Die niederländischen Frauen halten durch ein Tor tief in der Nachspielzeit ihren Traum von den Olympischen Spielen am Leben, obwohl die Ausgangslage im Parallelspiel zwischen England und Schottland Wettbewerbsverzerrung glich. Möglich macht dies eine Sonderregelung der Uefa für die britischen Verbände.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Stüwe sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Dramatisches Fernduell um die Olympia-Qualifikation: In der dritten Minute der Nachspielzeit traf Lucy Bronze am Dienstagabend für die englische Frauen-Nationalmannschaft zum 6:0 gegen Schottland. Drei Tore hatten den "Lionesses" im Vorfeld auf die Niederlande gefehlt, nun waren sie aufgeholt. England übernahm die Tabellenführung in der Gruppe A1 der Nations League.

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Allerdings nur für kurze Zeit, denn in der 5. Minute der Nachspielzeit erzielte Damaris Eggurola mit ihrem zweiten Treffer das Tor zum 4:0-Endstand für die Niederlande gegen Belgien. Die "Oranje Vrouwen" sicherten sich auf den letzten Drücker den Gruppensieg und die Teilnahme an der Finalrunde der Nations League, wodurch sie weiter von der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 träumen dürfen.

Die Engländerinnen hingegen werden als Vize-Welt- und amtierende Europameisterinnen die Spiele in Paris verpassen. "Dieses Team hat schon so viel erlebt", sagte Englands Trainerin Sarina Wiegman: "Es wird ein bisschen dauern, bis wir das überwunden haben, aber wir werden zurückkommen. Ich bin überzeugt, dass wir uns dadurch weiterentwickeln werden."

Die Ausgangslage für die Niederlande grenzt an Wettbewerbsverzerrung

"Das Spiel schien schon vorbei zu sein. Dann fällt das Tor doch noch. Das ist das Schönste im Fußball", freute sich Andries Jonker. Der niederländische Trainer, der in der Männer-Bundesliga beim VfL Wolfsburg und beim FC Bayern München gearbeitet hat, bezeichnete das Ergebnis der Engländerinnen im Parallelspiel in Schottland als "bemerkenswert". "Aber im positiven Sinne", schob er hinterher: "Sie haben einfach eine tolle Mannschaft. Dann kann man so ein Ergebnis erreichen. So wie wir hier."

Ob Jonker auch so versöhnlich reagiert hätte, wenn Damaris Eggurola sein Team nicht spät erlöst hätte? Man weiß es nicht. Denn die Ausgangslage für seine Mannschaft war unfair und grenzte an Wettbewerbsverzerrung.

Was damit zusammenhing, dass England bei den Olympischen Spielen unter der Leitung von Trainerin Wiegman als Team Großbritannien angetreten wäre. Was wiederum bedeutet, dass neben den Engländerinnen sowohl schottische als auch walisische und nordirische Spielerinnen für die Olympia-Mannschaft nominiert hätten werden können.

England braucht hohen Sieg – Schottland hätte von hoher Niederlage profitiert

Was im Vorfeld zu der kuriosen Situation führte, dass nicht nur die Engländerinnen in Glasgow einen hohen Sieg benötigten, sondern ihre schottischen Gegenspielerinnen gleichzeitig von einer hohen Niederlage profitiert hätten. Man darf also durchaus darüber spekulieren, ob die traditionelle Fußballrivalität zwischen England und Schottland am Dienstagabend nicht ganz so ernst genommen wurde.

Bereits kurz nach der Halbzeit führte England 5:0, die "Oranje Vrouwen" lagen zu diesem Zeitpunkt nur knapp mit 1:0 vorn. Die Fans der Niederländerinnen waren deshalb alles andere als begeistert. "England führt 5:0…alle Verschwörungstheorien sind wahr geworden", ärgerte sich einer von ihnen bei X.

Großbritannien profitiert von einer Sonderregelung der Uefa und Fifa

Möglich wurde diese ebenso kuriose wie unsportliche Ausgangslage durch eine Sonderregelung des europäischen Fußballverbandes Uefa für die vier britischen Fußballverbände, die auch der Weltverband Fifa anwendet.

In Artikel 5 der Uefa-Statuten steht, dass Verbände Mitglieder werden können, "die in einem Land, das ein von der UNO anerkannter, unabhängiger Staat ist, ihren Sitz haben." In Artikel 69 werden dann allerdings die Ausnahmen für diese Regel formuliert: "Artikel 5 gilt nicht für die folgenden Mitgliedsverbände: England, Schottland, Nordirland, Wales, Färöer-Inseln und Gibraltar."

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hingegen wertet Großbritannien als ein Land. Da die Qualifikation für das olympische Fußballturnier der Frauen über den Uefa-Wettbewerb Nations League erfolgen kann, schickt Großbritannien somit vier Teams ins Rennen um einen Startplatz. Was bei direkten Duellen natürlich Ergebnisabsprachen Tür und Tor öffnet und auch die Spielerinnen in unangenehme Situationen bringen kann.

Das späte Tor von Damaris Eggurola verhinderte weitere Diskussionen über mögliche Wettbewerbsverzerrungen. Der Sieg der Niederländerinnen kann deshalb auch als Sieg für den Sport gewertet werden.

Verwendete Quellen:

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