Die Niederlande drohen nach der EM 2016 nun auch die WM im kommenden Jahr zu verpassen. Der Rauswurf von Bondscoach Danny Blind war überfällig - aber ist damit auch die Wende geschafft? Es bleiben Zweifel.

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Wie verzweifelt und kopflos Danny Blind am Ende war, demonstriert die Sache mit Matthijs de Ligt wohl sehr anschaulich. De Ligt ist eines der größten Talente des niederländischen Fußballs, dem Innenverteidiger wird eine prachtvolle Karriere vorhergesagt.

Dabei hat De Ligt erst gut zwei Dutzend Profispiele auf dem Buckel, pendelt bei Ajax zwischen der ersten und der zweiten Mannschaft hin und her. Bondscoach Blind aber befand De Ligt für gut genug, im schweren Qualifikationsspiel in Bulgarien ein zentraler Eckpfeiler der Defensive zu sein.

De Ligt rutschte bei seinem Debüt nach fünf Minuten ein leicht zu verteidigender Ball durch, die Bulgaren erzielten die frühe Führung. War es die Aufregung, der Stress, die ungewohnte Situation? Auch beim zweiten Tor sah er nicht besonders gut aus. Nach 45 Minuten war es das dann auch schon wieder mit seiner Premiere in Oranje. Blind nahm den indisponierten Spieler in der Halbzeitpause vom Platz.

Das alles wäre vielleicht nur eine unglückliche Episode, hätten die Niederlande nicht einen Sieg gebraucht in Sofia. Und wäre Blind nach Monaten des Misserfolgs nicht ohnehin schon gehörig unter Druck gestanden. Und wäre Matthijs de Ligt, der Debütant, nicht erst zarte 17 Jahre jung.

Peinlich. Erbärmlich. Alptraum.

Die Personalie entwickelte sich noch während des Spiels zu einem Selbstläufer. In den sozialen Medien wurde Blind förmlich in der Luft für seine Entscheidungen zerrissen, die Demontage des Teenagers - manche schrieben gar von einer Vorführung - wurde zum Politikum. Und letztlich, wie sich 24 Stunden nach dem 0:2 verlorenen Spiel herausstellen sollte, auch zur Endstation von Danny Blind beim Königlich Niederländischen Fußballbund.

Die Elftal, und mit ihr der holländische Fußball, steht vor einem Scherbenhaufen. "Wir müssen jetzt unseren Mund halten. Wir waren einfach nicht gut genug gegen Bulgarien. Das ist peinlich", raunzte Arjen Robben. Der Bayern-Star, im Klub ganz sicher anderes gewohnt als seit einigen Jahren im Nationaltrikot, sprach dann noch von einer "erbärmlichen Leistung" und "einem Alptraum".

Die verpasste Qualifikation zur Europameisterschaft im letzten Jahr schien ein Tiefpunkt, aber wo jetzt auch der Weg nach Russland zur Weltmeisterschaft im kommenden Jahr fast schon versperrt ist, droht das totale Fiasko.

Am späten Sonntagabend reagierte der KNVB endlich und setzte Blind vor die Tür. "Wir haben Respekt vor dem, was Danny während seiner Amtszeit geleistet hat. Aber weil die sportlichen Resultate leider nicht gestimmt haben, und nun auch die Qualifikation für die WM in Russland mühsam verläuft, sehen wir uns leider gezwungen, Abschied von ihm zu nehmen", sagte KNVB-Direktor Jean Paul Decossaux.

"Wir waren auf einem guten Weg"

Damit beendete der Verband die fast schon peinliche Hängepartie um Blind, der sich trotz der anhaltenden Negativserie wenig einsichtig zeigte. "Wir waren auf einem guten Weg, das Spiel in Bulgarien war meiner Meinung nach ein Ausrutscher", behauptete der 55-Jährige. "Ich habe alles gegeben, was ich habe. Schade, dass es so zu Ende geht."

Blind verlor in etwas mehr als anderthalb Jahren als Cheftrainer entscheidende Pflichtspiele gegen Frankreich, Island, die Türkei, Tschechien und jetzt Bulgarien, dazu noch ein paar Freundschaftsspiele. In den letzten zehn Spielen erzielte die Mannschaft läppische 15 Tore, darunter waren Gegner wie Weißrussland, Luxemburg, Griechenland oder Irland.

Mindestens ebenso gravierend wie die schlechten Ergebnisse war aber die spielerische Stagnation der Mannschaft. Die Elftal lebt seit der Weltmeisterschaft in Brasilien nur mehr von ein paar Einzelkönnern, das Kollektiv bildete unter Blind und davor auch Guus Hiddink schon lange nicht mehr die Basis. Der niederländische Fußball steckt in einer veritablen Krise - völlig egal, ob sich die Nationalmannschaft doch noch für die WM qualifizieren kann oder nicht.

Zweifel an den Talenten

Der einstige Welt-Klub Ajax besitzt immer noch einen klangvollen Namen. Aber aus dem Zirkel der Großen Europas sind die Amsterdamer längst rausgerutscht. Das Großkapital anderer Ligen hat Ajax zu einem reinen Ausbildungsverein schrumpfen lassen. Um sich überhaupt noch einigermaßen über Wasser halten zu können, muss der Klub ausbilden und rasch und in möglichst großer Zahl junge Talenten entwickeln, um diese dann zu veräußern.

Vor zwei Jahrzehnten war Ajax noch der beste Klub des Kontinents, konnte seine Stars auf Dauer zwar auch nicht halten - musste die goldene Generation um die De Boers, Seedorf, Davids oder Kluivert aber nicht schon im Teenager-Alter verkaufen. Auch die anderen Vorzeige-Klubs wie PSV Eindhoven oder Feyenoord bilden europäisches Mittelmaß ab.

Die Talente des Landes können nicht mehr in Ruhe reifen, dafür ist der finanzielle Druck einfach zu groß. Lediglich PSV mit der Muttergesellschaft Philips im Rücken könnte da noch ein paar Momente länger standhaft bleiben. Letztlich ist die Eredivisie aber längst ein Durchlauferhitzer geworden, ein Sprungbrett in die ganz großen Ligen.

Dazu kommt, dass viele der ehemals hoffnungsvollen Talente auch den nötigen Biss vermissen lassen. Einige Spieler sind mit dem bisher Erreichten zu schnell zufrieden, Memphis Depay genügte etwa ein Kontrakt bei Manchester United. Seitdem sucht der begnadete Dribbler die Form früherer Tage und dreht derzeit bei Olympique Lyon eine Ehrenrunde.

Andere haben sich schwer verletzt wie Stratege Kevin Strootmann oder bringen doch nicht das vermutete Weltklasseformat mit wie Bruno Martins Indi, Daley Blind oder Georginio Wijnaldum. Gewiss sehr talentierte Spieler, aber in ihrer Entwicklung seit Jahren im Stillstand.

Van Gaal als Retter?

Das 4-3-3, die jahrzehntelang in Stein gemeißelte und von Oranje quasi erfundene Grundordnung, ist ein Dauerthema. Nostalgiker trauern der "Voetbal total" immer noch hinterher, aber die Zeiten sind vorbei. Romantik trifft in den Debatten um die Elftal sehr schnell auf Pragmatismus. Diese Gratwanderung auf ein vernünftiges Maß zu stutzen und einen Mittelweg zu finden ist die große Herausforderung der kommenden Jahre.

Der Letzte, der sich dem 4-3-3-System entgegengestellt hat, gilt jetzt als einer der großen Favoriten auf den Job als Bondscoach. Louis van Gaal führte die Niederlande vor drei Jahren in einem defensiven 5-3-2 zu Platz drei bei der WM. Davon kann Holland im Moment nur träumen.

Der Fußball war immer das große Aushängeschild der kleinen Nation. Derzeit ist er für viele eine große Schande. Es könnte eine Zeit dauern, bis die Niederlande wieder auf Augenhöhe mit den Besten sind. Die Zeit des schönen Fußballs ist leider vorbei.

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