Handballspieler sind häufiger verletzt und fallen länger aus als ihre Fußballerkollegen, trotzdem gibt es kein Jammern und kein Zetern auf der Platte. Sind Handballer also härter im Nehmen? Eine Einordnung.

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Am Anfang steht das Schmerzmittel. Und am Ende. Und auch zwischendurch.

Die eng getakteten Auftritte der Handballer - nicht nur während einer Welt- oder Europameisterschaft - lassen in vielen Fällen gar nichts anderes mehr zu, als sich vor dem nächsten Spiel den Schmerz zu nehmen. Es muss ja immer weitergehen.

Besonders gesund kann das nicht sein und die Debatten um den regen Gebrauch medizinischer Unterstützung sind ebenso wenig neu wie die Zwei-Minuten-Strafen im Handball. Seit Jahrzehnten schinden die Spieler ihre Körper, gehen bis an die Grenzen der Belastbarkeit und wenn es sein muss, auch darüber hinaus.

Spieler sind teilweise wochenlang betäubt

Uwe Gensheimer, derzeit bei Paris Saint-Germain HB unter Vertrag, erzählte vor Kurzem dem "Spiegel", dass es "viele Spieler gibt, die sich mal ein Schmerzmittel reinhauen", er müsse in die Spiele mit getapten Sprunggelenken gehen. Beim privaten Joggen im Wald würde er automatisch immer wieder umknicken.

Und nicht nur Stefan Kretzschmar gab offen zu, während seiner aktiven Karriere manchmal wochenlang betäubt in die Spiele gegangen zu sein. Das wäre eigentlich eine besorgniserregende Feststellung, in diesen Tagen der Handball-WM wird die Diskussion aber eher darüber geführt, ob Handballer denn nun härter seien als zum Beispiel ihre Kollegen aus dem Fußball. Und auch ein bisschen verklärt.

Hier wird nicht gejammert

Die Handballer kokettieren ein wenig mit ihrem Image. Die vielen blauen Flecken an seinem Körper präsentiere er als Schmuck, sagt Kreisläufer Patrick Wiencek.

Und als Rückraum-Spieler Franz Semper mit Fieber im Bett lag, durfte er sich ein paar Sprüche seiner Kollegen anhören. "So ein bisschen Schüttelfrost ist kein Grund, nicht zu spielen. Und auch keine Ausrede wie in anderen Sportarten", sagte Torhüter Silvio Heinevetter mit einem Augenzwinkern.

Der Mundschutz, eigentlich ein recht probates Mittel im Profisport, ist bei den meisten Handballern mehr oder weniger verpönt. "Im Handball bekommst du frei, wenn du verletzt bist", fasste es Superstar Nikolas Karabatic einmal zusammen. Er wolle aber "nicht jammern. Die Leute denken sonst, wir sind Weicheier."

Mehr Verletzungen gibt es im Handball

Gibt es nun also mehr als die offenkundigen Unterschiede zwischen Handballern und Fußballern? Das Verletzungsrisiko dürfte in beiden Sportarten in etwa gleich groß sein.

Vor wenigen Tagen wies Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln in der ARD nochmals darauf hin, dass die Verletzungen und Ausfallzeiten im Handball höher seien als im Fußball. Mit im Schnitt 2,8 Verletzungen pro Jahr und im Schnitt 30 Tagen Ausfallzeit seien Handballer gefährdeter als Fußballer, die "nur" auf 2,4 Verletzungen pro Jahr und 24 Tagen Ausfallzeit kämen.

Das dürfte mehrere Gründe haben. Im Handball ist Art der erforderlichen motorischen und physiologischen Fähigkeiten etwas anders verteilt als im Fußball, auch die Energiebereitstellung ist eine andere. Sehr viele kurze, explosive Phasen wechseln sich ab mit Sequenzen der Erholung, wenn der Spieler etwa auf der Bank Platz nimmt.

In einem Fußballspiel, das immerhin 50 Prozent länger dauert als ein Handballspiel, gibt es dafür längere Phasen in mittlerer Spielgeschwindigkeit. Die Sprints verteilen sich recht homogen auf die zehn Feldspieler und liegen deutlich unter dem Niveau der Handballer.

Aber: Die Spitzengeschweindigkeiten im Fußball liegen deutlich über jenen im Handball, womit auch einzelne Zweikämpfen deutlich mehr Dynamik und damit Verletzungsrisiko bergen.

Deutlich mehr vorsätzliche Fouls

Ein besonders wichtiger Faktor ist die Tatsache, dass im Handball vorsätzliche, geplante Foulspiele bis zu einem gewissen Grad geduldet werden. Das klassische Festmachen ist ein taktisches Mittel der Abwehrarbeit und passiert hundertfach in einem Spiel.

Foulspiele im Fußball bewegen sich dagegen in einem Rahmen zwischen 25 und 40 pro Spiel. Rechnet man die richtig harten Fouls im Handball dazu, die in der Regel mit einer Zwei-Minuten-Strafe und damit im Vergleich zu einer Roten Karte im Fußball deutlich milder geahndet werden, wird schnell klar, dass das Verletzungsrisiko automatisch höher sein muss.

Die Vermutung, dass Handballer härter im Nehmen seien als fast alle anderen ihrer Sportlerkollegen ist zu einem großen Teil auch schlicht der Tatsache geschuldet, dass deutlich härter ausgeteilt wird.

Schwalben als taktisches Mittel

Und dann gibt es noch eine Eigenheit, die sich leider gerade beim Fußball in den letzten Jahrzehnten geradezu institutionalisiert hat. Mit einer Schwalbe oder einem leichten Faller versprechen sich die Fußballer einen Vorteil, gerade in der gegnerischen Spielhälfte.

Selbst bei leichteren Kontakten gehen die Spieler zu Boden. Eine handelsübliche Grätsche wird zum Anlass genommen, den Schiedsrichter zu einer persönlichen Bestrafung des Gegenspielers zu verleiten.

Das ist längst zu einem taktischen Mittel geworden, das von den Schiedsrichtern, den eigenen Mitspielern und den Fans allerdings nicht genug geächtet wird. Mit der grundsätzlichen Schmerzresistenz oder damit, wie viel der Spieler einstecken kann, hat das aber wenig bis gar nichts zu tun.

Schwellungen, Presslungen, Pferdeküsse, aufgeschlagene Knie und Ellbogen gibt es auch im Fußball und kaum ein Spieler lässt sich von einer dieser eher banalen Verletzungen davon abhalten, im nächsten Spiel wieder auf dem Platz zu stehen.

Zumal beim Fußball noch eher das Motto hopp oder topp gilt: Entweder ist der Spieler ganz dabei oder gar nicht. Freie Spielerwechsel, mit denen man es ja einfach mal probieren könnte und die zahllos möglich sind im Handball, sind im Fußball auf drei pro Partie beschränkt. Da wägt man das Risiko dann im Zweifel doch deutlich genauer ab.

Zehn Spiele in 16 Tagen

Nach dem Spiel um Platz drei gegen Frankreich am morgen Sonntag werden die deutschen Spieler zehn Partien in 16 Tagen absolviert haben.

In der Vorrunde waren es fünf in nur acht Tagen, in der Zwischenrunde drei in fünf Tagen und in den Finalrunden mit Halbfinale und Spiel um Platz drei nochmals zwei in drei Tagen. Das ist ein enormes Pensum und in keiner Weise vergleichbar mit den Belastungen der Fußballer, die bei einem großen Turnier in der Regel vier Tage zwischen ihren Spielen haben und damit fast 100 Stunden der Regeneraton.

Das Problem ist hier aber von den Verbänden hausgemacht und folgt dem schnöden Drang, mehr Geld zu verdienen. Die Spieler werden dabei regelrecht ausgequetscht.

"Wer in Deutschland spielt, ist nach der Saison körperlich am Ende", sagte Hendrik Pekeler der "Sport-Bild". Die Bundesliga gilt in der Breite immer noch als die beste Liga der Welt, dazu kommen noch der DHB-Pokal und für etwa die Hälfte aller Klubs noch Teilnahmen an Europapokalspielen.

Plus, für die zahlreichen Nationalspieler aus aller Welt, die Vergleichsspiele und Qualifikationsrunden mit ihren Heimatländern oder eben ein Großereignis. Am Ende stehen bis zu 80 Spiele pro Saison. Selbst die WM ist eingebettet in die reguläre Spielzeit und muss damit das Tempo anziehen.

"Hier wird schon lange nicht mehr im Interesse der Sportler, sondern nur der Funktionäre entschieden", klagt Pekeler. Und das stimmt, abseits des Mythos von den harten Männern, zumindest bedenklich.

Verwendete Quellen:

  • Spiegel.de: DHB-Kapitän Gensheimer: "Dummes Geschwätz"
  • ARD
  • Schwaebische.de: Mehr Belastung geht nicht: Handball-Profis am Anschlag
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