• Die Skateboard-WM 2023 findet ab dem 29. Januar in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt.
  • Die Vergabe war skandalumwittert, die Austragung ist politisch und finanziell motiviert und für die Athleten problematisch.
  • Aber: Die deutschen Sportler haben im Grunde keine andere Wahl, als anzutreten.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Kulisse ist überaus beeindruckend, denn der neue Skatepark-Komplex besteht aus sechs separaten Parks, die vom Design eines kalifornischen Skateparks der Weltklasse bis hin zu einer Anfänger-Anlage reichen. Der "Aljada-Skate-Park" hat im Grunde alles, was das Skater-Herz begehrt.

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Er ist nicht nur ein Hingucker, sondern WM-reif, weshalb hier ab dem 29. Januar die Skateboard-Weltmeisterschaften über die Bühne gehen werden. Mitten in der Wüste allerdings, in Schardscha. In den Vereinigten Arabischen Emiraten. Begleitet von Kritik, Unmut und Ärger.

Schon mal gehört? Tatsächlich erinnern die Umstände rund um die Veranstaltung stark an die Fußball-WM, die im November und Dezember in Katar ausgetragen wurde. Wie im Fußball war auch die Vergabe der Skateboard-Spiele in den Mittleren Osten äußerst fragwürdig und skandalumwittert, denn dem eigentlichen Ausrichter Brasilien wurden die Titelkämpfe vom umstrittenen Weltverband World Skate kurzfristig entzogen.

Machtkampf und Geldfrage

Warum? Das wurde nach außen hin nie wirklich transparent kommuniziert. "World Skate hat Brasilien die WM abgenommen, weil sie nicht das getan haben, was vom Verband verlangt wurde, sie haben sich nicht gefügt", kritisiert Hans-Jürgen Kuhn, Vorstandsmitglied bei der deutschen Skateboard-Kommission, im Gespräch mit unserer Redaktion: "Unter dem Strich ist das Ganze ein Machtkampf und eine Geldfrage."

Die Skateboard-WM ist im Grunde ein weiteres Beispiel für das inzwischen bekannte Sportswashing, wenn bedeutende sportliche Events dazu dienen sollen, von den Missständen im eigenen Land abzulenken, wie dem problematischen Umgang mit Menschenrechten, Homosexualität oder Frauen. Hinzu kommt: Eine Skateboard-Kultur gibt es in den Emiraten wenig überraschend nicht, ironischerweise gilt Schardscha sogar als das konservativste Emirat. Dafür hat man nun ein Schlüssel-Event auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2024 – und jede Menge Aufmerksamkeit.

Verlogene Argumentation

Dabei passt Skateboarding ungefähr so gut dorthin wie Winterspiele in die Wüste. Doch selbst das wird ja 2029 in Saudi-Arabien Realität. Politik und vor allem Geld machen diese schreienden Widersprüche möglich. Die Ausrichter hoffen, dass das Positive für sie am Ende überwiegt, dass sich die Investitionen auszahlen.

"Den Ausrichtern wird es egal sein, wie viele am Ende dort skaten", sagt Kuhn: "Diese Argumentation, mit der Vergabe einen Entwicklungsimpuls zu setzen, finde ich verlogen, wenn man weiß, dass die eigentlichen Motive finanzieller Natur waren."

Die Athleten finden die Entwicklungen "salopp gesagt total beschissen", berichtet Kuhn. Die Sportler und Verbände wehren sich, so gut es geht, es gibt Protestbriefe, aus Deutschland eine kritische Stellungnahme. Außerdem gibt es eine Gender-Kommission innerhalb von World Skate, die sich um das LGBTQIA+-Thema kümmert und in einem offenen Brief dargelegt hat, dass sich die Athleten nicht sicher fühlen in den Emiraten.

"Es gibt eine Gruppe von Ländern, die im Hintergrund daran arbeitet, sich abzustimmen, wie man mit diesem Protest weiterkommt. Doch offizielle Anfragen an World Skate sind ohne Antwort geblieben, die ziehen das Ding jetzt durch", sagt Kuhn.

Oberflächliche Stellungnahme

Immerhin: Eine öffentliche Reaktion des Verbandes gibt es, die Stellungnahme bleibt aber allgemein, oberflächlich und vor allem unkritisch. So heißt es, man sei zuversichtlich, dass die Weltmeisterschaften allen Skateboardern unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung eine Plattform biete, um sich in einem sicheren und einladenden Umfeld zu messen.

"Die Vereinigten Arabischen Emirate sind Gastgeber zahlreicher internationaler Sportereignisse und haben eine Tradition der Gastfreundschaft und des Respekts gegenüber den verschiedenen Kulturen, die im Land leben oder es besuchen. Wir wissen, dass die Skateboard-Community diese Gelegenheit nutzen wird, um der Welt ihre Einzigartigkeit zu zeigen", heißt es.

Zudem betonten die Organisatoren, man baue keine "Kathedralen in der Wüste, wir hinterlassen ein Vermächtnis". Und was die Sicherheit und die Gleichberechtigung der Geschlechter betreffe, so versichert der Verband, "dass die Veranstaltungen den Anforderungen entsprechen, die an jede andere World Skate-Veranstaltung gestellt werden".

Plattitüden, die sich mit den Kernproblemen nur im Ansatz oder gar nicht auseinandersetzen. Kuhn geht davon aus, "dass es einen geschützten Bereich gibt für die Athleten, wo es keine Regeln gibt, die nach islamischem Recht sonst für Frauen in diesem Land gelten".

Wirklich wissen werden es die Verantwortlichen und Beteiligten aber erst vor Ort. Wie es aussieht, wenn die Athleten privat unterwegs sind – auch da gibt es keine Garantien oder Informationen von World Skate. "Der Verband schweigt. Das ist ein unglaublich intransparenter und wenig partizipativer Klub", sagt Kuhn.

Warum gibt es keinen Boykott?

Stellt sich die Frage: Warum gibt es keinen medienwirksamen Boykott? "Dafür fehlt der Mut, die Konsequenzen zu tragen", sagt Kuhn ehrlich. Skateboarding ist seit 2021 olympisch, bei der anstehenden WM gibt es viele Punkte für die Qualifikation für Paris 2024 zu holen.

Für die beiden Tokio-Teilnehmer Tyler Edtmayer und Lilly Stoephasius wäre ein Boykott eine sportliche Katastrophe. "Die Sportler sind da am Ende der Nahrungskette", weiß Kuhn. Davon abgesehen, dass ein Boykott in Deutschland auch finanzielle Folgen hätte, "denn die Förderung, die Skateboarding bekommt, die würde dann wahrscheinlich gestrichen", so Kuhn.

Und somit bleibt den Sportlern im Grunde nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und für die WM in die Wüste zu reisen.

Zur Person: Hans-Jürgen Kuhn ist Vorstandsmitglied bei der deutschen Skateboard-Kommission.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Hans-Jürgen Kuhn
  • skateboarddeutschland.de: Stellungnahme Sportkommission Skateboard Deutschland
  • simplemagic.substack.com: Stellungnahme World Skate
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