Der VfL Bochum bezwingt die TSG 1899 Hoffenheim, auch weil der Unparteiische ein vermeintliches Abseitstor auf Empfehlung des Video-Assistenten richtigerweise doch noch anerkennt. In einer kuriosen Strafraumsituation handelt der Schiedsrichter ebenfalls korrekt.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Als in Bochum beim Spiel zwischen dem heimischen VfL und der TSG 1899 Hoffenheim (2:0) rund 66 Minuten absolviert waren, erzielten die überlegenen Hausherren nach langem Drängen den ersehnten Führungstreffer. Nach einer mustergültigen Flanke von Miloš Pantović traf Soma Novothny per Kopf.

Die Freude währte aber zunächst nicht lange, denn Schiedsrichter Frank Willenborg verwehrte dem Treffer die Anerkennung. Sein Assistent hatte in der Spielsituation zuvor eine strafbare Abseitsstellung von Novothny wahrgenommen.

Auch da gab es eine Flanke in den Hoffenheimer Strafraum, bei der sich Novothny in der Tat im Abseits befand. Doch bevor er den Ball erreichen konnte, köpfte der Hoffenheimer Kevin Vogt die Kugel weg – und zwar versehentlich zu Pantović, der schließlich Novothny bediente.

Der Unparteiische ahndete die Abseitsstellung des Bochumers bei der ersten Flanke, weil aus der Perspektive des Assistenten, dem der Referee folgte, Vogt bei seinem Kopfball von Novothny entscheidend beeinflusst wurde.

Video-Assistent Timo Gerach dagegen kam nach der Überprüfung der Szene zu einem anderen Ergebnis: Die Abseitsstellung bestätigte er zwar, die Beeinflussung hingegen nicht. So kam es zu einem Eingriff des VAR und einem On-Field-Review durch den Schiedsrichter.

Wann beeinflusst ein Spieler im Abseits den Gegner?

Um das besser zu verstehen, ist wie immer ein Blick ins Regelwerk sinnvoll. Dort heißt es, dass es nicht strafbar ist, sich im Abseits zu befinden – solange man nicht den Ball spielt, keinen Gegner im Kampf um den Ball beeinflusst und sich nicht nach einem Abpraller respektive einer Torverhinderungsaktion einen Vorteil verschafft.

Von Bedeutung für die Szene in Bochum ist der Aspekt der Beeinflussung. Sie liegt laut Regel 11 vor, wenn ein Spieler im Abseits:

  • mit einem Gegner einen Zweikampf um den Ball führt oder
  • erkennbar den Ball zu spielen versucht und dadurch einen gegnerischen Spieler beeinträchtigt oder
  • eindeutig aktiv wird – etwa durch eine Bewegung zum Ball – und dadurch klar die Möglichkeit eines Gegners beeinflusst, den Ball zu spielen, oder
  • einen Gegner daran hindert, den Ball zu spielen oder spielen zu können, indem er ihm eindeutig die Sicht versperrt.

Bochumer Führungstreffer zu Recht anerkannt

Dass es bei diesen Kriterien – anders als bei der Abseitsstellung selbst, die eine Schwarz-Weiß-Entscheidung ist – einen gewissen Interpretationsspielraum gibt, liegt in der Natur der Sache. Nicht immer ist es eindeutig, ob die Beeinflussung eines Gegners vorliegt oder nicht, manchmal lässt sich darüber sogar trefflich streiten.

Hatte Novothny den Hoffenheimer Vogt also beeinflusst? Nein, entschied der Unparteiische nach Betrachten der Bilder am Monitor in der Review Area. Das war richtig, denn der Bochumer war in dieser Situation passiv geblieben.

Er führte mit Vogt, von dem er knapp zwei Meter entfernt war, keinen Zweikampf um den Ball. Er bewegte sich nicht zum Ball und versuchte somit auch nicht, ihn zu spielen. Vogts Sicht versperrte Novothny ebenfalls nicht, denn er befand sich hinter ihm. Damit erfüllte er keines der Kriterien, die im Regelwerk zur Definition einer strafbaren Beeinflussung aufgeführt sind.

Abseitsregel immer stärker zugunsten der Offensive verändert

Sicherlich: Man könnte argumentieren, dass Vogt nicht zum Kopfball gegangen wäre, wenn sich Novotny nicht in der Nähe aufgehalten hätte. Doch solange diese Nähe nicht unmittelbar ist, genügt die bloße Gegenwart nicht, um eine Abseitsstellung strafbar werden zu lassen. Die Beeinträchtigung muss eine aktive sein.

Das war nicht immer so, doch die Regelhüter haben die Abseitsregel und deren Auslegung im Laufe der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ganz bewusst allmählich immer stärker zugunsten der Offensive verändert. Denn es sollen mehr Tore fallen, Fußball soll ein Spektakel sein.

Frank Willenborg entschied im Sinne dieser Regelphilosophie, als er die Abseitsstellung von Soma Novothny am Ende nicht als strafbar bewertete. Denn der Abstand des Bochumers zu Vogt und sein passives Verhalten waren so klare Argumente gegen eine Ahndungswürdigkeit der Abseitsstellung, dass ein Eingriff des VAR geboten war.

Bei Pantovićs finaler Flanke handelte es sich dann um eine neue Spielsituation, und da befand sich Novothny nicht erneut im Abseits. Deshalb war sein Treffer zum 1:0 regulär.

Ein guter Referee erwartet immer das Unerwartete

Ganz richtig war auch Willenborgs Entscheidung, den Bochumern nach 73 Minuten einen Foulelfmeter zuzusprechen, der zu den kuriosesten Strafstößen der jüngeren Vergangenheit gehören dürfte: Weil er der Meinung war, dass Novothny zu Unrecht einen Elfmeterpfiff reklamierte, schubste Florian Grillitsch den Angreifer im Hoffenheimer Strafraum einfach um.

Zu solchen Szenen kommt es immer mal wieder in Spielunterbrechungen, wenn Verteidiger eine "Schwalbe" erkannt haben wollen. Im laufenden Spiel passiert das allerdings eher selten – schließlich handelt es sich regeltechnisch um ein Foul, und im Strafraum führt das nun mal zu einem Strafstoß.

Natürlich war diese Situation unstrittig, weil eindeutig. Dennoch hat sich der Referee hier ein Kompliment verdient. Denn weil die Spieler in aller Regel klug genug sind, ihr Mütchen nicht während des laufenden Spiels im eigenen Strafraum derart an einem Gegner zu kühlen, kommt es nur selten zu einem Fall wie in Bochum. Man rechnet daher normalerweise einfach nicht damit.

Dass Frank Willenborg die Szene dennoch nicht frühzeitig abhakte, sondern mit den Augen bei Grillitsch und Novothny blieb, zeugt von einem guten Gespür. Der 42-Jährige ist damit dem bekannten Leitsatz für Unparteiische gefolgt, dass ein guter Schiedsrichter immer das Unerwartete erwartet. Und darauf vorbereitet ist.

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