Fitnesstraining im Fußball ist eine Wissenschaft für sich. Holger Broich ist beim FC Bayern München dafür verantwortlich und setzt sogar Künstliche Intelligenz ein. Ehrenpräsident Uli Hoeneß war davon zunächst nicht begeistert.

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Er ist mit dafür verantwortlich, dass die Stars des FC Bayern München auch in der 90. Minute noch sprinten können. Holger Broich ist beim deutschen Rekordmeister der wissenschaftliche Leiter im Bereich Fitness. Laut seiner Einschätzung ist "eine Top-Fitness mit einer absoluten Professionalität auf und außerhalb des Platzes eine Grundvoraussetzung." Das Motto lautet: "Fitness ist nicht alles, aber ohne Fitness ist alles nichts."

Jeder einzelne Spieler, vom Torwart bis zum Stürmer, muss mit einer separaten Planung gefördert werden. "Natürlich ist Fußball eine Mannschaftssportart, aber gleichzeitig eine Individualsportart", erklärt er in einem aktuellen Interview mit der "Sports Illustrated".

"Wir absolvieren große Teile des Trainings in der gesamten Mannschaft oder in Kleingruppen. Das Training und die Prävention vor und nach dem Teamtraining versuchen wir so gut es geht zu individualisieren. Aufgrund der Tests wissen wir genau, wo Defizite einzelner Spieler sind, auf die wir dann eingehen."

Der Fokus liegt auf der Beschleunigung

Grundsätzlich seien die körperlichen Anforderungen an einen Fußballer komplett anders als bei einem Ausdauersportler: "Die Beschleunigung spielt eine sehr große Rolle. Während eines Spiels müssen die Profis ständig sprinten und wieder abbremsen. Man braucht für diese Form von Belastungen und auch die Zweikämpfe ein ganz ausgeprägtes, möglichst reaktives Muskelkostüm."

Allerdings würden die Spieler des FC Bayern nicht nur läuferisch trainieren, sondern vor allem auch auf dem Fahrrad. "Die Belastung auf dem Rad ist eine völlig andere als im Fußball, mit kontinuierlicher Bewegung ohne exzentrische Anteile. Deshalb ist Radfahren als Kontrast- und Ergänzungstraining geeignet, auch zur aktiven Regeneration", erklärt er.

Im Fußball geht es um die "letzten fünf bis zehn Prozent"

Broich ist seit 20 Jahren im Profifußball tätig. Zunächst arbeitete er von 2003 bis 2014 für Bayer 04 Leverkusen, ehe der Wechsel nach München erfolgte. Sein Studium der Sportwissenschaft mit den Schwerpunkten Training und Leistung absolvierte er an der Sporthochschule Köln, an der er später auch promovierte.

Er hat miterlebt beziehungsweise ist mit dafür verantwortlich, dass der Fußball über die Jahre immer wissenschaftlicher wurde. "Die Fitness hat sich extrem verbessert, und wir forschen weiter intensiv. Im Nachwuchs geht es darum, die ersten 70, 80 Prozent des Potenzials zu entwickeln. Im Spitzenbereich ist es im Fußball nicht anders als in anderen Sportarten, hier zählen die letzten fünf bis zehn Prozent", erklärt er.

Künstliche Intelligenz kommt zum Einsatz

Um aus jedem Spieler das Maximum herauszuholen, wird ein hohes Maß an technologischen Möglichkeiten eingesetzt. Broich erklärt: "Dazu gehören regelmäßige Leistungsdiagnostiken und Messungen aus dem Kapillarblut, die uns Hinweise auf die Belastung geben. Schließlich werden in jedem Training und Spiel Aufzeichnungen der Aktivitäten gemacht: also Laufdistanzen, -beschleunigungen und so weiter. Ausgewertet wird diese Datenmenge mit modernen Analyseverfahren wie Künstlicher Intelligenz."

Broich ist nicht alleine für die Fitness der Stars zuständig. "Mir steht beim FC Bayern ein recht großes wissenschaftliches Begleitteam zur Verfügung, in dem kontinuierlich Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen arbeiten", verriet er in einem Interview mit dem "Spiegel".

Uli Hoeneß war skeptisch und wollte den Fußball "nicht verwissenschaftlichen"

Nicht jeder Verantwortliche beim FC Bayern war von dieser Herangehensweise sofort begeistert. Insbesondere der Ehrenpräsident Uli Hoeneß bewertete die Arbeit von Broich zeitweise kritisch. "Wir haben auf jeden Fall schon viele Gespräche geführt, und am Anfang waren die auch mal kontroverser. Ich werde nie vergessen, wie er einmal sagte, man dürfe den Fußball auch nicht zu verwissenschaftlichen", erinnert sich Broich.

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Dies wäre allerdings auch gar nicht sein Vorhaben gewesen. "Ich selbst habe mal Fußball gespielt und das hilft dabei abzuschätzen, welche wissenschaftlichen Ansätze uns weiterbringen können – und welche eher nicht. Wir betreiben keine Grundlagenforschung, sondern Anwendungsforschung. Messen können wir vieles, aber es muss auch Sinn ergeben", sagte Broich.

Daher sei Hoeneß "inzwischen ganz beruhigt."

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