Mit viel Krampf und Gewürge hat sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Algerien gerade noch so ins Viertelfinale der WM 2014 in Brasilien gerettet. Souveränität? Fehlanzeige. Selbstvertrauen in die eigene Stärke? Nicht spürbar. Stattdessen: noch mehr Fragezeichen. Klar ist nur: Nach dem 2:1-Zittersieg nach Verlängerung dürften für Bundestrainer Jogi Löw die Tage bis zum Duell mit Frankreich ungemütlich werden.

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Ein Spaß? Eine Variante? Ein Unfall? Der Freistoß der deutschen Nationalmannschaft kurz vor dem Ende der regulären Spielzeit beim Krimi gegen Algerien wird vielleicht nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Er dreht aber schon eifrig seine Runden in den sozialen Netzwerken: Der taumelnde Thomas Müller, der missglückte Chip von Toni Kroos. Zumindest bis zum kommenden Freitag, wenn es gegen Frankreich um den Einzug ins WM-Halbfinale geht.

Dann darf die deutsche Mannschaft mindestens noch ein Spiel spielen bei diesem verrückten Turnier in Brasilien. Das 2:1 (0:0, 0:0) gegen Algerien war eine der wildesten Partien in der nunmehr achtjährigen Amtszeit von Joachim Löw als Bundestrainer, und sie bescherte dem Deutschen Fußball-Bund die 16. Teilnahme an der Runde der besten acht Teams in Serie bei einem WM-Turnier.

Seit 15 Länderspielen ist Deutschland nun schon ungeschlagen, zehn Siege gab es zuletzt und fünf Remis. Kein anderer WM-Teilnehmer kann eine derartige Serie vorweisen. Das sind die positiven Zahlen.

Sie kaschieren aber nur eine ganze Reihe von Fragen und Problemen, die Löw auch nach dem vierten Spiel im Turnier nicht in den Griff bekommen hat oder auf die er Antworten liefern konnte.

Außenverteidiger werfen Fragen auf

Die Besetzung der beiden Außenbahnen in der Viererkette entwickelt sich mittlerweile beinahe schon zu einer Grundsatzentscheidung. Löw rutschte bei seinem Fazit zum Spiel gegen Algerien eine ungewöhnliche Replik heraus. "Wir haben 14 oder 15 Spieler, die wir bringen können", sagte Löw da. Vermutlich wollte er damit die Qualität seiner Ergänzungsspieler betonen. Herausgekommen ist die durchaus berechtigte Frage, wozu denn die anderen acht oder neun Spieler überhaupt im Kader stehen? Spieler wie die beiden Dortmunder Kevin Großkreutz und Erik Durm etwa. Beides erprobte Außenverteidiger, beide bei der WM noch ohne jede Spielminute. Auch gegen Algerien hielt Löw an seiner Lösung aus dem Portugal-Spiel fest, nur gelernte Innenverteidiger in der Viererkette zu installieren. Mit allenfalls mäßigem Erfolg gegen Algerien.

Nach dem WM-Aus von Shkodran Mustafi (Muskelfaserriss) stellt sich die Frage, auf welcher Position Philipp Lahm nun den Rest des Turniers spielen wird. Lahm wurde von Löw im Laufe des Spiels wieder nach rechts hinten verschoben. Der Bundestrainer wollte sich dazu nicht gesondert äußern, vermutlich wird Lahms Planstelle bis kurz vor dem Anpfiff gegen Frankreich ein Geheimnis bleiben.

Muss Jogi Löw das System umstellen?

Ebenso wie die generelle Spielausrichtung. In allen vier Partien bisher hat Löw auf ein 4-3-3 gesetzt, zum Wohle einer besseren defensiven Stabilität. Die hebelten die schlauen Algerier aber auf ziemlich simple Art und Weise aus, ohne dass Deutschland ein Gegenmittel gefunden hätte. "In der ersten Hälfte waren wir schlecht und hatten viele Ballverluste. Dadurch haben wir Algerien zu Kontern eingeladen. Sie haben auch oft unser Pressing umgangen und lange Bälle gespielt. Da waren wir sehr anfällig, und die haben das richtig gut gemacht", gab Löw zu. Denn auch ihm als Trainer wollte lange Zeit keine Lösung des Problems einfallen.

Plötzlich wird das jahrelang praktizierten 4-2-3-1-System wieder ein Thema - mit Lahm in der Viererkette, Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira auf der Doppel-Sechs und Mesut Özil in der zentralen Rolle hinter der einzigen Spitze. Der Arsenal-Star und Mario Götze haben noch deutlich Steigerungspotenzial, vom gefürchteten "Götzilla" ist bei dieser WM noch nicht viel zu sehen gewesen.

Die deutsche Mannschaft bleibt eine Mannschaft voller Rätsel bei diesem Turnier. Der Stoiker Per Mertesacker wurde unmittelbar nach dem Algerien-Spiel unwirsch einem Reporter gegenüber, der für den Geschmack Mertesackers offenbar zu bohrend nachgefragt hatte ob der mauen Spielweise der Mannschaft. "Was wollen Sie von mir? Völlig egal wie, Hauptsache wir sind im Viertelfinale. Glauben Sie, unter den letzten 16 ist eine Karnevalstruppe? Wollen Sie eine erfolgreiche WM oder dass wir mit schönem Fußball ausscheiden? So kurz nach dem Spiel kann ich die ganze Fragerei nicht verstehen. Wir sind weiter, wir sind happy", teilte Mertesacker aus. Happy sah er dabei aber nicht aus.

Einzig Manuel Neuer macht Hoffnung

Immerhin gibt es eine Konstante im deutschen Spiel, auf die bisher stets Verlass war: Manuel Neuer. Der Welttorhüter wehrte gegen Algerien 19 Bälle außerhalb des Strafraums ab. "Es war gut, dass Manuel die Bälle abfangen konnte. Das ist sein Spiel", sagte Löw.

Gegen die Franzosen benötigt die deutsche Mannschaft einen Neuer in Top-Form, das dürfte spätestens jetzt klar sein. Doch ein Neuer allein wird nicht reichen. Immerhin hat Deutschland nun diese eine schlechte Partie, die man jeder Mannschaft bei einem Turnier zugestehen darf, hinter sich gebracht.

"Solch ein Spiel gibt es im Turnier mal, dass man sich durchkämpfen muss. Auch andere Mannschaften wie Brasilien haben sich schwer getan, das ist kein Spaziergang", sagte Löw. Es gibt also auch noch Grund zu vorsichtigem Optimismus.

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