Die Ukraine schafft die Qualifikation für die Europameisterschaft 2024. Das Team verfügt über einige außergewöhnliche Spieler und hat doch eine schwere Last zu tragen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Markus Bosch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Teilnehmerfeld für die EM 2024 in Deutschland steht nun endgültig fest. Und neben Polen und EM-Debütant Georgien ist auch eine Nation qualifiziert, die sich seit über zwei Jahren russischen Angriffen ausgesetzt sieht - die Ukraine. Die Osteuropäer setzten sich in den Qualifikations-Playoffs mit 2:1 gegen Island durch.

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Allein in den Umständen dieser Partie zeigt sich die besondere Situation, in der sich das Land gerade wiederfindet. Denn das "Heimspiel" der Ukrainer fand im polnischen Breslau statt, da die UEFA keine Spiele in der Ukraine erlaubt. Bilder wie aus Georgien, wo das ganze Land in Jubelstimmung war, gab es danach auch nicht zu sehen. Denn die Kriegsrealität sieht vor, dass die Menschen in der Ukraine nach Mitternacht ihre Wohnungen nicht mehr verlassen dürfen.

Ukrainisches Wunderkind vom FC Chelsea sorgt für EM-Ticket

Doch der traurige und fatale Kriegsalltag wich mit der EM-Qualifikation zumindest für einen kleinen Moment etwas zurück. Ausgerechnet, eine große Floskel im Fußball, das ukrainische 100-Millionen Wunderkind Mykhailo Mudryk erzielte den Treffer zur EM in der 84. Minute. Jener Mudryk, der in der riesigen Ansammlung von teuren, talentierten Spielern beim FC Chelsea nicht wirklich auftrumpft und der bis dato erst einen Treffer in 17 Länderspielen erzielt hat.

Gegen Island behielt er aber die Nerven und schoss das kriegsgebeutelte Land zur EM 2024, das zweite große Turnier in Deutschland nach der WM 2006, als man bis ins Viertelfinale kam. Aber statt der direkten Auskostung des soeben erreichten Triumphs wirkten die ukrainischen Spieler nach dem Schlusspfiff vor tausenden frenetischen Landsleuten zunächst einmal erleichtert.

EM-Teilnahme von der sportlichen Seite keine Überraschung

"Ich glaube, jeder versteht, wie wichtig dieser Sieg ist", sagte Nationaltrainer Sergei Rebrov nach dem Sieg über Island und fügte an, für wen sein Team spielt: "Unsere Fans, unser Land, unser Volk, unsere Soldaten, die unsere Freiheit beschützen."

Präsident Wolodimir Selensky hatte das Team zuvor zu Märtyrern erhoben und bedankte sich nach dem Spiel für den Sieg. Und trotz aller notwendigen und erwähnenswerten Symbolik im Bezug auf das Leid in der Ukraine, ist das Team auch sportlich in einem Maß talentiert, dass die EM-Teilnahme von dieser Seite nicht komplett überraschend ist.

Angefangen im Tor, wo sich Andrej Lunin von Real Madrid sowie Anatoly Trubin von Benfica Lissabon um den Platz zwischen den Pfosten streiten. Kapitän Alexander Zinchenko vom FC Arsenal verkörpert bereits seit Jahren Topniveau in der englischen Premier League. Und in der Offensivreihe sind neben Linksaußen Mudryk auch Rechtsaußen Tsygankov (FC Girona) sowie Supertalent Sudakov (Schachtjor Donzek) beheimatet. Vorne in der Spitze gibt es die Auswahl zwischen Artem Dovbyk (Girona) und Roman Yaremchuk (FC Valencia).

In der vorangegangenen Qualifikationsrunde fehlte in der Gruppenphase nur ein Punkt auf Europameister Italien, um direkt das EM-Ticket lösen zu können.

Schreibt die Ukraine ein EM-Märchen?

Die Zeiten, als Ausnahmekönner wie Andrej Shevchenko oder der Ex-Dortmunder Andrej Yarmolenko das Team oftmals allein tragen mussten, sind längst vorbei. Längst glänzt die ukrainische Nationalmannschaft als Ensemble mit hochkarätigen Talenten, vor allem in der Offensive.

In einer EM-Gruppe mit Belgien, Rumänien und der Slowakei scheint der zweite Platz alles andere als utopisch zu sein. Und wer weiß, angefeuert von frenetischen Fans vor Ort in Deutschland sowie den Gedanken der Millionen Landsleute im Krisengebiet könnte ein EM-Märchen der Ukraine auch für neuen Mut und Glauben in der leidvollen Situation sorgen.

Längst ist die Europameisterschaft für das ukrainische Team mehr als nur ein sportlicher Wettstreit, schließlich geht es auch um die Aufmerksamkeit der Welt auf das Schicksal in der Heimat. Denn Sport und Politik lassen sich nicht mehr trennen, sodass die EM-Teilnahme auf allen Ebenen eine Besonderheit ist, die hoffentlich hauptsächlich von den sportlichen Schlagzeilen durch Mudryk und Co. dominiert werden wird. Dann sähen wohl auch die Bilder in der Heimat anders aus.

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