• Nationalspielerin Mia Zschocke spielt aktuell in Norwegen und verfolgt von dort auch die Handball-WM der Männer.
  • Von den bisherigen Auftritten des Teams von Trainer Alfred Gislason zeigt sich die Rückraumspielerin durchaus angetan.
  • Davon abgesehen ist Zschocke froh, dass sie aufgrund der Geschehnisse im Sommer, als sie mit Vorwürfen gegen einen ehemaligen Trainer an die Öffentlichkeit gegangen war, aktuell räumliche Distanz zu Deutschland hat.
Ein Interview

Aktuell läuft die Handball-WM der Männer und Deutschland hat ungeschlagen die Hauptrunde erreicht. Wie schätzen Sie die Leistungen des DHB-Teams bislang ein?

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Mia Zschocke: Ich denke, das Wichtigste war, dass das Team mit allen Punkten in die nächste Runde gekommen ist. Sonst wäre die K.-o.-Runde ohnehin nicht mehr erreichbar. Die Mannschaft macht auf mich einen sehr homogenen Eindruck. Das Team wirkt sehr eingespielt und konsequent in den einzelnen Aktionen – und das, obwohl einige wichtige Spieler fehlen wie Fabian Wiede oder Patrick Wiencek.

Wie schätzen Sie die bisherigen Gegner ein? Sind Serbien, Katar und Algerien mit Hochkarätern vergleichbar?

Algerien ist definitiv kein Hochkaräter, sondern eher unteres bis mittleres Leistungsniveau. Aber mit Katar hatte man schon einen Gegner, mit dem man gut ins Turnier starten konnte, den ich als mittelstark einschätze. Auch Serbien ist für mich kein Hochkaräter, aber dennoch ist es gegen eine europäische Mannschaft immer noch ein Stück schwieriger als gegen klassische Außenseiterteams. Aber die richtigen Hochkaräter werden erst noch kommen.

Gegen Algerien gab Trainer Gislason auch den Spieler Einsatzzeiten, die bislang noch nicht zum Zug gekommen waren. Wie wichtig ist so etwas für das Teamgefüge?

Das ist ziemlich wichtig, damit jeder ins Turnier reinkommt und auch das Gefühl bekommt, dass er wichtig ist. Zudem ist es wichtig, dass sich die Zeiten auf viele Schultern verteilen. Kein Spieler kann komplett 60 Minuten durchspielen, auch in den kommenden Spielen. Sonst verliert man zu viel Energie.

Die Offensive überzeugte gegen Serbien, defensiv gab es jedoch noch Luft nach oben. Kann sich das gegen andere Gegner rächen?

Vorhersagen kann man das natürlich nicht. Die Defensive müsste noch eingespielter sein, aber das kommt ja auch durch die Spiele. Gerade die Vorrunde ist gut dafür geeignet, dass man sich auch ein Stück weit einspielt. Aber die Abwehr kann Spiele gewinnen und sie muss definitiv noch stärker werden.

Sie spielen in Norwegen bei Storhamar. In der Hauptrunde wird Deutschland auch auf Norwegen treffen. Schauen Sie das Spiel zusammen mit Ihren Teamkameradinnen?

Ja, auf jeden Fall. Wir sitzen eigentlich immer zusammen und schauen die Spiele.

Wie ist die Stimmung in Norwegen? Wie groß ist die Begeisterung für Handball dort?

Das ist für mich schwierig zu bewerten, weil ich in meiner Handball-Bubble bin und weniger Leute außerhalb kenne.

Was glauben Sie, wie weit kann es für Deutschland bei diesem Turnier noch gehen?

Ich würde sagen, das Viertelfinale ist realistisch. Halbfinale würde ich mir natürlich wünschen. Der Weg ist aber lang. Aber wenn die Truppe zusammenhält, gerade auch außerhalb des Spielfelds, dann ist das trotzdem machbar.

Man merkt auch an den TV-Einschaltquoten, dass die Euphorie in Deutschland langsam steigt. Wie wichtig ist ein gutes Abschneiden der Nationalteams für den Handball im Allgemeinen?

Es ist auf jeden Fall wichtig. Erfolg ist auch damit verbunden, dass man mehr Aufmerksamkeit bekommt und auch der Stolz auf die Sportart wächst. Ich denke, dass man mit einem guten und erfolgreichen Auftreten auf jeden Fall Werbung für den Sport betreiben kann.

Wenn Sie die Berichterstattung über die EM der Frauen im November und die WM der Männer aktuell vergleichen – wo sehen Sie die größten Unterschiede?

Die mediale Aufmerksamkeit bei den Männern ist natürlich deutlich höher. Das ist allerdings nicht sportartenspezifisch, sondern auch im Fußball oder Basketball zu beobachten. Aber ich finde schon, dass man eine Entwicklung sieht. Dass auch häufiger die Geschichten von Sportlern und Sportlerinnen in den Mittelpunkt gestellt werden.

Sie haben gerade den Fußball genannt. Da tut sich in der Entwicklung bei den Frauen gerade einiges, auch was die mediale Aufmerksamkeit angeht. Schaut man da als Handballerin drauf und hofft, dass es vielleicht auch im Handball in eine ähnliche Richtung gehen kann?

Wünschenswert wäre es auf jeden Fall, dass der Handball der Frauen eine ähnliche Entwicklung nimmt. Ich glaube aber auch, dass der Charakter des Teams enorm wichtig ist: Dass man sich stolz und hungrig zeigt, immer alles auf der Platte gibt. Dann kann auch die Aufmerksamkeit kommen.

Bei der aktuell laufenden WM stehen das erste Mal auch Schiedsrichterinnen auf dem Feld und pfeifen bei einer Weltmeisterschaft der Männer. Wie denken Sie darüber?

Für mich macht das keinen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau pfeift. Wir sind im Jahr 2023 und es sollte einfach egal sein, ob da ein Mann oder eine Frau steht. Die Leistung sollte zählen.

Also haben Sie die Aussagen von Christian "Blacky" Schwarzer dazu auch mitbekommen?

Ja. Das fand ich tatsächlich auch irritierend.

[Schwarzer hatte in seinem Podcast gesagt: "Keine Ahnung, wie man da auf die Idee gekommen ist, Frauen bei den Männern pfeifen zu lassen" und diese Aussage auch nach teils heftiger Kritik verteidigt; Anm.d.Red.]

Zschocke froh über räumliche Distanz zu Deutschland

Wie bereits erwähnt, spielen Sie ja inzwischen in Norwegen. Wie haben Sie sich eingelebt? War es die richtige Entscheidung für Sie, Deutschland zu verlassen?

Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Ich fühle mich superwohl hier im Team, bin froh, dass ich auch räumlich etwas weiter weg bin von den Geschehnissen im Sommer. Klar dauert es ein bisschen, bis man sich anpasst. Aktuell hat es minus zehn Grad, manchmal sind es minus 15 Grad. Aber generell erfahre ich hier sehr viel Wertschätzung. Man merkt einfach, dass der ganze Staff und auch der Klub außenrum von Sportlern gemacht wird. Das habe ich in Deutschland eher weniger gesehen.

Sie haben im Sommer psychischen Missbrauch durch ihren ehemaligen Trainer André Fuhr öffentlich gemacht. Wie geht es Ihnen heute damit? Verfolgen Sie die Nachrichten dazu noch? Erst vor Kurzem wurden Anschuldigungen gegen einen anderen Trainer, Steffen Birkner, laut.

Klar bekomme ich das mit. Die Handball-Welt ist eher klein. Das mit Steffen Birkner kann ich schlecht bewerten, weil ich nicht unter ihm trainiert habe. Aber ich denke, dass generell Systeme geschaffen werden sollten, dass so etwas einfach nicht passiert, was uns da passiert ist.

Der Deutsche Handball-Bund hat sich in dieser Sache nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Die ursprünglich eingerichtete Kommission zur Aufarbeitung Ihrer Anschuldigungen ist bereits wieder eingestampft. Sehen Sie trotzdem einen Weg zurück nach Deutschland oder wollen Sie auch langfristig lieber im Ausland spielen?

Das weiß ich noch nicht. Ich kann mir eigentlich alles vorstellen. Aber jetzt gerade ist es ganz gut, dass ich in Norwegen bin.

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