• Thomas Röhler ist eines der wichtigsten Sprachrohre in der deutschen Leichtathletik.
  • Als Vertreter der europäischen Athletenkommission setzt er sich für die Zukunftsfähigkeit der olympischen Sportarten ein und kämpft dafür, dass die Sportlerinnen und Sportler in den Verbänden immer mehr Mitspracherecht bekommen.
  • Die European Championships haben auch den Speerwerfer begeistert - umso bedauerlicher findet es Röhler, dass ihm nach Grabenkämpfen schon gefährliche Gerüchte zu Ohren gekommen sind.
Ein Interview

Herr Röhler, die European Championships in München sind kürzlich zu Ende gegangen und waren ein voller Erfolg – zumindest wenn man den Athletinnen und Athleten zuhört. Wie haben Sie das Event erlebt?

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Thomas Röhler: Ich bin wirklich – ich mag gar nicht sagen – positiv überrascht, denn ich war als Botschafter der Events sehr früh in die Planung involviert. Ich hatte immer ein gutes Gefühl bei der Sache. Aber keiner wusste so richtig, wie es die Zuschauer annehmen. Umso schöner war es zu sehen, wie die Menschen den Park bevölkert haben, was für ein sympathisches Flair war. Man hat sich immer wohlgefühlt, auch wenn es richtig große Menschenmassen waren. Die Menschen haben den Sport gefeiert. Ich persönlich bin schon seit 2018 totaler Fan des Formats und es würde mich freuen, wenn es so weiter ausgebaut werden könnte.

Die Chefin der European Championships, Marion Schöne, beklagte im Gespräch mit der SZ unter anderem die nicht zustande gekommene Zusammenarbeit mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband. Waren Sie von diesen Misstönen überrascht?

Als Athlet nimmt man die Außenwirkung wahr, genauso wie die Fans. Natürlich passiert viel, viel mehr hinter den Kulissen. Als mündiger Athlet, der mittlerweile in der Struktur auch ein Stück weit mit drinsteckt, war es für mich kein Geheimnis, dass auch schwierige Themen bearbeitet werden müssen. Ich glaube, da muss man gemeinsam agierend in die Zukunft gehen. Ich habe auch schon gefährliche Gerüchte gehört, dass die Leichtathletik nicht unbedingt für immer Teil des Formates sein muss oder möchte. Da werde ich in meiner neuen Position als Teil der Athletenkommission der European Athletics in Zukunft ganz genau hinhören. Ich fände es persönlich superschade, wenn die Leichtathletik aus so einem – aus meiner Sicht – erfolgreichen Format ausscheidet. Natürlich haben die einzelnen Sportverbände unterschiedliche Herangehensweisen, ich glaube aber, wenn so ein Event erst in der zweiten Edition ist, sollte man den Kopf nicht zu früh in den Sand stecken, auch wenn es mal Kritik oder Reibungspunkte gibt. Die Olympischen Spiele sind auch nicht von heute auf morgen entstanden.

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Röhler: Müssen agiler werden

Welche Themen brennen Ihnen in Ihrer neuen Rolle in der europäischen Athletenkommission sonst noch unter den Nägeln?

Mir geht es vor allem um Zukunftsthemen, gerade die Anpassung an eine junge Generation, an eine junge und dynamische Gesellschaft. Verbandsstrukturen sind im Schnitt nicht besonders agil, als Athlet bekommt man aber unmittelbares Feedback aus jeder Teamgeneration, sei es der Fan oder das junge Trainingsgruppenmitglied. Ich glaube, olympische Sportarten können nur dann positiv und zukunftssicher aufstellen, wenn wir agiler werden, uns im Marketing moderner aufstellen. Da sehe ich definitiv mein Aufgabenspektrum. Andererseits muss man sich immer bewusst sein, dass man in einer solchen Rolle auch eine Pflicht zu erfüllen hat. Das heißt, nicht nur die eigene Meinung zu vertreten, sondern dass auch eine ganz Menge Athleten-Networking passieren muss.

Vor den Olympischen Winterspielen in China wurde das Mitspracherecht von Athletinnen und Athleten kontrovers diskutiert, auch weil sich einige Sportler sehr negativ über die Vergabe nach China geäußert hatten. Nach den Spielen ist die Diskussion schnell wieder abgeflacht. Müssen die deutschen Athletinnen noch wehrhafter, emanzipierter oder vielleicht auch besser verbunden werden?

Das Wichtige ist das Machen. Das eine ist die öffentliche Kritik, die Äußerung vieler Athleten. Am Ende hilft aber nur langfristige Partizipation. Wenn man strukturelle Probleme immer nur drei Wochen vor und drei Wochen nach Meisterschaften anspricht, dann verpufft das. Fakt ist, dass in der Hinsicht die tägliche Arbeit und der ständige Austausch wichtig sind. Fakt ist aber auch, dass einem als Teil einer Athletenkommission immer bewusst sein muss, dass man im Schnitt in den Councils in den Softfaktoren große Wirkung erzielen kann, sprich in persönlichen Gesprächen mit Personen, Entscheidern von Sportverbänden, die man sonst vielleicht gar nicht treffen würde. Aber formell haben die meisten Athletenkommissionen sehr wenig Stimmrecht im Vergleich zu den Länderkommissionen der Dachverbände. Wichtiger ist da wirklich die Kommunikationsarbeit, die Netzwerkarbeit im Vergleich zu dem, was man tatsächlich im Sinne einer Stimmberechtigung erreichen kann.

Das Thema der Athlet*innenvertretung in Deutschland wird immer wieder diskutiert. Inzwischen dürfte Athleten Deutschland e.V. die bekannteste Interessenvertretung sein. Wie sehen Sie deren Arbeit?

Sie machen inhaltlich einen guten Job. Da tut sich was. Ich bin pro bei der Sache, allerdings war ich bei einem Punkt schon immer kritisch: Rein strukturell bin ich der Meinung, dass wir nicht zu viele Athletenvertretungen brauchen. Ich glaube, da sollten wir nicht allzu viele Player aufkommen lassen. Natürlich entsteht durch Reibung auch immer wieder Wärme und damit auch ein Vorankommen. Andererseits halte ich es für wichtig, dass die Fachverbände ihre Meinungen in einen Kanal geben können. Es wird natürlich nie die eine allgemein gültige Meinung geben, das ist wie in der Politik. Aber – und das ist eigentlich schrecklich – Athletenvertretungen sind immer noch etwas Neues, und Verbände und Trainer wissen immer noch nicht recht, wie sie damit umgehen sollen. Deshalb sollten wir es auch nicht zu kompliziert machen. Es gibt die Athletenvertretung des DOSB, die der Fachverbände, dann gibt es Athleten Deutschland – wir müssen schauen, dass die Zahnräder so ineinandergreifen in der Kommunikation nach außen, aber auch intern, dass die Athleten wissen, wer ist mein Ansprechpartner, welches Thema kann ich wo platzieren. Das ist Arbeit, die über die nächsten Jahre geschafft werden muss.

Dennoch sind die "alten" Verbände, wie der DOSB oder auch das IOC strukturell eher behäbige, oft auch festgefahrene Institutionen. Der Gedanke einer Emanzipation von Sportlerinnen und Sportlern kann da schon naheliegen, gerade wenn man immer wieder Entscheidungen mittragen muss, die man als Sportler vielleicht nicht selbst getroffen hätte - wie die Vergabe der Olympischen Spiele an ein Land, in dem die Menschenrechte, gelinde gesagt, problematisch sind.

Korrekt. Es ist wichtig, dass die Athleten da auch mündig in der Pflicht sind. Wenn wir es mitentscheiden, müssen wir es am Ende auch mittragen und mitverkaufen. Das würde strukturelle Entscheidungen sogar absichern. Aber wie gesagt, Athletenvertretungen sind immer noch ein recht neues Thema, und da ist die Stimmgewalt noch immer nicht so groß, dass die großen Themen tatsächlich von den Athleten ausgehen. Diese Realität muss man annehmen und immer wieder mitgestalten und auch zeigen, dass durch die Arbeit mit den Athleten positive Faktoren entstehen. Es ist auch immer noch eine Scheu da in solchen gewachsenen Verbandsstrukturen. Aber Fakt ist, der Sport wird immer privater. Die Athleten sind immer näher an den Medien und auch an den Fans dran. Das bringen die ganzen neuen Medien und Kanäle mit sich. Und deshalb müssen wir auch als DIE Player des Sports involviert sein.

Ruderer Oliver Zeidler lobte die European Championships, "weil sie etwas von Olympia haben, aber ohne den Gigantismus" – Macht so ein Format nicht tatsächlich auch aus Athletensicht mehr Spaß, weil es gefühlt mehr um den Sport und weniger um Sportpolitisches geht, das den Sport überlagern könnte?

Das sind die unterschiedlichen Perspektiven, die hier aufeinandertreffen. Als Sportler versuchst du, dich auf deinen Sport zu konzentrieren. Wir sind uns aber trotzdem der Rahmenbedingungen bewusst. Ich glaube, es muss beides geben. Sport ist ein regionales Produkt. Das fängt beim Sportverein im Dorf an und endet bei den Olympischen Spielen. So würde ich die Pyramide beschreiben. Wir brauchen die Olympischen Spiele, um den Kernwert des Sports in die Welt zu tragen. Fakt ist aber auch, dass die European Championships in jedem Fall zukunftsweisend sind. Und davon können wir künftig lernen. In München war es super, dass eine bestehende Sportstruktur wieder belebt wurde. Der Park ist ohnehin Anziehungspunkt, Menschen treiben dort Sport. Ich glaube, davon können die Olympische Spiele lernen. Wir dürfen uns aber nichts vormachen, Olympia bietet dreimal so viele Sportarten und noch ein Vielfaches mehr an Sportlern und Teams. Es ist eine viel, viel größere Nummer, die viel mehr Menschen bedarf als das Team, das jetzt die European Championships auf die Beine gestellt hat. Da wird schnell Kritik an der Sache geübt, obwohl man sich gar nicht bewusst ist, wie viel Arbeit und Menschen dahinterstecken. Klar wünschen wir uns alle nachhaltigere Spiele und mehr Offenheit in der Kommunikation, dass man mehr Partizipation erlebt, aber wie gesagt, man übt sehr schnell Kritik an Dingen, die man selbst noch nie organisiert hat. Da wäre ich vorsichtig. Man sollte beide Formate weiterverfolgen, also keinesfalls die Olympischen Spiele streichen und nur noch European Championships machen. Das wäre sonst ein riesiger Verlust für den Sport.

Ein Problem, mit dem Athletinnen und Athleten in Deutschland auch weiterhin häufig zu kämpfen haben, ist die Doppelbelastung aus Spitzensport und Beruf oder Studium. Sie selbst sind laut Ihrer Homepage "Internationaler Topathlet, Speaker, Creator und Consultant". Ist diese Häufung von Berufen aus der Not oder aus Freude und Überzeugung entstanden?

Toi, toi, toi, bei mir ist es aus klarer Überzeugung entstanden. Ich wollte nie immer nur Sportler sein. Das war mir schon immer wichtig, muss ich zugeben, dass ich mich nicht nur übers Speerwerfen definiere. Da steht ein langfristiger Plan dahinter. Man muss sich in einer olympischen Sportart immer bewusst sein, dass man ein riesiges Sicherheitsnetz braucht. Erst danach kann man sportliche Risiken eingehen und sich ein Stück weit über den Sport finanziell tragen. Der Anteil derer, die das können, ist immer noch ein sehr, sehr kleiner. Du musst im Sport richtig gut sein, um davon überleben zu können. Das gilt für alle Sportarten, aber ganz besonders für die olympischen. Was sich auch zeigt, ist, dass mittlerweile nicht mehr nur der rein sportliche Erfolg zählt. Es ist die Geschichte außenrum, die Vermarktbarkeit, die Authentizität, die der Sportler mitbringt. Es sind mittlerweile viel mehr Faktoren als das schnelle Laufen, das weite Springen oder Werfen, die Erfolg ausmachen.

Bei den European Championships haben Sie sich auch als Fotograf hervorgetan. Wo liegt beim Fotografieren der Reiz für Sie?

Das ist ein Hobby, das mich schon immer begleitet. Das kreative Ausdrücken ist gerade für mich auch in der Zusammenarbeit mit Partnern ein Riesenpluspunkt, weil ich den Fans auch eine spannende Bildsprache bieten kann. Mein Antrieb war aber auch, anderen befreundeten Athleten zu helfen und mein Bildmaterial mit ihnen zu teilen. Ich weiß selbst, wie schwer es oftmals ist, an gutes Bildmaterial zu kommen. Deshalb ist es schön, wenn ich da helfen kann.

Worüber wir noch gar nicht geredet haben: Wie steht es denn eigentlich sportlich um die deutsche Leichtathletik? Ist man nach der verkorksten WM und der umjubelten EM irgendwie schlauer?

Die eine Standortbestimmung wird es nie geben. Das ist ein ganz natürliches Auf und Ab. Wir müssen unsere Hausaufgaben im Verband definitiv machen. Das sollte die EM nicht zu stark beschönigen. Aber die EM hat gezeigt - und das sollte jeden motivieren, die Athleten, Trainer und Funktionäre -, dass die Menschen unsere Sportart lieben. Die sind ins Olympiastadion gekommen, weil sie Leichtathletik sehen wollten. Das motiviert auch hoffentlich Talente, die sich gerade zwischen Studium oder Beruf und der Leichtathletik entscheiden müssen, dass sie dem Leistungssport eine Chance geben. Und wir im Verband müssen im Gegenzug die Perspektive für diese jungen Menschen schaffen. Der Leistungssport ordnet sich in unserer Gesellschaft gerade neu ein, das ist kein Geheimnis. Da müssen alle Verbände mit und durch. Und natürlich ist das weltweite Bild ein Tick anders als das europäische Bild. Das haben die Medaillen gezeigt, das zeigen die Ergebnisse in den Bestenlisten. Das ist eine internationale Entwicklung, die man am Speerwerfen gut nachvollziehen kann. Wir haben Olympiasieger aus Indien, erfolgreiche Sportler aus der Karibik. Vor einigen Jahren war das noch eine europäische Sportart. Diesem internationalen Talentedrang muss man sich stellen.

Wie geht es bei Ihnen persönlich weiter? Stecken Sie schon in der Vorbereitung für Paris 2024?

Ja, genau. So sieht es sportlich aus. Seit dieser Woche stecke ich sehr, sehr tief im Training. Jetzt nutzen wir die Zeit klimatisch noch bei uns. Wir haben eine interessante und spannende Vorbereitung. Aber ich bin positiv gestimmt.

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