• Unser Autor ist für die WM nach Katar gereist.
  • Im zweiten Teil seines WM-Tagebuchs berichtet er von seiner Suche nach den wahren katarischen Fans.
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Günter Klein dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Arme zu einem V ausgebreitet, kurz innegehalten, dann das dröhnende Klatschen, unterlegt mit einem "Hu", und das im Kollektiv – Kult seit der Fußball-Europameisterschaft 2016, erfunden von den Fans aus Island. Und nun: "Hu" im katarischen Block, als gegen Ecuador gespielt wurde. Ist isländische Fankultur weitergezogen an den Persischen Golf – oder hat Katar ein paar Wikinger eingekauft und in die Trikots seines Nationalteams gesteckt? Man weiß es halt nicht, was bei dieser WM 2022 echt ist und was inszeniert.

Mehr News zur Fußball-WM

Gibt es katarische Fans?

Es ist ja überhaupt die Frage: Gibt es katarische Fans und bei diesem Turnier ein Heimpublikum, das seine Mannschaft frenetisch vorantreibt und eine Overperformance bewirkt wie 2002 Südkorea (Halbfinale), 2010 Südafrika (Aus in der Vorrunde, aber was für ein schönes Scheitern) oder 2018 Russland (Viertelfinale immerhin)? Sogar Deutschland 2006 hat profitiert von einer feierlichen Stimmung im Land. Doch wer soll die katarischen Spieler antreiben? Es gibt lediglich 300.000 Staatsbürger in diesem kleinen Land, die meisten von ihnen sind reich aufgewachsen, sodass sie eher der Falknerei begegnet sind als dem Fußball. Doch es gibt hier bei dieser WM Menschen, die Katar-Trikots anziehen und sich einen Federschmuck aufsetzen, auf dem "Qatar" steht, ohne dass sie Katarer sind oder dafür entlohnt würden, den Fan zu spielen.

In der Fanzone an der Corniche war eine kleine Gruppe anzutreffen, die katarische Utensilien trug. Woher kommt ihr? "Aus Iran", sagt die junge Frau, die das Haar offen trägt. "Aus Palästina", sagt einer, der die passende Fahne um sich geschlungen hat. "Und wir sind aus Belarus", verraten ein junger Kerl mit Schnauzbart und ein älteres Ehepaar.

Was diese bunte Kombo vereint: Sie arbeiten alle in Katar, haben hier ihre Jobs. Und es sind besondere. "Wir sind Sportcoaches", erklärt der belarussische Senior und erzählt, dass er mit seiner Frau hier das Tischtennis aufgebaut hat: "Sie war bis 2017 Trainerin der katarischen Damen, und wir sind seit 22 Jahren hier." Ihr junger Kompagnon aus Belarus ist 22 – und steht für Katar an der Platte. Ihn muss man nicht davon überzeugen, dass Katar toll ist: "Das wird ein fantastischer World Cup in fantastischen Stadien", blickt er voraus und tippt ein "2:0 für Katar – zur Halbzeit". Es geht genau andersherum aus.

Deutliches Zeichen: Irans Fußballer singen Hymne nicht mit

Das iranische Nationalteam in Katar schweigt während der Nationalhymne demonstrativ. Es ist eine starke Geste, die den Fußballern Ärger einbringen dürfte. Im Iran gehen Sicherheitskräfte Augenzeugen zufolge unterdessen zunehmend brutal gegen Demonstranten vor. (Teaserbild: Mike Egerton/PA Wire/dpa)

Dann ist man halt für Katar

Es gibt viele Expats, Ausländer, überwiegend Europäer, die in Katar in höher gestellten Positionen arbeiten und vom Wohlstand der Energiewirtschaft profitieren. Sie haben nichts auszusetzen an der Politik des Emirs, ihnen geht es gut. Dann sind sie bei der WM halt erst mal für Katar.

Wie ein britisches Paar, das vom Moderator in der Fanzone auf die riesige Bühne gebeten wird. Sie waren in Fanklamotten gekommen, weil man das halt so macht, wenn man zum Public Viewing geht. "Man hat uns gesagt, dass wir hier am katarischsten aussehen", sagen sie und lachen. Sie machen die Späße des Moderators mit. Doch wo sind echte Katari? "Es wird schwer fallen, einen zu treffen", meint der Autor Olaf Jansen, der ein Buch über das WM-Land geschrieben hat. Das Verhältnis Einheimischer zu Ausländern beträgt 1:9. Das Alltagsbild bestimmen die (auf Zeit) Zugewanderten.

Bei der WM erst recht: Argentinier, Mexikaner, Tunesier – sie sieht man in größeren Ansammlungen. In Südamerika waren die katarischen Menschenrechtsverletzungen kein Thema in den Medien. Die Tickets sind so gut wie alle verkauft, auch aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten wird viel Publikum erwartet.

Fast gleichzeitig mit dem Schlusspfiff des Eröffnungsspiels wurde über der Bucht von Doha ein spektakuläres Feuerwerk abgebrannt und sogar ein World Cup in den nächtlichen Himmel gezeichnet. Als wäre das Motto: Wenn wir ein Feuerwerk bestellt haben, dann zünden wir es auch – trotz Niederlage. Die WM des Staates Katar und seiner Gesellschaft bleibt es ja – auch wenn es nicht die der Fußballmannschaft Katars sein wird.

Interessiert Sie, wie wir über die WM in Katar berichten? Wir haben unsere Beweggründe in einem Text für Sie zusammengefasst.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.