns nichts mit Tierquälerei zu tun."

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Die Empörung war enorm, vor allem in sozialen Medien kochten die Emotionen über: Das Schweizer Vielseitigkeitspferd "Jet Set" musste bei den Olympischen Spielen nach einem Bänderriss eingeschläfert werden. Eine Maßnahme, die offenbar alternativlos war. Die Gemengelage zeigt, wie kontrovers, teilweise auch festgefahren das Thema Tierschutz im Sport ist.

"Wichtig zu wissen ist, dass ein mehrfacher kompletter Bänderriss in der Region der Fesselbeuge bei einem Pferd nicht gleichbedeutend ist wie ein Bänderriss bei einem Menschen – dies ist nicht heilbar zum Wohle des Pferdes", erklärte die Schweizer Teamchefin Evelyne Niklaus in einem Statement. Die klinischen Untersuchungen ergaben, "was auch optisch bereits zu befürchten war: 'Jet Set' würde kein pferdewürdiges und schmerzfreies Leben mehr führen können, auch nicht als 'Pferd im Ruhestand'", schrieb sie weiter. Ein Pferd würde das verletzte Bein immer sofort voll belasten.

Trotzdem wurde und wird immer noch harsche Kritik geübt. Dabei wird nicht nur das Einschläfern infrage gestellt, sondern auch die Haltung der Tiere bei Olympia und der Reitsport generell. Peta-Fachreferent Peter Höffken sagte dazu bei Eurosport, dass eine Disziplin, bei denen bestimmte Teilnehmer mit Gewalt über einen lebensgefährlichen Parcours gezwungen werden, den olympischen Geist entehre.

Bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung zeigt man Verständnis für die Emotionalität der Diskussionen. "Jeder Unfall, bei dem ein Pferd zu Schaden kommt, ist einer zu viel. Den Vorwurf, Reitsport sei generell Tierquälerei, weisen wir allerdings strikt zurück", sagt Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), auf Nachfrage unserer Redaktion. Und betonte: "Wir stehen dazu, Pferde zu halten und zu reiten – und sie nicht irgendwann nur noch im Zoo zu bewundern."

Tierrechtsorganisation Peta übt harsche Kritik

Auf Seiten der Kritiker übte vor allem Peta Deutschland e. V. harsche Kritik, die Tierrechtsorganisation steht allerdings dem Pferdesport allgemein äußerst kritisch gegenüber. Peta-Expertin Jana Hoger kritisierte in der "Frankfurter Rundschau" den professionellen Turniersport, bei Olympia degradiere er die Pferde zu Sportgeräten. "Aber auch im Freizeitsport geht es mitunter quälerisch zu", sagte sie.

Lauterbach sagt dazu. "In Deutschland gibt es über elf Millionen Menschen über 14 Jahre mit Interesse an Pferd und Pferdesport und rund drei Millionen Menschen, die reiten oder es gerne tun würden. Sie alle lieben Pferde. Was sie am Reiten fasziniert, ist ja eben, dass das Pferd kein Sportgerät ist, sondern ein lebendiger Sport- und Freizeitpartner", sagt Lauterbach.

Die Vielseitigkeit als Spitzensport setze bei Pferden und Reitern nicht nur körperliche Fitness, einen entsprechenden Willen und jahrelanges Training voraus, sondern vor allem auch ein enormes gegenseitiges Vertrauen, so Lauterbach: Verantwortungsvoller Pferdesport habe daher für ihn und seinen Verband nichts mit Tierquälerei zu tun. Schwarze Schafe gibt es natürlich trotzdem, die FN versucht daher zum Beispiel, mit ihrem Regelwerk, Richtlinien und dem Ausbildungssystem, den Menschen früh aufzuzeigen, was ihrer Ansicht nach geht und was nicht. "Generell gilt, dass eine fachgerechte Ausbildung von Menschen und Pferden die beste Grundlage für Unfallverhütung und das Wohl des Pferdes ist", sagt Lauterbach. Fehlverhalten wird sanktioniert oder angezeigt.

Aktuell wurde eine Kommission gegründet, die bis Ende 2021 strittige Trainingsmethoden überprüft und Vorschläge für Verbesserungen macht. Man sei auch der Überzeugung, dass sich im Spitzensport in besonderem Maße um das Wohl des Pferdes bemüht werde, betont Lauterbach. "Die Pferde werden kontinuierlich sportmedizinisch begleitet, denn die Zielsetzung ist, sie langfristig im Sport zu erhalten", ergänzt er.

Reitsport als Wirtschaftsfaktor

Ein weiterer Vorwurf: Beim professionellen Reitsport stünden wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. "Hohe Preisgelder und horrende Summen für besonders gute 'Zuchtpferde' sprechen eine eindeutige Sprache. Das spiegelt sich auch bei den Olympischen Spielen 2021 wider", sagte Jana Hoger dazu und nannte dabei den Vielseitigkeitswettbewerb den "Gipfel der Tierquälerei. Aufgrund der schlimmen Stürze und Todesfälle wurde das Ganze umbenannt [früher hieß die Sportart "Military"; Anm.d.Red.], was aus unserer Sicht eine reine Image-Aufpolierung darstellt und von den schrecklichen Verletzungen ablenken soll."

Der Pferdesport sei zweifellos ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, gibt Lauterbach zu. "Dies ist aber weniger darauf begründet, dass einige wenige Pferde medienwirksam für hohe Summen verkauft werden, sondern vor allem darauf, dass sehr viele Reiter und Pferdebesitzer bereit sind, alles zum Wohl ihrer Lieblinge zu tun und dafür auch entsprechend Geld auszugeben." Und auch bei Olympia spielt dies eine Rolle: "In Deutschland haben die Reitsportübertragungen von den Olympischen Spielen in Tokio zu den bisher am meisten aufgerufenen Livestreams gehört – auch das ist ein Zeichen dafür, dass der Pferdesport viele Fans im Lande hat", sagt Lauterbach.

Stellt sich schließlich die Frage: Wie hoch ist die Belastung für die Tiere bei Olympia, vor allem bei einer Reise nach Tokio? Diese dauert inklusive Zwischenstopp mehr als 18 Stunden. Doch für die Pferde ist das wohl in der Regel problemlos, lediglich Start und Landung können für Stress sorgen. Der deutsche Mannschafts-Tierarzt Jan-Hein Swagemakers erklärt bei sportschau.de: "Die Pferde müssen sich dann selber ausbalancieren. Während des Fluges stehen sie in ihren Containern ruhiger als in einem normalen Pferdetransporter." Zur Unterstützung starten und landen die Flieger in einem flacheren Winkel als Passagiermaschinen.

Neben den Pferden wurden fast 10.000 Kilogramm Material für die Dressur-, Spring- und Vielseitigkeitspferde nach Tokio transportiert, darunter auch 2.000 Kilo Futter, neben Sätteln und Zaumzeug zählen auch Mistgabeln und Schubkarren zur Ausrüstung. Da die Reiter nicht im Olympischen Dorf, sondern in einem Hotel in der Nähe der Anlage wohnen und deshalb nicht an den offiziellen Transportservice angebunden sind, "haben wir uns mit einheimischen Fahrern eine eigene Infrastruktur und einen eigenen Transportdienst geschaffen", so Delegationsleiter Dennis Peiler.

Rund um die Uhr versorgt und überwacht

Die meisten Pferde im Spitzensport seien daran gewöhnt, transportiert zu werden, sagt Lauterbach. Dabei werde alles getan, dass dies so komfortabel wie möglich geschehe: "Die Unterbringung vor Ort in Japan erfolgt in großen, klimatisierten Ställen. Die Pferde werden rund um die Uhr von Pflegern versorgt und tierärztlich überwacht." Die sportliche Belastung wurde an die Bedingungen vor Ort angepasst, in der Vielseitigkeit waren zum Beispiel die Dressur und die Geländestrecke deutlich verkürzt.

"Die Anforderungen im nationalen und internationalen Turniersport werden laufend überarbeitet", sagt Lauterbach: "Speziell in Deutschland machen wir uns in den letzten Jahren stark für die Entwicklung von Sicherheitshindernissen, die bei Berührung durch das Pferd umklappen."

Der Schweizer Tierarzt Rolf Hanimann betont bei "20 Minuten" ebenfalls, man tue alles, damit die Tiere alles möglichst gut vertragen, "vom Training bis zur Ernährung". Es gebe im Vorfeld eine strenge Selektion, ob das Tier neben der Belastung auch für die notwendigen Flüge und Ähnliches geeignet sei, sagte er. Und wenn das Pferd selbst nicht mitmachen wolle, sei der Spitzensport mit ihm ohnehin unmöglich: "Man muss es zudem genauso motivieren wie einen Menschen. Dafür sind nicht alle Tiere gleich gut geeignet."

Und wie gehen die Reiter mit der Kritik um? Als sich 'Jet Sets' Reiter Robin Godel von seinem Pferd auf Instagram verabschiedete, wurde er als Mörder und Tierquäler beschimpft. Lauterbach: "Sie sind sich sehr bewusst, dass ihr Sport unter besonderer Beobachtung steht und setzen sich auch mit Kritik auseinander, sofern diese fachlich begründet ist und nicht einfach nur aus Hass und Hetze besteht." Denn das Thema Tierschutz ist und bleibt wichtig. Und emotional.

Verwendete Quellen:

  • 20min.ch: "Einem Pferd kann man das Tragen von Krücken nicht verordnen"
  • Frankfurter Rundschau: Reitsport bei Olympia 2021: "Der Gipfel der Tierquälerei“
  • Frankfurter Allgemeine: Schweizer Teamchefin verteidigt Einschläferung des Pferdes
  • Sportschau.de: Abflug nach Tokio: Werth betreut Olympia-Pferde über den Wolken

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