Mal wieder sorgt ein Handspiel für hitzige Diskussionen: Hätte Borussia Dortmund im Spiel gegen Real Madrid nicht einen Elfmeter bekommen müssen? Nein – denn man kann Sergio Ramos keine Absicht unterstellen. Und darauf kommt es an.

Meine Meinung
Dieser Meinungsbeitrag stellt die Sicht von Alex Feuerherdt dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Vermutlich haben diejenigen Recht, die behaupten, dass es im Fußball nur ganz wenige Dinge gibt, die so kompliziert zu beurteilen sind wie Handspiele. Kaum eines geschieht, ohne dass anschließend lang und breit darüber diskutiert wird, ob es nun strafbar war oder nicht.

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Strafbar ist es immer dann, wenn Absicht vorliegt – so steht es jedenfalls in den Regeln. Aber wie findet der Schiedsrichter heraus, ob der Ball absichtlich mit der Hand berührt worden ist oder nicht? Er kann ja nicht die Gedanken des betreffenden Spielers lesen.

Deshalb orientiert er sich an Anhaltspunkten: Wie und aus welcher Entfernung kam der Ball auf den Spieler zu? Konnte er mit ihm rechnen? War seine Armhaltung oder -bewegung fußballtypisch, also normal für diesen Sport? Hat er womöglich versucht, sich mit den Armen größer zu machen, um den Ball aufzuhalten?

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich all dies längst nicht immer eindeutig bestimmen lässt. Und oft finden sich sowohl Argumente, die für ein strafbares Handspiel sprechen, als auch Gründe, das Gegenteil anzunehmen. Hinzu kommt: Der Unparteiische muss seine Entscheidung in Sekundenbruchteilen treffen.

Vom eigenen Torwart irritiert

So wie Björn Kuipers in Dortmund beim Spiel des BVB gegen Real Madrid. Knapp vierzehn Minuten waren gespielt, da schlug Andriy Yarmolenko eine gefährliche Flanke in den Strafraum der Spanier. Pierre-Emerick Aubameyang verpasste sie knapp. Aber am zweiten Pfosten stand Maximilian Philipp und brachte den Ball erneut vor das Tor.

Dort setzte Sergio Ramos an, die Kugel mit dem Fuß wegzuschlagen. Doch kurz bevor er sie erreichen konnte, schnellte Torwart Keylor Navas im Flug mit den Armen dazwischen und lenkte den Ball ab, der daraufhin die Richtung änderte. Ramos traf das Spielgerät schließlich mit der rechten Hand.

Der niederländische Referee ließ weiterspielen, befragte in der nächsten Unterbrechung aber sicherheitshalber auch seinen Strafraumassistenten. Danach stand die Entscheidung endgültig fest: kein Elfmeter!

Kaum Reaktionszeit für Ramos

Und das geht in Ordnung. Besonders in der Normalgeschwindigkeit wird deutlich, dass Ramos nichts anderes vorhatte, als den Ball mit dem Fuß wegzuschlagen. Seine ganze Bewegung – auch mit den Armen – war genau darauf ausgerichtet.

Mit der Änderung der Flugrichtung und -höhe des Balles durch Torwart Navas, der sich unmittelbar neben dem Madrider Kapitän befand, konnte er nicht rechnen. Dazu kam sie zu plötzlich.

Daher trat Ramos in ein Luftloch, während seine Arme noch in der Schwungbewegung waren, wie sie für einen Schussversuch normal und damit fußballtypisch ist. Dass er den Ball in dieser Bewegung versehentlich mit dem Arm wegschlug, ist ihm deshalb nicht vorzuwerfen. Es ließ sich nicht vermeiden.

Die Zeitlupe verzerrt den Vorgang, weil sie die Handlung bewusster erscheinen lässt, als sie es tatsächlich war. Betrachtet man die Szene in Echtzeit, wird deutlich, dass Sergio Ramos so gut wie keine Reaktionszeit hatte.

Der Fall Naldo lag anders

Viele Fußballfreunde fühlten sich gleichwohl an eine Szene aus dem Bundesligaspiel zwischen Schalke 04 und dem FC Bayern München vor Kurzem erinnert. In dieser Partie hatte es nach einem Handspiel von Naldo einen Elfmeter für die Bayern gegeben.

Doch der Fall lag anders. Zwar hatte auch der Schalker Verteidiger kaum Zeit zu reagieren, der Ball sprang ihm bei einem Tackling vom eigenen Fuß an die Hand. Aber Naldo war bereits mit zwei weit hochgerissenen Händen in den Zweikampf gegangen.

Bei ihm lag deshalb keine normale, fußballtypische Armhaltung vor. Anders als Ramos nahm Naldo ein Handspiel in Kauf. Er hatte sich noch deutlich größer gemacht, als er es ohnehin schon ist. Ein Missgeschick konnte man ihm nicht zugutehalten.

Der Vergleich zeigt aber auch, dass die Regelauslegung beim Handspiel äußerst schwierig ist. Manchmal unterscheiden sich Szenen nur durch Kleinigkeiten, die den Unterschied zwischen "strafbar" und "nicht strafbar" begründen.

Uneinheitliche Regelauslegung

Viele wünschen sich deshalb eine Vereinfachung, mehr Klarheit. Sie argumentieren, die Grauzone beim Handspiel sei einfach zu groß, die Beurteilung durch die Schiedsrichter daher zu uneinheitlich.

Das ist nachvollziehbar, doch es deutet auch auf ein Dilemma hin: Wie sollte eine Regelung aussehen, die keine Spielräume mehr kennt? Die einfachste Möglichkeit bestünde sicherlich darin, einfach jedes Handspiel zu ahnden, ohne Ausnahme.

Das aber würde mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Spieler bewusst auf die Arme und Hände ihrer Gegner zielen würden, um Freistöße und Strafstöße herauszuholen. Gerade die Verteidiger wären fast schon gezwungen, ihre Arme hinter dem Rücken zu verstecken, um nicht getroffen zu werden.

Eine bizarre Vorstellung. Dann schon lieber die jetzige Regelauslegung, so unbefriedigend und kompliziert sie manchmal auch sein mag. Näher an der Praxis als eine Bestimmung, die nur noch Schwarz und Weiß kennt, ist sie allemal.

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