Zauberfußballer a.D.? Kaum ein anderer deutscher Spieler wird bei der WM so heftig kritisiert wie Mesut Özil. Viele Fans und Experten fordern von Bundestrainer Joachim Löw, dass er seinen Mittelfeldspieler im Halbfinale gegen Brasilien (heute 22:00 Uhr, live im ZDF oder bei uns im Ticker) auf die Bank setzt. Dabei sprechen die Zahlen für Özil.

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Ein Tor wie eine Befreiung: Als Mesut Özil in den letzten Minuten der Nachspielzeit das entscheidende Tor zum 2:0 im Achtelfinale gegen Algerien schießt, brüllt er seine Erleichterung heraus. Endlich kann der Star der DFB-Elf seinen Kritikern wieder etwas entgegen setzen. Eine Last fällt von seinen schmalen Schultern, die zu oft nach unten hängen, wie die Fußballzuschauer mosern.

Die Klagen über Mesut Özil bei der WM sind enorm. "Ohne Mumm in den Zweikämpfen, ohne Ideen im Angriffsspiel. Eine bisher riesige Enttäuschung bei der WM", urteilt die "Bild"-Zeitung nach dem Achtelfinale. "Ein Fall für die Eistonne", fertigt "Focus Online" den Mittelfeldspieler ab. "Er war heute mal wieder der schlechteste Mann", sagt auch unser WM-Experte Andi Brehme nach dem Viertelfinale gegen Frankreich.

Löw: "Er ist ein wahnsinnig wichtiger Spieler"

Sogar außerhalb des Fußballs stimmen Prominente in die Beschwerden ein. "Mir taugt es, wenn jemand richtig beißen kann. Aber mir taugt es gar nicht, wenn jemand nicht beißt. Wie Mesut Özil", giftet Skistar Felix Neureuther in einem Interview mit dem "Münchner Merkur". "Als Mitspieler würde mich das nerven, wenn einer vorne den Ball verliert und nicht Vollgas zurücksprintet. Das würde mich fuchsteufelswild machen. Bei Özil habe ich das schon öfter beobachtet."

Beim DFB wird Özil dagegen in Schutz genommen. "Für mich ist Mesut einfach ein wahnsinnig wichtiger Spieler. Er ist hochbegabt, er kann Spiele entscheiden", sagt Löw. Der Bundestrainer verweist auf die Turniere 2010 und 2012, bei denen Özil glänzte: "Das kann man doch nicht einfach vergessen."

Mit seinen überragenden Leistungen in den vergangenen Jahren hat der Zauberfußballer Maßstäbe gesetzt, an die er bei dieser Weltmeisterschaft nicht mehr heranreicht. Das Tor gegen Algerien ist bisher sein einziges, auch eine Torvorlage konnte der 25-Jährige noch nicht auf seinem WM-Konto verbuchen.

Der häufigste Vorwurf an Özil ist, dass er auf dem Platz schlapp und teilnahmslos wirke. Die deutschen Fans wollen mehr Kampfgeist und eine aggressivere Körpersprache von ihm sehen. Aber die Stärke des deutschen Nationalspielers ist seine Kunst am Ball und die Art, wie er mit genialen Pässen andere in Szene setzen kann. Bei Real Madrid war er bester Vorlagengeber von Cristiano Ronaldo.

Özil ist der schnellste Mann

Die Statistik ist gnädiger zu Özil als die Kritik. Bei der WM tritt er als starker Sprinter in Erscheinung. Im Viertelfinale gegen Frankreich war er schnellster Mann auf dem Feld. Nach Thomas Müller unternimmt Özil die meisten Sprints bei diesem Turnier. Auch seine Passquote ist mit 87 Prozent besser als die von vergleichbaren Spielern wie Lionel Messi, Arjen Robben, Neymar oder Thomas Müller.

Mesut Özil ist ein Opfer des Systemumbaus von Löw. Hatte der Chefcoach zuvor das Spiel um seinen hochbegabten Zehner herum aufgebaut, wird der Mittelfeldakteur nun auf eine Position gesetzt, mit der er noch fremdelt. Bei der WM spielt er hauptsächlich auf dem rechten Flügel statt in der Zentrale. Mit seiner neuen Rolle findet sich der sensible Fußballer noch nicht zurecht.

"Özil ist Özil. Man darf von ihm nicht erwarten, dass er zwischen den beiden Torauslinien hin und her läuft und Kilometer macht. Dass er der große emotionale Leader dieser Mannschaft ist und alle mitreißt mit seiner aggressiven Art. Nein, das ist nicht Mesut", verteidigte ihn jüngst sein früherer Trainer bei Real Madrid, Jose Mourinho. Auch sein aktueller Coach beim FC Arsenal, Arsene Wenger, ist voll des Lobes: "Wenn du Mesut auf dem Platz siehst und dich dann nicht in ihn verliebst, hast du keine Ahnung von Fußball."

Wer solche Fürsprecher hat, kann Kritik an sich abprallen lassen. Wohl auch deshalb hat sich Özil ein besonderes Tattoo stechen lassen: Unter einem brüllenden Löwen auf seiner Schulter steht "Only God can judge me" - "Nur Gott kann über mich richten".

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