Marina Hegering spielt wahrscheinlich ihre letzte Weltmeisterschaft. Der Titel würde eine besondere Karriere krönen, die sensationell startete und in jedem Fall beeindruckend enden wird. Dazwischen bestritt die Abwehrspielerin des DFB einen beeindruckenden Kampf gegen ihren Körper.

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Immer wieder rannten die Spanierinnen an, immer wieder setzten sie das deutsche Team unter Druck. Doch immer wieder scheiterten sie vor allem an einer Verteidigerin: Marina Hegering. Bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr in England war der 2:0-Sieg Deutschlands gegen ein spielstarkes Spanien ein dickes Ausrufezeichen.

Ohne Hegering wäre das vielleicht nicht möglich gewesen. Die Innenverteidigerin warf sich in jeden Zweikampf, köpfte jeden hohen Ball weg und diktierte das Geschehen auch mit dem Ball am Fuß. Eine Weltklasseleistung, an der nicht nur die Spanierinnen bei der Europameisterschaft verzweifelten.

Bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland kann sie wieder zu einer Schlüsselspielerin werden. Die ersten beiden Gruppenspiele gegen Marokko und Kolumbien verpasste sie jedoch angeschlagen. In der Partie gegen Südkorea soll sie nun aber wieder dabei sein.

Hegering ist mit 33 die älteste Spielerin des Kaders. Und sie spielt im Trikot des DFB meist, als hätte sie bereits 200 Länderspiele auf dem Buckel. Dabei sind es erst 29.

Marina Hegering und ihr weiter Weg zum Länderspieldebüt

Erst mit 28 Jahren debütierte sie 2019 beim 2:1-Sieg gegen Schweden für das Nationalteam, erst seit 2020 bezeichnet sie sich selbst als Profi. Der Weg dorthin war unglaublich lang. Länger, als es im Jugendbereich absehbar gewesen wäre.

Denn Hegerings Talent war unverkennbar. Bis 2007 spielte sie beim DJK SV Lowick 1930 - in Jungsmannschaften. Im letzten B-Jugend-Jahr trainierte sie bereits einmal die Woche bei den Bundesliga-Frauen des FCR Duisburg, für die sie anschließend spielte und wo sie erstmals in ihrer Karriere auf Martina Voss-Tecklenburg treffen sollte.

Mit 17 feierte sie ihr Debüt beim 1:0-Sieg im Auswärtsspiel gegen den Hamburger SV, bis 2011 spielte sie in Duisburg und parallel in den Jugendteams des DFB. Die Karriere der heutigen Abwehrchefin nahm so richtig Fahrt auf. 2009 gewann sie den Uefa Women's Cup (heute Champions League), auch zwei DFB-Pokale kamen zum Beginn ihrer Laufbahn dazu.

Bei der U-20-Weltmeisterschaft 2010 im eigenen Land holte sie ebenfalls den Titel. Alles lief darauf hinaus, dass sie auch bald für das A-Nationalteam nominiert werden würde. Doch auf ihr Debüt musste sie dann noch neun Jahre warten – auch weil sie rund sechs Jahre lang kein einziges Pflichtspiel absolvierte.

Verletzungen werfen Marina Hegering zurück

Schon in der Saison 2010/11 deutete sich ihre Verletzungsanfälligkeit an. Eine Fersenverletzung zwang sie zunächst in Duisburg in die Pause und anschließend bei Bayer 04 Leverkusen, für die Hegering ab 2011 auflaufen sollte.

Dazu kam es allerdings erstmal nicht. Nach eigener Aussage war die Verletzung an sich kein großes Thema, doch nach der ersten Operation verheilte die Wunde schlecht. An Fußball war erstmal nicht zu denken. Bis 2013 dauerte es, ehe Hegering versuchte, ihrer Geschichte einen positiven Spin zu verpassen: Am 13. April absolvierte sie ihr erstes Spiel für die Werkself. Doch der Aufschwung blieb aus, das Comeback wurde eher zum Rückschlag.

Hegering dachte damals ans Aufgeben, brach zwischenzeitlich sogar ihre Reha ab. Auch ihr Sportstudium ließ sie hinter sich. Statt auf dem Fußballplatz an ihre Erfolge in jungen Jahren anzuknüpfen, musste sie sich ernsthaft damit beschäftigen, wohin ihr Weg beruflich gehen sollte. Sie begann eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete danach in einem Bauunternehmen.

Doch Hegering überwand schließlich ihr Tief und kämpfte sich zurück auf den Rasen. Nach nur 49 Einsätzen für Leverkusen zwischen 2011 und 2017 ging es zur SGS Essen, wo sie endlich den Neustart ihrer Karriere erlebte – und auf den längst vorgezeichneten Weg zum A-Nationalteam des DFB zurückkehrte.

Voss-Tecklenburg als ständige Förderin

Im April 2019 das Debüt, einige Wochen später ihre erste Weltmeisterschaft: Wieder war es Martina Voss-Tecklenburg, die dafür sorgte, dass Hegerings Karriere startete – in diesem Fall war es ein Neustart. "Ihre Lebensgeschichte ist etwas Besonderes. Ich glaube, dass sie mit ihrer Erfahrung ganz wichtig fürs Team werden kann", sagte die Bundestrainerin 2019 vor der WM in den Niederlanden: "Sie kommt in einen Raum und ist sofort präsent."

Die lange Pause, das große Pech – sechs Jahre, die auch ihren Charakter geprägt haben. Hegering ist eine Frohnatur, die dankbar ist für alles, was sie jetzt noch im Fußball erleben darf. Gedanken daran, was hätte sein können, verschwendet sie nicht.

"Meine Lebenssituation hat sich für mich komplett verändert", erzählte sie nach ihrem Wechsel zum FC Bayern München im Jahr 2020 dem DFB: "Ich genieße jeden Augenblick. Denn klar ist ja auch, dass ich nicht mehr ewig Fußball spielen werde. Ein paar Jahre werden es hoffentlich noch sein. Und so lange will ich alles mitnehmen, was geht."

Hegering hat Frieden mit sich und ihrer einzigartigen Laufbahn geschlossen. Neben der Deutschen Meisterschaft, die sie mit den Bayern 2021 gewann, kommt mittlerweile auch ein Vertrag beim VfL Wolfsburg hinzu, der ihr eine berufliche Perspektive verschafft hat: Dieser sieht vor, dass sie nach ihrer aktiven Karriere ins Trainerteam wechselt. Eine Absicherung, die ihr auch deshalb wichtig gewesen sein dürfte, weil sie ihren Job in der Heimat im Zuge des Wechsels nach München aufgab. Doch es hat sich ganz offenkundig gelohnt.

Marina Hegering: Ein letzter großer Wurf?

Als Hegering bei der Europameisterschaft durch den eigenen Strafraum flog und eine gefährliche Situation nach der anderen bereinigte, zeigte sie der Fußballwelt, welch riesiges Potenzial in ihr steckt. Für den DFB ist sie unentbehrlich.

Umso bitterer, dass sie auch in dieser Saison wieder einige Spiele verletzt verpasst hat. Wie schon vor einem Jahr war es unsicher, ob Hegering fit in das Turnier geht. "Es ist immer Ansichtssache, wann und wie man 100 Prozent erreicht hat", sagte sie damals vor der EM im Gespräch mit unserer Redaktion: "Wenn man sich gut fühlt, ist man auch bereit dazu, über Grenzen zu gehen. Aber wenn ich mich nicht gut fühlen würde und nicht das Gefühl hätte, der Mannschaft weiterhelfen zu können, wäre ich da auch sehr ehrlich."

Ehrlichkeit, Bodenständigkeit, Verantwortungsbewusstsein – drei Eigenschaften, die Hegering wohl sehr gut beschreiben. Sie mag in Bezug auf die Anzahl ihrer Länderspiele nicht besonders hervorstechen. Und doch ist sie für ihre Mitspielerinnen ein Fixpunkt auf und neben dem Platz.

Es lohnt nicht, der spekulativen Frage nachzujagen, was alles hätte sein können. Fakt ist, dass Hegering in den letzten Jahren zu den besten Innenverteidigerinnen der Welt zählte. Letztendlich ist sie trotz ihrer jahrelangen Pause also genau da angekommen, wo sie einst hinwollte. Der anstrengende Umweg macht ihre Leistung nur noch respektabler. Ein letzter großer Wurf bei der WM würde ihre Karriere sicherlich krönen – doch beweisen muss es Hegering niemandem mehr.

Verwendete Quellen:

  • dfb.de: Hegering übers Debüt: "Einfach Wahnsinn"
  • dfb.de: Marina Hegering: "Die Jungs haben schnell die Vorsicht abgelegt"
  • Süddeutsche Zeitung: Marina Hegering: "Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben"
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